In den rund 50 Jahren ihrer Existenz haben Leitlinien zur Prophylaxe der infektiösen Endokarditis (IE) stets präventive Antibiotikagaben vor zahnmedizinischen, gastrointestinalen und urogenitalen Eingriffen empfohlen. Diese gründen auf pathogenetischen Überlegungen, tierexperimentellen Daten und wenigen Fall-Kontroll-Studien, sind aber bis heute nicht durch plazebokontrollierte, randomisierte, verblindete Studien abgesichert. Gründe für diesen Mangel an Evidenz sind die niedrige Inzidenz der IE, die in Studien sehr große Probandenzahlen erfordern würde, sowie die Heterogenität sowohl der zugrunde liegenden kardialen Erkrankungen als auch der potenziell zu Bakteriämien führenden invasiven Eingriffe. Zahlreiche Beobachtungen der vergangenen Jahre weisen darauf hin, dass eine IE wesentlich wahrscheinlicher durch zufällige Bakteriämien im Rahmen alltäglicher Aktivitäten entsteht als durch medizinische Eingriffe. Wie wir berichtet haben (1), sind die aktuellen, 2007 publizierten Leitlinien der American Heart Association (AHA) deshalb deutlich restriktiver in ihren Empfehlungen für eine antibiotische Endokarditisprophylaxe als bisher (2). Sie unterscheiden sich damit erheblich von den noch „traditionell” abgefassten aktuellen Leitlinien der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft aus dem Jahr 2004 (3).
Eine aktuell in Circulation publizierte US-amerikanische Studie vergleicht nun erstmals direkt die Inzidenz von Bakteriämien in Assoziation mit Zahnpflege bzw. Zahnextraktion (4). 290 unselektierte Patienten eines zahnmedizinischen Notfalldienstes (tendenziell eher schlechter Zahnstatus, 73% Schwarze) mit Indikation zur Extraktion zumindest eines Zahnes wurden in drei Gruppen mit unterschiedlichen Prozeduren randomisiert: Zähnebürsten; Zahnextraktion mit Amoxicillin-Prophylaxe; Zahnextraktion mit Plazebo. Zu sechs Zeitpunkten vor, während und nach der jeweiligen Intervention wurden bakterielle Blutkulturen abgenommen. Diese waren bei 32% (Zähnebürsten), 56% (Extraktion unter Amoxicillin) und 80% (Zahnextraktion unter Plazebo) positiv.
Insgesamt wurden 98 verschiedene bakterielle Spezies identifiziert, darunter 32 bekannte Endokarditiserreger, darunter wiederum zehn Streptokokken-Arten. Der überwiegende Anteil an Nicht-Streptokokken-Erregern fand sich in den beiden Gruppen mit Zahnextraktion. Amoxicillin konnte bei Zahnextraktion die Inzidenz positiver Blutkulturen um 69% (von 151 auf 47) für alle Spezies und um 78% (von 106 auf 23) für Streptokokken reduzieren – also keineswegs einen 100%igen Schutz erreichen. Wie die Autoren in ihrer Diskussion vorrechnen, wären nach diesen Resultaten bei zweimal täglicher Zahnpflege mehr als 200mal im Jahr Bakteriämien zu erwarten, während Zahnarztbesuche statistisch gesehen weniger als zweimal im Jahr stattfinden. Die Autoren folgern daraus, dass die alltägliche Zahnpflege insgesamt und kumulativ ein wesentlich höheres IE-Gesamtrisiko birgt als zahnmedizinische Eingriffe – mit oder ohne antibiotische Endokarditisprophylaxe. Der Wert dieser Prophylaxe sei zweifelhaft – insbesondere auch wegen potenzieller Risiken (UAW, Resistenzbildung) und der Kosten.
Fazit: Als eine der wenigen randomisierten Untersuchungen auf diesem Gebiet, belegt die besprochene Studie, dass es bei zahnhygienischen Maßnahmen recht häufig zu Bakteriämien kommt. Die generelle Aussagekraft dieser Studie ist jedoch eingeschränkt, weil Patienten mit im Vergleich zur Normalbevölkerung unterdurchschnittlich schlechtem Zahnstatus untersucht wurden. Es ist zweifelhaft, ob die Ergebnisse auf Menschen mit besserem Zahnstatus übertragbar sind. Da dentale und parodontale Erkrankungen Risiken für Bakteriämien im Rahmen jeder Art von Manipulation sind, sollte eine regelmäßige Zahnhygiene als eine effiziente Präventivmaßnahme und nicht als Risikofaktor angesehen werden.
Literatur
- AMB 2008, 42, 06. Link zur Quelle
- Wilson, W., et al.: Circulation 2007, 116, 1736. Link zur Quelle
- Horstkotte, D., et al.: Eur. Heart J. 2004, 25, 267. Link zur Quelle
- Lockhart, P.B., et al.: Circulation 2008, 117, 3118. Link zur Quelle