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Noch einmal: Azetylsalizylsäure plus Dipyridamol (ASS/DIP) – kein Mittel der ersten Wahl

Dr. X.Y. aus Dortmund (Initialen anonymisiert) schickt uns eine Stellungnahme der Firma Boehringer Ingelheim zu unserem Artikel „Azetylsalizylsäure plus Dipyridamol – kein Mittel der ersten Wahl” (1). Sie wurde ihm von einem Pharmareferenten der Firma Boehringer übergeben. Daraus ist zu schließen, dass möglicherweise viele unserer Leser diese Stellungnahme erhalten haben. Wir möchten sie daher etwas gekürzt wiedergeben und darauf erwidern, obwohl sich Boehringer nicht direkt an uns gewandt hat.

1. Boehringer: >> Es wird (in dem oben zitierten Artikel; 1) behauptet, ausländische Fachgesellschaften würden Aggrenox® zurückhaltender bewerten als die Dt. Ges. f. Neurologie bzw. Dt. Schlaganfall Ges. und die European Stroke Organization in ihren Leitlinien.

Dies ist inkorrekt: Der Autor erwähnt nicht die aktuellen Therapieempfehlungen des NICE (2). Es wird ebenfalls verschwiegen, dass die American Stroke Association Aggrenox® als Alternative zu einer ASS Monotherapie empfiehlt. (Klasse IIa, Evidenzlevel A; 3). <<

Erwiderung des AMB: >> Es ist richtig, dass das NICE (2005) ASS/DIP präferenziell empfiehlt, aber mit Einschränkungen, nämlich für die ersten zwei Wochen nach TIA/Stroke 300 mg/d (!) ASS, danach nur für zwei Jahre ASS/DIP (2). Das war vor Veröffentlichung der PRoFESS-Studie (4). Die American Heart Association und die American Stroke Association empfehlen (Mai 2008; 3): ASS 50-325 mg/d. ASS/DIP und Clopidogrel sind akzeptable Optionen (Level A). Die Canadian Medical Association schreibt (Dez. 2008; 5): ASS, ASS/DIP oder Clopidogrel können eingesetzt werden in Abhängigkeit von den klinischen Begleitumständen (Level A). D.h. auch 2008 gibt es international keine Präferenz für ASS/DIP. <<

2. Boehringer: >> Die Ergebnisse der ESPS-2-Studie seien inkonsistent, da die Zahl der Herzinfarkte nicht im gleichen Maß gesenkt worden sei wie die der Schlaganfallrezidive. Zudem sei die Studie wegen eines Betrugfalls unglaubwürdig.

Es ist umfänglich belegt, dass sich die Pathophysiologien des ischämischen Schlaganfalls deutlich von denjenigen des Myokardinfarkts unterscheiden. Insofern wäre es überraschend, wenn ein Therapieprinzip im gleichen Maß auf beide Erkrankungen Einfluss nähme. Zudem ist das Rezidivrisiko nach einem ischämischen Schlaganfall in den ersten drei Jahren ca. viermal höher als das eines Myokardinfarkts (ESPS-2, CAPRIE, PRoFESS), was erklärt, dass in den o.e. Schlaganfallstudien statistisch signifikante Wirkungen nur zum Parameter Schlaganfallrezidiv erzielt wurden. Die Kritik an den ESPS-2-Ergebnissen lässt ein mangelndes Verständnis der Pathophysiologie und Epidemiologie des Schlaganfalls und Myokardinfarkts erkennen, ebenso des Verständnisses von Prinzipien der Biometrie. Dass ein holländisches Prüfzentrum der ESPS-2-Studie wegen erwiesener Datenmanipulation von der Auswertung ausgeschlossen wurde, zeigt, dass die Qualitätssicherung von Boehringer Ingelheim wirksam war. Dieser Vorgang unterstreicht die Qualität der Studiendaten. <<

Erwiderung des AMB: >> Ziel der Sekundärprophylaxe ist die Verminderung aller arteriosklerotisch bedingten Ereignisse. Bedenkt man, dass Patienten mit Hirninfarkt im Durchschnitt älter sind als solche mit Herzinfarkt, bedeutet das ein relevantes Herzinfarkt- und Sterberisiko. Dies ist unstrittig (6-8). Wenn ASS/DIP die Gesamtletalität und die Herzinfarktrate in ESPS2 – anders als beim Schlaganfall – nicht signifikant senkt, so muss dies schon verwundern und enttäuschen trotz aller biometrischen Überlegungen. Darüber hinaus ist die Gabe von nur 50 mg/d ASS nicht optimal. In der Sekundärprophylaxe des Herzinfarkts werden 75-325 mg/d empfohlen (9). Ein Plazebo-Arm hätte nach unserer Meinung von den Ethikkommissionen erst recht nicht zugelassen werden dürfen. <<

