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Medikamentöse Therapie bei COVID-19: Was wissen wir zu den aktuell empfohlenen, aber noch nicht zugelassenen Arzneimitteln?

Ein spezifisch für die Behandlung von COVID-19 zugelassenes Medikament gibt es derzeit weltweit nicht, jedoch eine Vielzahl von Wirkstoffen, deren antivirale Aktivität gegen SARS-CoV-2 bekannt ist oder postuliert wird (1-6). „Repurposed Drugs“ lautet das Wort der Stunde in der englischsprachigen Fachliteratur. Darunter versteht man Arzneimittel, die bereits zugelassen sind und jetzt in einem neuen Anwendungsgebiet genutzt werden sollen (7). Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) nennt in seiner aktuellen Pressemitteilung „Therapeutische Medikamente gegen die Coronavirusinfektion Covid-19“ u.a. 13 Medikamente, die teilweise für andere Indikationen bereits zugelassen wurden und jetzt in laufenden Projekten der pharmazeutischen Unternehmer hinsichtlich ihrer Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2 untersucht werden sollen (8). Auch die Zahl der inzwischen nicht mehr überschaubaren, mehr oder weniger seriösen Publikationen zu diesem Thema nimmt weiter rasant zu – ähnlich wie die Zahl der global mit SARS-CoV-2 infizierten Menschen (9).

Bei den wissenschaftlichen Publikationen zu den verschiedenen geprüften Wirkstoffen handelt es sich häufig um tierexperimentelle Untersuchungen bzw. in vitro Prüfungen der antiviralen Aktivität in Zellkulturen, aber auch um Kasuistiken bzw. unkontrollierte Studien, deren Aussagekraft naturgemäß gering ist. Auf die wenigen randomisierten kontrollierten Studien, deren Ergebnisse bereits vorliegen bzw. die derzeit geplant sind, gehen wir weiter unten ein.

Wenig belastbare Evidenz gibt es derzeit nicht nur hinsichtlich der Effektivität von nicht pharmakologischen Interventionen (z.B. „Social Distancing“ bzw. „Suppression“; 10, 11), sondern vor allem hinsichtlich der klinischen Wirksamkeit der aktuell vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) für die zentrale Beschaffung und Verteilung in deutschen Krankenhäusern empfohlenen Arzneimittel (12). Hierzu zählen Remdesivir, Chloroquin-haltige Arzneimittel, die Kombination von Lopinavir und Ritonavir (Kaletra®), sowie die in Japan zur Behandlung der Grippe (Favipiravir, Avigan®; 13) bzw. der chronischen Pankreatitis (Camostat, Foipan®) zugelassenen Arzneimittel. Camostat ist ein Hemmer der Serinproteasen, für den Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Primatenforschung kürzlich zeigen konnten, dass er ein für den Eintritt des SARS-CoV-2 in Lungenzellen erforderliches Enzym hemmt, die Protease TMPRSS2 („transmembrane protease serine 2“; 14). Keines der zuvor genannten Arzneimittel ist derzeit für die Behandlung von COVID-19 in Europa zugelassen. Ausdrücklich gewarnt werden muss deshalb vor unseriösen Berichten in der Presse, die einzelne Medikamente bereits als „Wundermittel“ gegen SARS-CoV-2 anpreisen. Erfahrungen aus den USA zeigen, dass nach vollmundigen Ankündigungen des US-Präsidenten Donald Trump zur „möglicherweise bahnbrechenden“ Therapie mit Chloroquin zur Behandlung von COVID-19 viele Gesunde sich aus Angst vor der Ansteckung massenweise dieses Arzneimittel verschreiben lassen und es deshalb Patienten, die Chloroquin beispielsweise zur Behandlung der Rheumatoiden Arthritis benötigen, nicht mehr zur Verfügung steht (15). Grundsätzlich sollten die zuvor genannten Medikamente nur in klinischen Studien eingesetzt werden oder ausnahmsweise im Rahmen von individuellen Heilversuchen bzw. Härtefallprogrammen, wobei dann ihre Wirksamkeit und Nebenwirkungen sorgfältig dokumentiert werden müssen.

