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Dehydroepiandrosteron – ein menschliches Juvenilhormon?

Das Nebennierenrinden-Steroid Dehydroepiandrosteron (DHEA, Prasteron) ist seit einiger Zeit Liebling der medizinischen Laienpresse und damit der jüngste Nachfolger von Melatonin. Was ist der Grund hierfür? Bis vor kurzem waren keine spezifischen Effekte dieses Steroids beim Menschen bekannt. Es wurde 1934 von Butenandt im menschlichen Urin entdeckt. 1950 isolierte E.E. Baulieu aus einem großen menschlichen Nebennierentumor große Mengen des Sulfats von DHEA und zeigte damit, daß das im Blut in großen Mengen zirkulierende Sulfat (DHEAS) nicht, wie man bisher annahm, überwiegend in der Leber aus DHEA gebildet, sondern von der Nebenniere selbst sezerniert wird.

Die fetale Nebenniere sezerniert große Mengen DHEA, das durch die Plazenta überwiegend in Östriol umgewandelt wird und dann im Kreislauf der Mutter zirkuliert. Nach der Geburt hört die kindliche Nebenniere sehr bald auf, größere Mengen DHEA und DHEAS zu bilden. Zwischen dem 5. und 8. Lebensjahr – mit Ausbildung der Zona reticularis der Nebenniere – steigt die Sekretion von DHEAS aber wieder an und erreicht zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr ihr Maximum. Danach fallen Sekretion und Plasmakonzentration von DHEAS progredient ab und erreichen im 8. und 9. Lebensjahrzehnt sehr niedrige Werte (10 bis 20% des jugendlichen Maximums). Im 3. Lebensjahrzehnt ist DHEAS das von der Nebennierenrinde in absolut größter Menge sezernierte Steroid (ca. 25 mg/d, verglichen mit Cortisol: 10 bis 20 mg/d). Während das freie DHEA eine Halbwertzeit von 20 bis 30 Minuten hat, ist die des Sulfats wesentlich länger mit 7 bis 10 Stunden. Infolge des sehr geringen Metabolismus von DHEAS ist seine Plasmakonzentration extrem hoch: ca. 10 µmol/l, im Vergleich DHEA ca. 10 nmol/l; Cortisol: ca. 400 nmol/l (E.E. Baulieu: J. Clin. Endocrinol. Metab. 1996, 81, 3147).

Worin besteht nun die physiologische Bedeutung von DHEA und seinem Sulfat? Beide Steroide gelten als Präandrogene, haben aber selbst keine Affinität zum Androgen- oder Östrogen-Rezeptor. Auf dem Umweg über Androstendion kann DHEA (oder DHEAS nach Abspaltung der Sulfatgruppe) in Testosteron und Dihydrotestosteron umgewandelt werden. Testosteron wiederum kann zu Östrogenen aromatisiert werden. Diese Umwandlung in Androgene und Östrogene kann in der Leber, im Fettgewebe, in der Muskulatur und vermutlich auch im Gehirn erfolgen. Der relative Schutz etwas adipöser postmenopausaler Frauen vor Osteoporose wird u.a. auf die Umwandlung von DHEA in Östron im Fettgewebe zurückgeführt. Es ist nun vermutet worden, daß der physiologische Kräfteabbau mit fortschreitendem Alter auch mit der Abnahme der Plasmakonzentration von DHEA und seinem Sulfat zusammenhängt. Hierfür gibt es jedoch keine Beweise. Zwar wurden in Tierversuchen alle möglichen Effekte von DHEA in pharmakologischer Dosis nachgewiesen, jedoch handelt es sich hierbei um unphysiologische Effekte, da alle Versuchstiere, inklusive Affen, DHEA und sein Sulfat nur in sehr geringen Mengen sezernieren. Günstig erscheinende Effekte von DHEA bei Kaninchen waren die Verhinderung von Arteriosklerose bei Fütterung einer atherogenen Diät, der protektive Effekt gegenüber viralen und bakteriellen Infektionen sowie die Verminderung der Involution der Thymusdrüse nach Applikation von Glukokortikoiden. DHEA kann offenbar im Gehirn der Ratte metabolisiert werden und gehört deshalb zur Klasse der Neurosteroide. Es hat eine stimulatorische Wirkung auf GABA-Rezeptoren und vermindert die Aggressivität kastrierter Männchen gegenüber Weibchen. Auch die Lernfähigkeit des Rattengehirns soll durch DHEA verbessert werden. In dieser Hinsicht sind Effekte beim Menschen nicht bekannt.