3. Boehringer: >> ASS sei in Aggrenox® mit 2 x 25 mg/d unterdosiert. Die wirksame Dosis sei 75-300 mg/d.

In der aktuellen Therapieleitlinie der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft wird ASS in Tagesdosen von 50-150 mg/d empfohlen. Grundlage dieser Empfehlung sind u.a. Ergebnisse des Dutch TIA Trial, in dem 30 mg/d ASS bei der Sekundärprävention der zerebralen Ischämie ebenso wirksam war wie 283 mg/d (10) und der ESPRIT-Studie, in der sich kein Einfluss der ASS-Tagesdosis (< 40-100 mg vs. > 100 mg) auf dessen Wirksamkeit in der Sekundärprävention des ischämischen Schlaganfalls zeigten (11). Somit ist die in Aggrenox® zum Einsatz kommende Wirkstärke von 2 x 25 = 50 mg/d ASS evidenzbasiert. <<

Erwiderung des AMB: >> Es wird nicht bestritten, dass auch 50 mg/d ASS wirksam sind, aber nicht optimal. Wenn in einer berühmten Meta-Analyse (12) die niedrigere Dosis prophylaktisch weniger wirksam ist, so ist dies bei guter ASS-Verträglichkeit ein Argument für eine höhere Dosis, insbesondere wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass Patienten außerhalb von Studien weniger zuverlässig ihre Arzneimittel einnehmen. <<

4. Boehringer: >> In der ESPRIT-Studie sei in der Patientengruppe unter Kombinationstherapie ASS + Dipyridamol nach 3,5 Jahren die Reinfarkt-Rate absolut 1% niedriger gewesen als unter einer ASS-Monotherapie, zudem seien die Effekte in der Intent-to-Treat-Population stärker gewesen als in der On-Treatment-Population, was die Datenintegrität in Frage stelle.

Die ESPRIT-Studie bestätigt die schon in der ESPS-2-Studie gezeigte Überlegenheit der Kombinationstherapie von ASS plus Dipyridamol gegenüber einer ASS-Monotherapie. Die Effektstärke ist mit 1% pro Jahr dreimal so hoch wie die vom ARZNEIMITTELBRIEF zitierte. Der primäre Endpunkt umfasste die Ereignisse „vaskulärer Tod jeglicher Ursache, nicht-tödlicher Schlaganfall, nicht-tödlicher Myokardinfarkt bzw. schwer wiegende Blutungskomplikation”. Bei einer durchschnittlichen Studiendauer von drei Jahren fand sich eine statistisch signifikante absolute Risikoreduktion von 3% bzw. eine relative Risikoreduktion von 20% (HR: 0,80; 95%-Kl: 0,66-0,98). Dass die Effektstärke in der ITT-Population, bei der aus der Studie ausgeschiedene Patienten mit in die Berechnung eingehen, größer war als in der On-Treatment-Population, interpretieren die Autoren der ESPRIT-Studie als Zufallsbefund. Dies sollte den ARZNEIMITTELBRIEF nicht spekulieren lassen, die Datenintegrität in Frage zu stellen. (…) <<

Erwiderung des AMB: >> Gemeint war natürlich 1% pro Jahr. Für die Ungenauigkeit der Formulierung müssen wir uns entschuldigen. Alarmierend bleibt, dass die Ergebnisse in der Intention-to-treat-Gruppe (ITT) besser waren als in der On-treatment-Gruppe. In der ITT-Gruppe wurden auch die 30% der Patienten mit ausgewertet, die die Therapie wegen Unverträglichkeit abgebrochen hatten – und dann vielleicht eine wirksamere Prophylaxe erhielten?

Fazit: Unsere Meinung bleibt: Eine überlegene Wirkung von ASS/DIP gegenüber ASS allein bzw. Clopidogrel ist nicht nachgewiesen, besonders seit die PRoFESS-Studie (4) und das dazugehörige Editorial mit seiner eigenen Metaanalyse (13) keinen Vorteil gezeigt haben. <<

Literatur

  1. AMB 2008, 42, 93. Link zur Quelle
  2. National institute of clinical excellence: Technical appraisal 90, May 2005. Link zur Quelle
  3. Adams, R.J., et al.: Stroke 2008, 39, 1647. Link zur Quelle
  4. Sacco, R.L., et al. (PRoFESS = Prevention Regimen For Effectively avoiding Second Strokes): N. Engl. J. Med. 2008, 359, 1238. Link zur Quelle
  5. Lindsay, P., et al.: CMAJ 2008, 178, 1418. Link zur Quelle Erratum CMAJ 2008, 179, 56.
  6. Touzé, E., et al.: Stroke 2005, 36, 2748. Link zur Quelle
  7. Touzé, E., et al.: Int. J. Stroke 2007, 2, 177. Link zur Quelle
  8. Atanassova, P.A., et al.: Cerebrovasc. Dis. 2008, 25, 225. Link zur Quelle
  9. Nationale Versorgungsleitlinie Koronare Herzkrankheit 2008. Link zur Quelle
  10. Dutch TIA Trial Study Group: N. Engl. J. Med. 1991, 325, 1261. Link zur Quelle
  11. Halkes, P.H., et al. (ESPRIT = European/Australasian Stroke Prevention in Reversible Ischaemia Trial) Lancet 2006, 367, 1665. Link zur Quelle Erratum Lancet 2007, 369, 274.
  12. Antithrombotic Trialists’ Collaboration: BMJ 2002, 324, 71. Link zur Quelle Erratum BMJ 2002, 324, 141.
  13. Kent, D.M., und Thaler, D.E.: N. Engl. J. Med. 2008, 359, 1287. Link zur Quelle