Über das seit mehreren Jahren, u.a. auch im Internet (1), stark beworbene Präparat Ukrain haben wir unsere Leser wiederholt informiert (vgl.AMB 1997, 31, 33; 1999, 33, 63). Sowohl Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und Deutsche Krebsgesellschaft e.V. (2) als auch die Schweizerische Krebsliga (3) lehnen den Einsatz dieses Medikaments bei Patienten mit Tumorerkrankungen mit aller Entschiedenheit ab, da aussagekräftige präklinische und klinische Studien nicht vorliegen. Sehr bemerkenswert ist deshalb ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamm (4), das die Berufung eines Klägers (ein Krankenhaus, in dem Ukrain als Tumortherapie verabreicht wurde) gegen ein im Jahre 2000 vom Landgericht Münster verkündetes Urteil zurückweist. Da diese gerichtliche Entscheidung exemplarisch auf objektive Verletzungen der Aufklärungspflicht in Zusammenhang mit der Verordnung von Präparaten mit unbewiesener Wirksamkeit hinweist, möchten wir im folgenden einige wichtige Passagen dieses Urteils zitieren.
Ukrain wurde einem Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung und Metastasen in Leber und Lunge begleitend zu einer isolierten Tiefenhyperthermie-Behandlung mit dem Therapieziel verordnet, „daß die Therapie eine Verbesserung seiner Lebensqualität und eine Stabilität seines Zustandes gewährleiste“. Der Patient ist wenige Monate nach der Gabe von Ukrain gestorben. Dem Patienten wurde vor Behandlungsbeginn mit Ukrain in einem Schreiben mitgeteilt, „daß sich fast alle Patienten auf Grund der Behandlung mit diesem Medikament erstaunlich gut erholten“ und zudem von einer „ausgeprägten, also hochwirksamen zytotoxischen Wirkung des Arzneimittels“ gesprochen mit der „Fähigkeit, den Tumor einzugrenzen und langsam zu zerstören“. Diese Form der schriftlichen Mitteilung suggerierte nach Ansicht des Oberlandesgerichts Hamm „einen hohen Grad der Wirksamkeit des Medikaments, für den es keinerlei verläßliche Hinweise, geschweige denn einen Beweis gibt“. Das Oberlandesgericht geht in der Begründung des o.g. Urteils davon aus, daß bei ordnungsgemäßer Aufklärung dem verstorbenen Patienten die in Rechnung gestellten Leistungen nicht entstanden wären.
Interessant sind in diesem Zusammenhang auch kürzlich publizierte Befunde einer Arbeitsgruppe aus Südafrika, die bei Untersuchungen an normalen und malignen Tumorzell-Linien in vitro keine selektive Zytotoxizität von Ukrain auf Tumorzellen, wie vom Hersteller behauptet (1), nachweisen konnten (5). Darüber hinaus werden Zweifel an der chemischen Reinheit dieses angeblich semisynthetischen Mischpräparats aus Alkaloiden des Schöllkrauts und Thiotepa geäußert (6).
Fazit: Wie im Urteil des Oberlandesgerichts Hamm ausführlich dargelegt, ist zum Vermeiden einer Verletzung der Aufklärungspflicht der „Arzt gehalten, den Patienten klar und eindeutig über die wahre Situation und die realistischen Chancen einer ins Auge gefaßten Therapie aufzuklären. Dies gilt insbesondere dann, wenn mit dieser Therapie für den Patienten enorme wirtschaftliche Kosten verbunden sind“. Onkologen wissen, daß dies bei der Verordnung von Substanzen mit unbewiesener Wirksamkeit (z.B. Recancostat comp., Ukrain, Galavit; vgl. AMB 1996, 30, 15; 1999, 33, 63; 2001, 35, 29b) meistens nicht geschieht und eine realistische Aufklärung auf Grund fehlender präklinischer und klinischer Studien auch gar nicht möglich ist.
Literatur
1. Synopsis der wissenschaftlichen und ökonomischen Aspekte der pharmazeutischen Substanz Ukrain: http://www.ukrain.com
2. Mitteilung der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Dt. Ärztebl. 2001, 98, B354.
3. Alleweit, M.C., und Hauser, S.P.: Dokumentation Nr. 35D der Schweizerischen Krebsliga, 1997.
4. Urteil des Oberlandesgerichts Hamm: 3 U 197/00 OLG Hamm.
5. Panzer, A., et al.: Cancer Lett. 2000, 160, 149.
6. Panzer, A., et al.: Cancer Lett. 2000, 160, 237.