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Vorsicht mit Fingolimod!

Fingolimod (Gilenya®) ist ein oral einzunehmender Wirkstoff zur Prophylaxe der schubförmig-remittierenden Multiplen Sklerose (MS), der im März 2011 EU-weit zugelassen wurde. Mittlerweile werden weltweit schon > 36.000 Patienten mit Gilenya® behandelt.

Wir hatten 2010 zur Vorsicht gemahnt. Die Publikationen der zur Zulassung führenden Phase-III-Studien TRANSFORMS (1) und FREEDOMS (2) erfüllten nicht die Kriterien unabhängiger Studien (3). Die Studiendaten wurden seinerzeit von der Herstellerfirma Novartis analysiert und interpretiert. Fast alle Autoren hatten finanzielle Verbindungen zum Hersteller und die im N. Engl. J. Med. publizierten Arbeiten wurden offenbar von kommerziellen Agenturen verfasst. Aber nicht nur deshalb fiel unsere Bewertung von Fingolimod kritisch aus. Auch weil dem nachgewiesenen Nutzen – Reduktion von MS-Schüben und Anzahl der neuen ZNS-Läsionen in der Kernspintomografie im Vergleich zu Plazebo bzw. Interferon – teils gravierende UAW gegenüberstanden: Infektionen, Tumore, Hepatopathie und kardiovaskuläre Störungen. Wir hatten daher seinerzeit gefordert, dass alle Patienten, die mit Fingolimod behandelt werden, sehr gut über die unklare Situation hinsichtlich UAW aufgeklärt und klinisch gut beobachtet werden müssen (3).

Neun Monate später unterrichtete Novartis die FDA über einen plötzlichen Herztod am Tag nach Ersteinnahme von Fingolimod. Schon aus den Studien war bekannt, dass in den ersten Stunden nach Ersteinnahme von Fingolimod Bradykardien auftreten können (2,6% in der FREEDOMS-Studie). Das CHMP (Committee for Medicinal Products for Human Use) der EMA führte daraufhin ein Sicherheits-Review durch und gab den behandelnden Ärzten umfangreiche Sicherheitshinweise (s.u.). Mittlerweile sind der EMA schon 15 Patienten mit plötzlichem oder unerklärlichem Tod unter Gilenya® bekannt geworden, die Mehrzahl mit zuvor bekannten Herzkrankheiten. Ein Zusammenhang sei jedoch nicht gesichert; daher entschied man, das Medikament am Markt zu lassen (4). Allerdings schränkte die EMA die Anwendung von Fingolimod deutlich ein. In einem offiziellen Warnhinweis (Rote-Hand-Brief) wurde die kardiovaskuläre Überwachung zu Beginn der Therapie mit Fingolimod aktualisiert (5) und die Therapie bei Patienten mit Herzkrankheiten oder Schlaganfall sowie in Kombination mit Antiarrhythmika nicht empfohlen. Die FDA hat bei diesen Patienten die Anwendung sogar generell verboten (6). Bei jeder Erstbehandlung muss nun ein 12-Kanal-EKG vor der ersten Gabe und sechs Stunden nach der ersten Dosis geschrieben werden. Außerdem ist eine kontinuierliche sechsstündige EKG-, Blutdruck- und Herzfrequenzüberwachung vorgeschrieben. Sinkt die Herzfrequenz unter 40/min oder um mehr als 20 Schläge im Vergleich zur Ausgangsfrequenz, muss die Überwachung bis zur Normalisierung der Herzfrequenz weitergeführt werden. Die EMA empfiehlt, im Zweifel einen Kardiologen hinzuzuziehen. De facto kann ein Therapiebeginn mit Fingolimod also nur noch unter stationären Bedingungen erfolgen. Die FDA hat kürzlich Fingolimod bei Patienten mit Herzkrankheiten oder Schlaganfall sowie in Kombination mit Antiarrhythmika generell verboten (6).

Im Gegensatz zu diesen behördlichen Aktivitäten prahlt Novartis derweil in Börsenmagazinen damit, dass die Langzeitergebnisse aus der TRANSFORMS-Studie einen „nachhaltigen Wirkungsnutzen und ein konsistentes Sicherheitsprofil bei einer fortwährenden Behandlung zeigen”. Novartis präsentierte diese Ergebnisse angeblich kürzlich beim Jahrestreffen der European Neurological Society (ENS). Davon war aber bislang nur in Börsenzeitschriften zu lesen (7). Analysten an den Börsen empfehlen, Novartis-Aktien nicht zu verkaufen – schließlich beträgt die Umsatzerwartung für Gilenya® über 2 Mrd. US$/Jahr („Blockbuster”).

Literatur

  1. Kappos, L., et al.(FREEDOMS = FTY720 Research Evaluating Effects of DailyOral therapy in Multiple Sclerosis): N. Engl.J. Med. 2010, 362, 387. Link zur Quelle
  2. Cohen, J.A., et al. (TRANSFORMS = TRial AssessingiNjectable interferon verSus FTY720 Oral in Relapsing-remittingMultiple Sclerosis): N. Engl. J. Med. 2010, 362, 402. Link zur Quelle
  3. AMB 2010, 44,41. Link zur Quelle
  4. www.ema.europa.eu/docs/en_GB/… Link zur Quelle
  5. http://www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit/RHB/20120426.pdf Link zur Quelle
  6. www.fda.gov/Drugs/DrugSafety/ucm303192.htm Link zur Quelle
  7. www.finanzen.ch/nachrichten/aktien/Novartis-mit-positiven-Studie-III-Resultaten-zu-Gilenya-bei-MS-AF-143437 Link zur Quelle