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Kostenkontrolle und Qualitätssicherung in der US-amerikanischen Medizin am Beispiel der Arzneimitteltherapie

Der vorliegende Beitrag basiert auf einem von D.S. Fetscher, Freiburg, im November 1996 im Rahmen eines Symposions der Berliner Kaiserin-Friedrich-Stiftung gehaltenen Vortrags über die neuen medizinischen Versorgungsmodelle in den USA und ihre Auswirkungen auf die Therapiefreiheit der amerikanischen Ärzte.

Neue Wege zur Kontrolle der Kosten bei Arzneimitteln: Das Verfahren des Pharmaceutical Benefits Management (PBM) ist ein Versuch spezialisierter, privater Unternehmen, die Verwendung von Arzneimitteln zu organisieren, datentechnisch zu überwachen und kostenorientiert zu steuern. Wie aus den folgenden Beispielen ersichtlich ist, bestehen dabei für die beteiligten Firmen hinsichtlich der personenbezogenen Ausnutzung von Therapie-, Krankheits-, Finanz- und Berufsdaten praktisch keine rechtlichen Einschränkungen. Es ist die für unsere deutschen Maßstäbe unerhörte Freiheit im Umgang mit einem hochmodern gemanagten Pool personenbezogener Daten, dem die Einsparmethoden des PBM ihre Bissigkeit und ihre Effizienz verdanken. Nach den Methoden des PBM werden heute bereits die Verschreibungen für mehr als ein Viertel (d.h. von über 50 Mio.) der amerikanischen Patienten kontrolliert.

Eine der größten PBM-Firmen ist die „Health Information Incorporated“ (HID), die als Teil des Managed-Care-Trusts „Value Health“ privaten (z.B. Ford Motor Company), aber interessanterweise auch öffentlichen Krankenversicherern (z.B. den Medicaid-Systemen der Bundesstaaten Michigan, Maryland, Nebraska und Ohio) ihre Dienstleistungen zur Verfügung stellt (1). Aus dem Leistungsangebot dieses Unternehmens, das erstaunlich und für die Branche durchaus typisch ist und das nach eigenen Angaben zur Zeit die Arzneimitteltherapie von etwa 9 Mio. Patienten überwacht, sollen hier die folgenden Komponenten exemplarisch vorgestellt werden:

Methoden des „Pharmaceutical Benefits Management“: Kontrolle des Kostenanteils einzelner Medikamente: „Drug Utilization Review (DUR)“: Eine DUR dient dazu, den Kostenbeitrag einzelner Medikamente zu regulieren. Dabei wird geprüft, ob ein Medikament für die richtige medizinische Indikation benutzt wird, ob Dosierungen und Dosisintervalle stimmen, ob es – etwa in einer bestimmten Region – zuviel oder unzureichend genutzt wird, ob gängige Kontraindikationen wie Grunderkrankung, Geschlecht und Alter beachtet werden und ob negative Interaktionen mit anderen Medikamenten bestehen.

Das Personal, das den DUR durchführt, arbeitet in der Zentrale der Firma am Bildschirm und besteht aus einer durch den DUR quasi neu entstandenen Berufsgruppe, den „clinical monitors“. Dies sind speziell für die PBM ausgebildete Pharmazeuten und Ärzte, die zur Erstellung der Computerprogramme und zur Auswertung der Datenerhebungen sowohl die Software als auch pharmakologisches Fachwissen beigesteuert haben. Wird ein aus der Sicht der Firma relevanter Mißbrauch entdeckt – man verwendet hierfür gern das Wort „problem“, das von Nichtamerikanern in seiner heimtückischen Bedeutung meist unterschätzt wird -stehen folgende abgestufte „Problemlösungen“ zur Verfügung:

Stufe I: Die Zusendung von (nur scheinbar) unverbindlichem „informational material“ das der betroffene Arzt oder Patient ansehen und lernend umsetzen soll.

Stufe II: Ein „automated alert-letter“, der den Arzt oder Patienten, der auf Stufe I leider nur ungenügend reagiert hat, auf das identifizierte Problem genauer und dringlicher aufmerksam macht.

Stufe III: Ein „personal alert-letter“ oder persönlicher Anruf mit dem Zweck, den von der Firma ausgemachten Mißbrauch (auch hier wieder „problem“) direkt und freundlich mahnend anzusprechen.