Wir beschränken uns im Folgenden auf Chloroquinphosphat bzw. Hydroxychloroquinsulfat, Remdesivir und Lopinavir/Ritonavir, da zu diesen Wirkstoffen präklinische und klinische Untersuchungen vorliegen, die zumindest im Tierexperiment oder in vitro Aktivität gegen SARS-CoV-2 zeigten. Außerdem sind bereits erste Ergebnisse klinischer Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit dieser Arzneimittel publiziert, ganz vereinzelt auch aus randomisierten kontrollierten Studien.

Verschiedene, für die Behandlung anderer Virusinfektionen (z.B. Influenza, Cytomegalie-Retinitis, Hepatitis) eingesetzte Arzneimittel (z.B. Oseltamivir, Valganciclovir und Ribavirin) sind bei COVID-19 unwirksam (3). Vor der Anwendung eines Proteaseinhibitors zur Behandlung von HIV (Darunavir) hat der pharmazeutische Unternehmer Janssen kürzlich sogar ausdrücklich gewarnt, da derzeit weder aus in vitro Untersuchungen noch aus klinischen Studien Hinweise für eine Wirksamkeit von Darunavir gegen SARS-CoV-2 vorliegen (16).

Chloroquinphosphat (Resochin® ACA Müller) bzw. Hydroxychloroquinsulfat (Quensyl®, mehrere Generika): Diese Wirkstoffe sind in Deutschland zugelassen u.a. zur Prophylaxe und Therapie der Malaria sowie zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen (z.B. Lupus erythematodes und Rheumatoide Arthritis einschließlich juveniler chronischer Arthritis; 17, 18). Darüber hinaus wird Chloroquin schon einige Jahre in Kombination mit Doxycyclin gegen bakterielle Infektionen durch Coxiella burnetii und Tropheryma whipplei mit gutem Erfolg eingesetzt. Bei diesen Indikationen gibt es Langzeiterfahrungen, dass die Nebenwirkungen eher gering sind (19, 20).

Die antivirale Aktivität von Chloroquin in vitro ist seit mehr als 50 Jahren bekannt und eine Hemmung des Wachstums unterschiedlicher Viren konnte sowohl für Chloroquin als auch für Hydroxychloroquin nachgewiesen werden (21). Demgegenüber waren aber die Ergebnisse klinischer Studien bei viralen Infektionen (z.B. Influenza, HIV und Hepatitis) enttäuschend (22, 23). Interessant im Zusammenhang mit COVID-19 sind kürzlich publizierte Ergebnisse, die in vitro an Vero-E6-Zellen (etablierte Zelllinie aus normalen Nierenzellen von Grünen Meerkatzen; infizierbar mit einer Reihe von Viren) zeigen konnten, dass Chloroquin die Aktivität von SARS-CoV-2 hemmen kann, und zwar in Konzentrationen, die in vivo bei Patienten mit Rheumatoider Arthritis nach Gabe von 500 mg Chloroquin erreicht werden können (24). Ebenfalls an SARS-CoV-2-infizierten Vero-Zellen wurde in vitro nachgewiesen, dass Hydroxychloroquin bezogen auf die anti-SARS-CoV-2-Aktivität – ermittelt anhand der Konzentration mit halbmaximaler Wirkung (EC50) – potenter war als Chloroquin. Basierend auf diesen Ergebnissen und pharmakokinetischen Modellen wird derzeit für Hydroxychloroquin eine Anfangs- bzw. Aufsättigungsdosis von 400 mg zweimal täglich und anschließend als Erhaltungsdosis 200 mg zweimal täglich für 4 Tage empfohlen (25).

Auch erste klinische Daten aus einem chinesischen Register, in dem Therapieergebnisse von etwa 100 Patienten dokumentiert wurden, die in mehr als 10 chinesischen Krankenhäusern wegen einer Pneumonie bei SARS-CoV-2-Infektion mit Chloroquin oder Hydroxychloroquin behandelt wurden, sprechen für eine Wirksamkeit dieser Arzneimittel (26). Verhinderung einer Exazerbation der Pneumonie, Verbesserung der radiologischen Befunde, das Erreichen der Virus-Negativität und Verkürzung der Krankheitsdauer wurden beobachtet. Verantwortlich hierfür war nach Ansicht der Autoren neben der antiviralen Aktivität auch die antiinflammatorische Wirkung dieser beiden Wirkstoffe.

