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Sublinguale Hyposensibilisierung – empfehlenswert?

Seit etwa einem Jahr sind in Europa unter dem Handelsnamen Grazax® Sublingualtabletten zur Hyposensibilisierung bei durch Gräserpollen induzierter Rhinitis und Konjunktivitis zugelassen („Die Grastablette”; 1). Das Präparat enthält Allergene aus Pollen vom Wiesenlieschgras und ist nur für Erwachsene zugelassen, bei denen durch Tests erwiesen ist, dass die Symptome auch wirklich durch Gräserpollen ausgelöst sind. Laut Fachinformation muss die tägliche Einnahme schon mindestens vier Monate vor Beginn der Allergiesaison, also im Spätherbst oder frühen Winter, begonnen werden. Rechnet man die Allergiezeit hinzu, dann wird vom Hersteller eine mindestens sechsmonatige Therapie empfohlen. Erstaunlicherweise ist Grazax® in Österreich schon in der „Green box” und nicht genehmigungspflichtig. Es soll aber nur von Fachärzten für Allergologie, HNO, Pädiatrie bzw. Pulmologie verschrieben werden. Die Tagestherapiekosten liegen bei 3,60 EUR. Bevor man sich aber für diese teure Therapie entscheidet, sollten möglicher Nutzen und Risiken sorgfältig abgewogen werden.

Zum Thema sublinguale Hyposensibilisierung wurde 2003 ein Cochrane Review (2) publiziert. Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass die sublinguale Hyposensibilisierung die Allergiesymptome im Vergleich zu Plazebo signifikant vermindert und den Medikamenteneinsatz bei allgergischer Rhinitis reduziert. Zum Vergleich der verschiedenen Strategien der Hyposensibilisierung (sublingual vs. s.c. Injektion) gibt es jedoch keine qualitativ guten Studien. Die Wirksamkeit der sublingualen Hyposensibilisierung wurde bisher auch nur unter kontinuierlicher Einnahme untersucht. Ob nach Absetzen der Medikation noch ein Effekt fortbesteht, ist nicht bekannt. Dieser Cochrane-Review ist daher im Hinblick auf Langzeiteffekte nicht sehr hilfreich.

Eine Arbeitsgruppe innerhalb der American Academy of Allergy, Asthma and Immunology (AAAAI) hat hingegen die Wirksamkeit der sublingualen Therapie akzeptiert. Es wurde aber auch darauf hingewiesen, dass es noch zahlreiche Unklarheiten im Rahmen der Anwendung gibt, und dass es verhältnismäßig häufig zu überwiegend lokalen UAW kommt. Die AAAAI empfiehlt daher Zurückhaltung beim Einsatz der sublingualen Hyposensibilisierungstherapie. In den USA gibt es derzeit keine hierfür zugelassenen Präparate (3).

Betrachtet man die Datenlage speziell im Hinblick auf Grazax®, so liegen zwei plazebokontrollierte randomisierte multizentrische Studien vor. In der ersten Studie (4) waren 855 Patienten eingeschlossen, die in sechs Arme randomisiert wurden. Nur 294 Patienten erhielten die empfohlene und auf dem Markt befindliche Dosierung von 75 000 SQ-T (Standardized Quality Tablet Units). 286 Patienten erhielten Plazebo, die übrigen niedrigere Dosen des Allergenextrakts (2 500 oder 25 000 SQ-T). Die Analyse erfolgte „per protocol”. 9,2% der Patienten der Interventions- und 7,7% der Kontroll-Gruppen schlossen die Studie nicht ab und kamen daher nicht in die Auswertung. Mit Prick- und IgE-Test musste die Graspollenallergie nachgewiesen sein. Mit einem speziellen Score-Verfahren wurde die Intensität der Symptomatik und der zusätzlich notwendigen antiallergischen Therapie (hier wurde entweder Loratadin oder Plazebo gegeben) in der Pollenperiode gemessen. 75% der Patienten erhielten die sublinguale Therapie oder Plazebo schon vor der Pollenperiode. Die Allergiesymptomatik war über den gesamten Beobachtungszeitraum in der mit Verum behandelten Gruppe nicht signifikant geringer (Score-Verbesserung um 16%; p = 0,071). Der Score für die zusätzlich notwendige antiallergische Medikation besserte sich um 28% (p = 0,047). Nur in der Zeit des intensivsten Pollenflugs konnte auch beim Symptomscore ein knapp signifikanter Effekt erzielt werden (Besserung um 16%; p = 0,047). Eine separate Analyse der Patienten, die mindestens acht Wochen vor der Allergie-Saison mit der Einnahme begonnen hatten, zeigte etwas bessere Ergebnisse (Symptomscore-Verbesserung 21%; p = 0,002; Medikationsscore-Verbesserung 29%; p = 0,012). Die zweite, ähnlich aufgebaute Arbeit (5) untersuchte 634 Patienten. Zwar konnte hinsichtlich der Symptomatik und der zusätzlich notwendigen Medikamente eine signifikant positive Wirkung über den Einnahmezeitraum dokumentiert werden (Symptomscore-Verbesserung um 29%; p < 0,0001; Medikationsscore-Verbesserung um 37%; p > 0,0001), aber auch diese Studie wurde – bei einer Abbruchrate von 14% – per protocol ausgewertet. Die Abbruchrate wegen UAW war unter Verum doppelt so hoch wie unter Plazebo.

