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Arterielle Hypertonie: deutlich weniger kardiovaskuläre Ereignisse bei abendlicher statt morgendlicher Einnahme von Antihypertensiva

Autoren aus der Provinz Galizien in Nord-West-Spanien haben kürzlich im Eur. Heart J. Studienergebnisse zur Chronotherapie der Hypertonie veröffentlicht, die – wenn sie bestätigt werden können – alle Fortschritte in den letzten Jahren hinsichtlich der Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse (kvE) in den Schatten stellen (1). Bereits 2010 hatten einige der Autoren ähnliche Ergebnisse bei 2.156 Hypertonikern mitgeteilt (2), die über 5,6 Jahre in zwei Gruppen randomisiert ihre blutdrucksenkenden Tabletten entweder nur abends (a) vor dem Einschlafen oder nur morgens (m) eingenommen hatten. Die Gesamtzahl der kvE war am Ende in der a-Gruppe 68 vs. 187 in der m-Gruppe (Relatives Risiko = RR: 0,39; 95%-Konfidenzintervall: 0,29-0,51; p < 0,001).

Um diese Ergebnisse in einem größeren Kollektiv zu überprüfen, wurde mit staatlichen Mitteln in 40 Praxen der Primärversorgung des Galizischen „Social Security Health Service“ die Hygia-Studie mit 19.084 Hypertonikern (etwas mehr Männer als Frauen) begonnen, die ihre antihypertensiven Medikamente (eines oder mehrere, generell aber alle) entweder abends vor dem Einschlafen (a) oder morgens nach dem Aufwachen (m) einnehmen mussten. Alle 292 teilnehmenden Ärzte waren zuvor im „Ambulanten Blood Pressure Monitoring“ (ABPM) trainiert worden. Während der mittleren Laufzeit der Studie (6,3 Jahre) wurde zu Beginn und mindestens einmal im Jahr das ABPM über 48 Stunden durchgeführt, und die Nacht- und Tageswerte von 2 Tagen wurden jeweils gemittelt. Die Auswertung der ABPM-Messungen erfolgte mit Hilfe eines automatischen Programms, und zwar insgesamt sowie auch getrennt nach Tag und Nacht. Insuffiziente Messungen (zu viele fehlende Messpunkte) wurden wiederholt. Der Blutdruck in der Praxis („Office“-Blutdruck = OBP) wurde bei allen Visiten nach 10 Minuten Sitzen aus 3 Messungen gemittelt („Omron“-Automat). Die Studie war prospektiv, randomisiert, aber offen. Folgende Antihypertensiva-Klassen wurden angewendet: ACE-Hemmer, Sartane, Diuretika, Betablocker und Kalziumantagonisten. Sie wurden von den behandelnden Ärzten frei ausgewählt und gegebenenfalls kombiniert. Ausgeschlossen von der Studie waren Patienten mit sekundärer Hypertonie, Schichtarbeiter, Schwangere, Alkohol- und Drogenabhängige sowie Menschen mit bekannter HIV-Infektion. Endpunkte der Studie waren Parameter der Blutdruckkontrolle, die Letalität, alle kvE sowie die Nebenwirkungen. Die kvE wurden von unabhängigen Spezialisten aus den überweisenden tertiären Gesundheitszentren evaluiert, denen die Gruppenzugehörigkeit der Patienten nicht bekannt war.

Ergebnisse: Blutdruck: Vor Beginn der Zuordnung zur a-Gruppe (n = 9.532) oder m-Gruppe waren die mittleren systolischen und diastolischen OBP und die ABMP tags und nachts in beiden Gruppen identisch (OBP um 149/86 mm Hg). Die meisten Patienten waren vor Studienbeginn schon antihypertensiv behandelt. Während der Intervention war der durchschnittliche OBP in den beiden Gruppen jedoch unterschiedlich: in der a-Gruppe 140/81 mm Hg, in der m-Gruppe 143/82 mm Hg (p < 0,001). Die tagsüber gemessenen ABMP waren mit 129 mm Hg (a-Gruppe) vs. 129 mm Hg (m-Gruppe) identisch. Der nachts gemessene systolische Blutdruck war jedoch in der a-Gruppe um 3,3 mm Hg niedriger als in der m-Gruppe (p < 0,001). Der mittlere diastolische ABPM-Druck unterschied sich tagsüber zwischen den Gruppen nur um 0,4 mm Hg (nicht signifikant). Nachts hingegen war der diastolische ABPM unterschiedlich: in der a-Gruppe 64,5 mm Hg, in der m-Gruppe 66,1 mm Hg (p < 0,001). Bei Normotonikern fällt der ABPM-Blutdruck nachts deutlich ab (sog. Dipper). Unterschreitet der Unterschied zwischen Tag und Nacht (häufig bei Hypertonikern) ein gewisses Maß, dann spricht man von „Non-dipper“. Vor der Intervention war der Anteil der Non-dipper in den späteren a- und m-Gruppen mit 49,5% vs. 49% fast identisch. Währen der Intervention war der Anteil der Non-dipper in der a-Gruppe mit 37,5% hochsignifikant niedriger als in der m-Gruppe (50,3%; p < 0,001).