Eine offene, nicht randomisierte Studie aus Marseille berichtete kürzlich über positive Ergebnisse zur Wirksamkeit von Hydroxychloroquin in Kombination mit dem Antibiotikum Azithromycin (27). In dieser noch nicht abgeschlossenen Studie wurden Patienten im Alter > 12 Jahre mit bestätigter SARS-CoV-2-Infektion (mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) in nasopharyngealen Abstrichen dokumentierte Virusträger) in Marseille mit Hydroxychloroquin (dreimal 200 mg/d) behandelt und erhielten zusätzlich – abhängig von der klinischen Situation – zur Prävention einer bakteriellen Superinfektion das Antibiotikum Azithromycin. Verglichen wurde diese Behandlungsgruppe mit Patienten aus Marseille und anderen französischen Kliniken, die nur eine symptomatische Behandlung und ggf. Antibiotika erhielten. Die Viruslast wurde täglich anhand von Abstrichen aus dem Nasenrachenraum bestimmt. Als Endpunkt der Studie wurde der Virusnachweis (positiv oder negativ) am Tag 6 nach Einschluss in die Studie gewertet. Insgesamt wurden 42 Patienten in diese Studie eingeschlossen, von denen für Nachuntersuchungen allerdings 6 mit Hydroxychloroquin behandelte Patienten nicht zur Verfügung standen wegen vorzeitiger Beendigung der medikamentösen Behandlung (27). Sechs der ausgewerteten Patienten waren initial asymptomatisch, 22 hatten infektionsbedingte Symptome im Bereich der oberen Atemwege und 8 im Bereich der unteren Atemwege. Mit Hydroxychloroquin wurden 20 Patienten behandelt und 16 Patienten dienten als Kontrolle. Bei den mit Hydroxychloroquin behandelten Patienten zeigte sich eine signifikante Reduktion der Viruslast am Tag 6, wobei Azithromycin nach Angabe der Autoren die virale Elimination verstärkte.

Die Aussagekraft dieser Studie ist jedoch äußerst gering, da die Infektion mit SARS-CoV-2 auch ohne spezifische medikamentöse Behandlung ausheilen kann. Außerdem wurde die Reduktion der Viruslast in Abstrichen aus dem Nasenrachenraum und nicht der Lunge – dem entscheidenden Ort der Virusreplikation von SARS-CoV-2 – nachgewiesen. Infolge des nicht randomisierten Designs dieser Studie an sehr wenigen Patienten unterschieden sich die beiden Gruppen deutlich in den demographischen Merkmalen (z.B. medianes Alter der mit Hydroxychloroquin behandelten Patienten 51,2 Jahre vs. 37,3 Jahre in der Kontrollgruppe), aber auch hinsichtlich der Symptome und der mittels PCR nachgewiesenen Viruslast zu Beginn der Behandlung (63). Zudem sind bei der kombinierten Behandlung mit Hydroxychloroquin (oder Chloroquin) und Azithromycin potenziell gefährliche Interaktionen (z.B. QT-Verlängerung) zu beachten (28).

Aufgrund der vermuteten, bisher allerdings durch klinische Studien nicht überzeugend belegten besseren Wirksamkeit und Verträglichkeit bei COVID-19, aber auch des insgesamt etwas geringeren Risikos für potenziell bedrohliche Arzneimittelinteraktionen (28) wird derzeit Hydroxychloroquin für die Behandlung von COVID-19 eher vorgeschlagen als Chloroquin (25). Chloroquin-haltige Arzneimittel gehören zu den Wirkstoffen, für die das BMG eine zentrale Beschaffung zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 und schweren (pulmonalen) Verlaufsformen organisiert hat (12).