Bei der Beurteilung der Studien muss also folgendes bedacht werden. Die hohe Rate von UAW in der Interventionsgruppe (insgesamt über 80%), führte zu einer höheren „Drop-out-Rate”, so dass der Effekt der Therapie in der hier angewendeten Per-protocol-Analyse günstiger erscheint als er ist. Die UAW sind auch der Fachinformation zu entnehmen (1).

Sehr häufig (> 1/10) treten auf: Halsreizung, Niesen, Mundödem, oraler Pruritus, Juckreiz in den Ohren. Als häufige UAW (> 1/100) werden Müdigkeit, pharyngeale Schwellung, Dyspepsie und Übelkeit, orale Missempfindungen, orale Schleimhautbläschen, geschwollene Zunge, Glossodynie, Pruritus, Kopfschmerzen, Juckreiz in den Augen, Konjunktivitis, Rhinitis, Husten und asthmatische Reaktionen angegeben. In einer Arbeit wurde nach höherer Dosierung (375 000 SQ-T statt 75 000 SQ-T) ein lebensbedrohlicher Laryngospasmus beobachtet. Aber auch unter der zugelassenen Dosierung wird in einer Studie eine behandlungspflichtige Schwellung des Pharynxbereichs beschrieben (6). Einige UAW sind unseres Erachtens so häufig, dass in den Studien eine effektive Verblindung sowohl des behandelnden Arztes als auch der Patienten wahrscheinlich unmöglich war. Damit ist die Methodik, die subjektive Befunde auswertet, obsolet. Hinweise auf Langzeitwirkungen fehlen bisher. Beide Studien wurden von der Herstellerfirma unterstützt.

Fazit: Die Daten zur Wirksamkeit von Grazax® wurden an erwachsenen Patienten mit für Graspollenallergie positivem Prick-Test und erhöhten IgE-Globulinen erhoben. Nur für diese Gruppe gilt die Zulassung. Unerwünschte Wirkungen sind häufig. Die Untersuchungsmethodik ist nicht überzeugend. Die Ergebnisse müssen in unabhängigen Untersuchungen bestätigt werden, bevor die sublinguale Hyposensibilisierung trotz der UAW empfohlen werden kann.

Literatur

  1. Fachinformation Grazax-Alk-Scherax: Link zur Quelle
  2. Wilson, D.R., et al.: Cochrane Library – 2003 – Systematic Review – CD002893
  3. Cox, L., et al.: J. Allergy Clin. Immunol. 2006, 117, 1021. Link zur Quelle
  4. Durham, S.R., et al.: J. Allergy Clin. Immunol. 2006, 117, 802. Link zur Quelle
  5. Dahl, R., et al.: J. Allergy Clin. Immunol. 2006, 118, 434. Link zur Quelle
  6. Malling, H.J., et al.: J. Invest. Allergol. Clin. Immunol. 2006, 16, 162. Link zur Quelle