Letalität und kvE: Die Ergebnisse klinisch wichtiger Endpunkte sind in Tab. 1 dargestellt, wobei alle Daten mehrfach adjustiert wurden. Ähnlich günstigere Ergebnisse ergaben sich in der a-Gruppe fast uniform für weitere spezielle Endpunkte: ischämischer und hämorrhagischer Schlaganfall, Myokardinfarkt, koronare Revaskularisation, Herzinsuffizienz, transiente ischämische Attacke, Angina pectoris, periphere arterielle Gefäßkrankheit sowie Verschluss der A. retinalis. Alle Unterschiede waren mit p < 0,001 hochsignifikant.

Nebenwirkungen: Die von den Patienten bei den verschiedenen Visiten angegebenen Nebenwirkungen werden mit 6,0% (a-Gruppe) vs. 6,7% (m-Gruppe) angegeben. Nur 26 vs. 39 Patienten hatten nach ABPM-Kriterien einen zu niedrigen nächtlichen Blutdruck. Bei 2,9% vs. 2,8% der Patienten wurde bei den Visiten mangelnde Therapie-Adhärenz registriert.

Die Autoren führen die deutliche Reduktion von kvE bei abendlicher statt morgendlicher Antihypertensiva-Einnahme auf die stärkere nächtliche Blutdrucksenkung zurück; sie könnte durch eine Dämpfung des in den späteren Nachtstunden aktiv werdenden Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems vermittelt sein (3). Sie betonen, dass auch das Serum-Kreatinin bei abendlicher Medikation um 0,1 mg/dl niedriger gewesen sei als bei morgendlicher Einnahme (p < 0,001). Verschiedene andere Studien, in denen der nächtliche Blutdruck durch abendliche Zugabe verschiedener Antihypertensiva gesenkt werden sollte, seien in ihren Ergebnissen wenig überzeugend gewesen, vermutlich weil keine strikt vergleichende morgendliche Medikationsgruppe mitgeführt wurde. Hygia sei die erste randomisierte Vergleichsstudie mit strikt getrennter abendlicher und morgendlicher antihypertensiver Medikation und großer statistischer „Power“.

Diskussion: In der Publikation der Hygia-Studie lassen sich formal keine gravierenden Mängel erkennen. Allerdings fehlen detaillierte Angaben zu einzelnen Antihypertensiva. Die uniforme ca. 45%ige Reduzierung von Letalität und kvE allein durch die Verschiebung der antihypertensiven Medikation sehr unterschiedlicher Art und Dosierung vom Morgen auf den späten Abend erscheint allerdings ungewöhnlich hoch und muss durch weitere Studien überprüft werden. Im BMJ findet sich unter „Research News“ ein Kommentar von S. Mayor, der die Ergebnisse der Hygia-Studie aber eigentlich nur referiert (4). Zitiert wird darin die Einschätzung eines Professors für kardiovaskuläre Medizin an der Universität Sheffield, der die Ergebnisse der Hygia-Studie ebenfalls bestätigungsbedürftig findet, aber bei geeigneten Patienten die Umstellung auf abendliche Medikation durchaus empfiehlt.

Fazit: Eine große aus öffentlichen Mitteln finanzierte, randomisierte, kontrollierte nicht verblindete Studie zur antihypertensiven Therapie in 40 hausärztlichen Praxen untersuchte über 6,3 Jahre die klinischen Auswirkungen der Einnahme aller Antihypertensiva (eines oder mehrerer) kurz vor dem Einschlafen im Vergleich zur frühmorgendlichen Einnahme. Sie ergab, dass bei abendlicher Einnahme der mit ABPM mehrfach über 48 Stunden gemessene Blutdruck nachts deutlich besser und die Letalität sowie kardiovaskuläre Ereignisse uniform um ca. 45% gesenkt wurden. Diese in ihrem Ausmaß erstaunlich positiven Ergebnisse zugunsten der abendlichen Einnahme bedürfen der Bestätigung durch andere Arbeitsgruppen.

Literatur

  1. Hermida, R.C., et al. (Hygia chronotherapy trial): Eur. Heart J. 2019. Epub ahead of print. Link zur Quelle
  2. Hermida, R.C., et al. (MAPEC = Monitorización Ambulatoria de la Presión Arterial y Eventos Cardiovasculares): Chronobiol. Int. 2010, 27, 1629. Link zur Quelle
  3. Portaluppi, F., et al.: Sleep Med. Rev. 2012, 16, 151. Link zur Quelle
  4. Mayor, S.: BMJ 2019, 367, I6173. Link zur Quelle

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