Remdesivir: Dies ist ein weiterer, derzeit in klinischen Studien intensiv geprüfter Wirkstoff zur Behandlung von COVID-19. Da Remdesivir derzeit über keine Zulassung verfügt, kann der Einsatz nur in klinischen Studien erfolgen oder aber im Rahmen eines „Härtefall-Programms“ („Compassionate use“) mit genauer Dokumentation des klinischen Verlaufs der behandelten Patienten bzw. im Einzelfall auch als „individueller Heilversuch“. Remdesivir, das ausschließlich intravenös appliziert werden kann, wird heute bereits in nationalen und internationalen Empfehlungen zur medikamentösen Behandlung von COVID-19 erwähnt (29), ist jedoch derzeit kommerziell als Medikament nicht verfügbar (30).

Remdesivir ist ein Nukleotid-Prodrug mit in vitro breiter antiviraler Aktivität gegenüber unterschiedlichen RNA-Viren. Ähnlich wie bei anderen antiviralen Wirkstoffen – beispielsweise in der Therapie von Hepatitis- sowie HIV-Infektionen – wird hier durch einen falschen Baustein für die virale Polymerase der RNS-Kettenaufbau abgebrochen. Aufgrund der in vitro Ergebnisse an Zelllinien und im Mausmodell wird vermutet, dass Remdesivir mit der NSP12-Polymerase – einem Enzym erforderlich für das vollständige Repertoire der Aktivitäten wie Replikationsrate des Virus und Transkription – interferiert (3). Darüber hinaus konnte an humanen epithelialen Zellen des Respirationstrakts gezeigt werden, dass Remdesivir die Replikation unterschiedlicher Coronaviren, einschließlich MERS-CoV, hemmt und in Experimenten in der Maus über therapeutische Aktivität sowohl gegen SARS-CoV als auch MERS-CoV verfügt (31). Kürzlich wurde auch über eine prophylaktische und therapeutische Wirksamkeit berichtet am Rhesusmakaken-Modell mit MERS-CoV-Infektion. In dieser tierexperimentellen Untersuchung konnte Remdesivir den Schweregrad der MERS-CoV-Infektion, die Virusreplikation sowie die Lungenschädigung reduzieren, wenn der Wirkstoff entweder vor oder nach Infektion der Rhesusaffen gegeben wurde (31). Diese Ergebnisse interpretierten die Autoren als Hinweis darauf, dass Remdesivir ein erfolgversprechendes Arzneimittel für die Behandlung von MERS ist und möglicherweise auch nützlich sein könnte in der Behandlung von COVID-19. Hierfür sprechen auch die bereits erwähnten in vitro Ergebnisse hinsichtlich der Hemmung von mit SARS-CoV-2 infizierten Vero-E6-Zellen (24).

Remdesivir wurde ursprünglich zur Behandlung der seltenen und lebensbedrohlichen Ebola-Viruskrankheit entwickelt. In einer randomisierten kontrollierten Studie an insgesamt 681 Patienten wurde Remdesivir mit drei unterschiedlichen monoklonalen Antikörpern verglichen. Eine Interimsanalyse der Studie ergab jedoch eine Unterlegenheit von Remdesivir und einem der monoklonalen Antikörper (ZMapp) im Vergleich zu den beiden anderen monoklonalen Antikörpern (MAb114 und REGN-EB3) hinsichtlich der Vermeidung von Todesfällen (32, 33).

Über den klinischen Verlauf des ersten Patienten mit bestätigter SARS-CoV-2-Infektion in den USA wurde im März 2020 im N. Engl. J. Med. berichtet (34). Dieser 35-jährige Patient, der sich vermutlich bei einer Reise nach China infiziert hatte, wurde zunächst wegen nicht produktivem Husten, abdominellen Beschwerden, intermittierendem Fieber und zeitweilig Tachykardien nur symptomatisch behandelt. Bei einer zweiten Röntgenaufnahme des Thorax (9 Tage nach Krankheitsbeginn) fand sich eine Pneumonie im Unterlappen der linken Lunge und gleichzeitig verschlechterte sich die Sauerstoffsättigung. Daraufhin wurde eine antibiotische Therapie mit Vancomycin und Cefepim begonnen. Nur einen Tag später wurde wegen Verschlechterung der radiologischen Befunde im Sinne einer atypischen Pneumonie mit entsprechenden Auskultationsbefunden auch eine antivirale Behandlung mit Remdesivir als „Compassionate use“ begonnen und die antibiotische Therapie beendet. Am darauffolgenden Tag verbesserten sich der klinische Zustand des Patienten sowie die Auskultationsbefunde und Symptome. Unklar ist jedoch, ob dies auf Remdesivir zurückzuführen ist. Die Autoren dieser Kasuistik betonen zu Recht, dass Wirksamkeit und Sicherheit von Remdesivir nur im Rahmen randomisierter kontrollierter Studien beurteilt werden können (34).