Als Medikament ist DHEAS potentiell von Interesse bei Patienten mit zugrundegegangenen Nebennieren (M. Addison) oder mit Zustand nach bilateraler Adrenalektomie. Bei diesen Patienten sind die Plasmakonzentrationen von DHEA und seinem Sulfat extrem niedrig. Zwar ist die Lebenserwartung von Patienten mit M. Addison bei kunstgerechter (und krisengerechter) Substitution mit Glukokortikoiden und Mineralokortikoiden annähernd normal. Postmenopausale Frauen mit M. Addison tendieren jedoch zu einer stärkeren Osteoporose als Frauen mit gesunden Nebennieren. Auch gewinnen nicht alle Patienten mit M. Addison unter kunstgerechter Substitution mit Gluko- und Mineralokortikoiden ihre prämorbide Körperkraft zurück. Es wäre durchaus logisch, DHEA oral dauerhaft in Dosen zu applizieren, die den Blutspiegel von DHEA und DHEAS bei diesen Patienten in den Normalbereich (jugendliches Maximum oder in altersgemäße Höhe) anheben. Entsprechende Studien sind kürzlich begonnen worden.

Angesichts der referierten Daten über die Abnahme der DHEA-Konzentration im Blut älterer Menschen war es eine unwiderstehliche Idee, den Effekt einer „Substitution“ von DHEA bei alternden Menschen auf verschiedene Körperfunktionen zu untersuchen. Die Ergebnisse einer solchen Studie, allerdings nur von dreimonatiger Dauer, wurden 1994 von A.J. Morales et al. (J. Clin. Endocrinol. Metab. 1994, 78, 1360) veröffentlicht. Dreißig Männer und Frauen im Alter zwischen 40 und 70 Jahren nahmen an einer randomisierten, plazebokontrollierten Crossover-Studie teil, in der drei Monate lang 50 mg DHEA einmal tgl. oder eine Plazebo-Tbl. eingenommen wurde. Untersucht wurden die Blutspiegel von DHEA, DHEAS, verschiedene Androgene und Östrogene, Blutlipide, Blutzucker, lnsulinresistenz, Körpergewicht, Körperfettmasse und, mittels einer anzukreuzenden graduierten Skala, das körperliche und psychische Wohlbefinden.

Ergebnisse: Die Dosis von 50 mg DHEA/d war ausreichend, bei Männern und Frauen den Blutspiegel von DHEA und DHEAS auf denjenigen junger Erwachsener anzuheben. Bei den Frauen verdoppelte bis verdreifachte sich die Plasmakonzentration von Androstendion, Testosteron und Dihydrotestosteron, während bei Männern nur der Androstendion-Spiegel etwas anstieg (Männer haben viel höhere endogene Testosteron- und Dihydrotestosteron-Konzentrationen als Frauen). Das Körpergewicht, der Blutzucker und die Insulinempfindlichkeit änderten sich nicht. Die Blutfette änderten sich bei Männern nicht, bei Frauen kam es zu einem leichten signifikanten Abfall der als „protektiv“ geltenden Cholesterinfraktion HDL. Das ebenfalls untersuchte Wachstumshormon änderte sich nicht. Jedoch kam es zu einem deutlichen Anstieg des unter der Wirkung von Wachstumshormon in der Leber gebildeten Hormons Insulin-Like-Growth-Faktor I (IGF-l) und zu einer Abnahme des IGF-I-bindenden Proteins IGFBP-1. Der Quotient IGF-l : IGFBP-1 nahm um 50% bei beiden Geschlechtern zu. Somit nahm auch die freie Konzentration von IGF-I zu. Dieses Protein, das die anabole Wirkung von Wachstumshormon auf den Körper vermittelt, nimmt im Alter ebenfalls deutlich ab. Auf dieser Beobachtung beruht der im AMB früher bereits besprochene (AMB 1995, 29, 21) mehrfache Versuch, durch Substitution von Wachstumshormon die Abnahme des Kräftezustandes und des Wohlbefindens bei manchen alten Menschen wieder rückgängig zu machen; rekombinant hergestelltes Wachstumshormon ist allerdings so teuer, daß eine solche auf Dauer angelegte Therapie kaum jemand bezahlen kann. DHEA scheint also auf bisher noch unbekannte Weise und unabhängig vom Wachstumshormon die Plasmakonzentration des anabolen Proteins IGF-I zu erhöhen. Ein weiteres Ergebnis dieser Studie war die Angabe einer Zunahme des physischen und psychischen Wohlbefindens durch 84% der Frauen und 67% der Männer ohne Veränderung der Libido. Unter Plazebo änderte sich das Wohlbefinden angeblich nicht. Dieser erstaunlich positive psychotrope Effekt von DHEA konnte allerdings in einer kürzlich auf dem deutschen Endokrinologenkongreß vorgestellten Studie des Max-Planck-lnstituts für Psychiatrie in München nicht bestätigt werden.

DHEA wird zur Zeit in vielen Zentren bei Patienten mit Nebenniereninsuffizienz und bei älteren Menschen mit niedrigen DHEA-Plasmaspiegeln im Hinblick auf günstig erscheinende Wirkungen geprüft. In Deutschland ist es selbstverständlich noch nicht als Medikament erhältlich, jedoch werden die bisher recht dürftigen Daten der Publikation von Morales et al. bereits von profitsüchtigen Unternehmen ausgebeutet, die die Substanz über Internet anpreisen und vermarkten (s.AMB 1997, 31, 47a).