In den USA hat im Februar 2020 im „University Nebraska Medical Center“ unter Beteiligung von bis zu 50 Kliniken eine multizentrische adaptive, randomisierte, doppelblinde und plazebokontrollierte Studie begonnen an Patienten mit COVID-19, die vom „National Institute of Allergy and Infectious Diseases“ gesponsert wird (35). Verglichen wird in dieser Studie zunächst „Placebo Remdesivir“ mit intravenösem Remdesivir 200 mg an Tag 1, gefolgt von 100 mg täglich als Erhaltungsdosis für die Dauer der Hospitalisierung bzw. bis maximal 10 Tage. Geplant ist derzeit der Einschluss von jeweils 197 Patienten in die zweiarmige Studie. Wenn sich ein Arm als überlegen zeigt, soll dieser Arm als Kontrollarm für den Vergleich mit neuen experimentellen Wirkstoffen dienen. Die Randomisierung erfolgt stratifiziert nach Klinik und Schweregrad der pulmonalen Beeinträchtigung. Primärer Endpunkt ist die klinische Wirksamkeit der verabreichten Therapie; sekundäre Endpunkte sind u.a. Dauer der Hospitalisierung, Mortalität und Sicherheit der medikamentösen Intervention.

Weitere klinische Studien zu Remdesivir laufen auch bereits in China. Vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Deutschland wurden zwei Phase-III-Studien mit Remdesivir an Patienten mit COVID-19 genehmigt, an denen sich derzeit vier deutschen Zentren (Düsseldorf, Hamburg und zwei Kliniken in München) beteiligen (36).

Lopinavir und Ritonavir: Die Kombination von Lopinavir plus Ritonavir (Kaletra®), inzwischen auch als Generikum erhältlich (Lopinavir/Ritonavir Mylan®), wird bereits seit vielen Jahren erfolgreich zur Behandlung von HIV-Infektionen eingesetzt, teilweise in Kombination mit anderen retroviralen Arzneimitteln. Lopinavir und auch Ritonavir hemmen ein an der Vermehrung von HIV beteiligtes Schlüsselenzym, die sog. HIV-Protease. Hierfür ist in erster Linie Lopinavir (200 mg pro Tabl.) verantwortlich, während Ritonavir (50 mg pro Tabl.) als pharmakokinetischer „Verstärker“ (Booster) dient durch Hemmung von Cytochrom P450 (CYP3A) und somit der Metabolisierung von Lopinavir in der Leber. Dies bewirkt über einen längeren Zeitraum anhaltend hohe Wirkspiegel von Lopinavir im Blut. Inzwischen wurde Lopinavir plus Ritonavir auch bei Patienten mit COVID-19 eingesetzt, da dieses Arzneimittel die Serin-Protease TMPRSS2 blockiert, die das virale S-Protein von SARS-CoV-2 für die Infektion von Zellen vorbereitet.

Positive Ergebnisse aus Kasuistiken (37-39), die aufgrund der Verminderung der Viruslast und Besserung klinischer Symptome nach Gabe von Lopinavir plus Ritonavir eine gute antivirale Wirksamkeit vermuten ließen, haben sich in einer kürzlich im N. Engl. J. Med. veröffentlichten randomisierten, kontrollierten Studie jedoch nicht bestätigt (40). Diese Studie rekrutierte vom 18. Januar bis 3. Februar 2020 im Jin Yin-Tan-Krankenhaus in Wuhan insgesamt 199 Patienten. Erwachsene Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion, radiologisch bestätigter Pneumonie und einer Sauerstoffsättigung von ≤ 94% bei Raumluft-Atmung bzw. Oxygenierungsindex PaO2:FiO2 ≤ 300 mm Hg erhielten neben einer Standardbehandlung entweder Lopinavir/Ritonavir (400 mg/100 mg) zweimal täglich für 14 Tage (n = 99) oder nur die Standardbehandlung (n = 100). Sowohl die Dauer bis zur klinischen Besserung als auch die Mortalität nach 28 Tagen unterschieden sich nicht signifikant. Auch der Prozentsatz an Patienten mit nachweisbarer viraler RNA war an unterschiedlichen Zeitpunkten ähnlich. Ob diese fehlende Wirksamkeit aus dem relativ späten Beginn der Behandlung mit Lopinavir/Ritonavir (Intervall zwischen Beginn der Symptomatik und Randomisierung betrug 13 Tage) resultierte und auch für Patienten mit schwerer Erkrankung gilt, müssen weitere klinische Studien klären.

Inzwischen wurde u.a. von der WHO und dem französischen „Institut National de la Santé Et de la Recherche Médicale“ (INSERM) der Beginn internationaler, multizentrischer randomisierter kontrollierter Studien mit adaptivem Design angekündigt, in denen die o.g. Wirkstoffe (Chloroquin bzw. Hydroxychloroquin, Remdesivir, Lopinavir/Ritonavir ± Interferon beta) hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Verträglichkeit bei Patienten mit COVID-19 untersucht werden (41, 42). Sowohl in der WHO-Studie („Solidarity“) als auch in der Studie des INSERM („Discovery“) werden die unterschiedlichen medikamentösen Therapiearme mit der derzeitigen supportiven Standardbehandlung in Krankenhäusern verglichen (43, 44). Als Vorteil des adaptiven Designs wird die rasche Beendigung desjenigen experimentellen Therapiearms gesehen, der sich als wenig wirksam oder sogar als unwirksam erwiesen hat, und dann sofort ersetzt werden kann durch einen Therapiearm mit einem neuen, bisher klinisch unzureichend untersuchten Wirkstoff. Wesentliches Ziel dieser klinischen Studien mit adaptivem Design ist es, den Entwicklungsprozess neuer medikamentöser Therapien zu beschleunigen und vor allem rasch auf guter Evidenz basierende Erkenntnisse zu neuen Arzneimitteln zu generieren. Gleichzeitig besteht jedoch bei derartigen Studien immer das Risiko, dass infolge von Zugeständnissen an die Randomisierung und Verblindung eine Verzerrung der Ergebnisse auftritt und dadurch die Integrität bzw. Aussagekraft der Studie gefährdet wird (45).

An der von der WHO initiierten klinischen Studie („Solidarity Trial“), in die am 27. März 2020 der erste Patient (aus Norwegen) eingeschlossen wurde (46), sind inzwischen mehr als 45 Länder beteiligt, darunter auch Deutschland. Für die von INSERM koordinierte „Discovery“-Studie sollen nach Beginn in 5 französischen Krankenhäusern Patienten aus weiteren 8 europäischen Ländern (u.a. Deutschland) rekrutiert werden (42).

Empfehlungen zum klinischen Vorgehen bei Patienten mit COVID-19: Es gibt inzwischen zahlreiche Empfehlungen zur medikamentösen Behandlung und zur intensivmedizinischen Therapie dieser Patienten, insbesondere bei Nachweis einer Pneumonie bzw. eines „Acute Respiratory Distress Syndrome“ (ARDS) im späteren Verlauf der Erkrankung.

Für die medikamentöse Behandlung werden derzeit in erster Linie die oben ausführlicher dargestellten Wirkstoffe empfohlen: Remdesivir, Chloroquin bzw. Hydroxychloroquin, Lopinavir/Ritonavir und auch Camostat. Für Camostat müssen allerdings Ergebnisse erster klinischer Studien noch eine Wirksamkeit dieses ACE2 blockierenden Wirkstoffs zeigen (14, 47). Empfohlen wird meist ein früher Behandlungsbeginn, wenn Symptome bestehen, die auf eine Beteiligung der Atemwege hinweisen (47, 48). Eine routinemäßige Verordnung von Glukokortikosteroiden bei schwerer pulmonaler Erkrankung bzw. ARDS sollte nicht erfolgen, da hierdurch die virale Clearance verzögert und das Pilzwachstum begünstigt wird (47, 49, 50). Als Ausnahmen gelten die Gabe von niedrig dosiertem Hydrokortison bei septischem Schock sowie bei akuter Exazerbation eines bereits bekannten Asthma bronchiale bzw. einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (47, 49).

Da einige Patienten infolge ihrer schweren Erkrankung mit einer überschießenden Immunantwort („Zytokinsturm“) reagieren, kann auch der Einsatz des gegen den IL6-Rezeptor gerichteten Antikörpers Tocilizumab (RoActemra®) erwogen werden. Dieser monoklonale Antikörper ist allerdings bisher nur zugelassen für die Behandlung der aktiven und progressiven Rheumatoiden Arthritis (51). Für die Wirksamkeit der Blockade des IL-6-Rezeptors oder sogar von IL6 sprechen erste Fallberichte aus China, die nach Gabe von Tocilizumab bei schwerem Verlauf von COVID-19 über einen Rückgang des Fiebers sowie rasche Besserung der weiteren klinischen Symptome berichten (52). Roche als Inhaber der Zulassung von RoActemra® hat bereits eine Phase-III-Studie bei Patienten mit COVID-19 und ARDS begonnen (53). Dieser Ansatz wird auch von den amerikanischen und europäischen Zulassungsbehörden unterstützt (52). Möglicherweise wäre aber ein früherer Beginn mit Tocilizumab sinnvoll, um bereits bei einem Abfall der Sauerstoffsättigung unter 94% das Auftreten eines lebensbedrohlichen Zytokinsturms zu verhindern, noch bevor sich ein ARDS entwickelt hat.

Die bei Virusinfektionen unwirksamen Antibiotika sollten nicht prophylaktisch gegeben werden, sondern nur bei klinisch und laborchemisch (z.B. deutliche Erhöhung des Procalcitonins) gut begründetem Verdacht auf eine bakterielle Koinfektion. Zuvor sollten jedoch stets mindestens zwei aerobe und anaerobe Blutkulturen abgenommen werden (49).

Weitere nützliche Informationen für die Behandlung von Patienten mit COVID-19-Infektion und schwerer pulmonaler Beteiligung finden sich u.a. in den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (49), den vorwiegend für eine primärärztliche Leserschaft erstellten „Benefits“ von Prof. Dr. M. Kochen (über 54 erhältlich), im „The Internet Book of Critical Care“ (55), das auch als Grundlage des COVID-19 Update der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (30) diente, sowie in den Handlungsempfehlungen der WHO (56) und des National Institute for Health and Care Excellence (NICE). NICE hat neben Empfehlungen zur allgemeinen Intensivbehandlung (57) auch solche für Patienten mit speziellen Begleiterkrankungen, z.B. Krebs (58), Strahlentherapie (59) und dialysepflichtige Niereninsuffizienz (60) veröffentlicht. Auch von den hämatologischen und onkologischen Fachgesellschaften in Deutschland, Österreich und der Schweiz sind informative Empfehlungen – u.a. zu Risikofaktoren, Diagnostik und Therapie von Patienten mit Blut- und Krebserkrankungen – veröffentlicht worden (61).

Bürgerinnen und Bürger bzw. Patienten finden Hinweise auf aktuelle und verlässliche Webseiten mit verständlichen Informationen zu COVID-19 bei (62).

Angesichts der raschen globalen Ausbreitung des SARS-CoV-2, den besonders bei älteren Menschen mit Vorerkrankungen auftretenden lebensbedrohlichen Pneumonien, der Dynamik in der Erforschung von COVID-19 sowie der Entwicklung neuer pharmakologischer Interventionen kann dieser Artikel nur eine Momentaufnahme sein. Wir werden deshalb unsere Leser auch in den nächsten Ausgaben des ARZNEIMITTELBRIEFs zeitnah über bereits initiierte bzw. geplante klinische Studien und ihre Ergebnisse informieren.

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