Stufe IV: Ein „face-to-face encounter“, bei dem in refraktären oder besonders ernsten Fällen das „problem“ vom clinical monitor vor Ort persönlich mit den Betroffenen besprochen wird.

Die PBM-Firmen betonen dabei nicht von ungefähr und mit einem für das merkantile Ambiente in den USA charakteristischen Euphemismus, das Verfahren der DUR sei vor allem „informational“, d.h. auf Weitergabe von Informationen, bezogen. Jeder in der Branche weiß aber, daß man mit einem DUR sehr wohl direkt und dirigistisch den Verbrauch einzelner Präparate beeinflussen kann. Die HID berichtet denn auch stolz von einem Beispiel der Wirksamkeit eines DUR im Bereich der H2-Blocker: nach dem DUR verschrieben 54% der Ärzte den H2-Blocker mit größeren Einnahmeintervallen oder niedrigerer Dosis, 7% stoppten das Medikament und 3% wechselten auf ein anderes Präparat (2).

Das Endziel des DUR ist dabei klar: „problem-drugs“ sollen im Verbrauch eingeschränkt oder von der ständig überarbeiteten Positiv-Liste der Firma gestrichen werden. Dadurch bleiben am Ende nur noch Medikamente im Sortiment, die den ökonomischen und medizinischen Vorstellungen der Geldgeber entsprechen.

Kontrolle des Kostenanteils einzelner Ärzte: „Physician Profiling“: Durch dieses Verfahren, eine Unterform des DUR, wird das Verschreibungsverhalten eines einzelnen Arztes überprüft. Die verwendeten Prüfungskriterien und Lösungsmethoden sind mit den oben beschriebenen 4-Stufen-Verfahren identisch. Die Grundannahme ist dabei: „Denn sie (die Ärzte) wissen nicht, was sie verschreiben“. Das Ziel des Physician Profiling ist dabei natürlich nichts anderes als die Identifizierung sogenannter „problem-physicians“, die dann nach Beratung ihre unakzeptabeI kostenträchtigen Gewohnheiten entweder ablegen oder bei fehlender Einsicht per Vertragsbeendigung aus dem System (auch hierzu bestehen großzügige Vollmachten) eliminiert werden.

Kontrolle des Kostenanteils einzelner Patienten: „Patient Profiling“: Hier wird dasselbe Spiel mit Patienten gespielt. Die Grundannahme ist: „Denn sie (die Patienten) wissen nicht, was sie einnehmen“. Patienten, die viele Ärzte aufsuchen, viele Medikamente einnehmen oder non-compliant sind, werden als „problem-patients“ identifiziert und nach Stufe I bis IV bearbeitet. Da 10% der Patienten fast 50% der Arzneimittelkosten verursachen, ist dabei natürlich die Versuchung groß, allzu teure Patienten gar nicht erst umzuerziehen, sondern gleich aus den Health Maintenance Organizations (HMO) zu eliminieren. Nur die staatlichen Versicherer müssen bei den fest Sozialversicherten den umständlichen und deutlich kostspieligeren Weg der Patienten-Umerziehung auf sich nehmen.

Kontrolle des Kostenanteils einzelner Apotheken: „Pharmacy Controlling“: Hier wird dasselbe mit Apotheken durchexerziert. Die Grundannahme ist: „Denn sie (die Apotheker) wissen nicht, was sie verkaufen“. Als Ergebnis werden unrentable „Problem-Apotheken“ umstrukturiert oder aufgelöst.

Kontrolle des Kostenanteils einzelner Pharmaproduzenten: Die zuvor beschriebenen Methoden lassen sich natürlich prinzipiell auch auf die Medikamente eines bestimmten Pharmaproduzenten anwenden. Als Ergebnis würden „problem-companies“ entweder zur Kooperation erzogen oder aus dem Vertrag entlassen. Dies war auch der Grund dafür, daß einige der größten und erfolgreichsten PBM-Firmen von großen Pharmaproduzenten aufgekauft wurden, eine Entwicklung, die schließlich die Food and Drug Administration dazu zwang, gegen einzelne Pharmafirmen einzuschreiten, um einen wirtschaftskriminellen Mißbrauch der im Rahmen des PBM/DUR angehäuften personenbezogenen Daten zu verhindern.

Bewertung des PBM: Argumente dafür: Für die Methoden des PBM sprechen – zumindest im Prinzip und aus der Sicht der Anwender – folgende Argumente:

1. Ärztliches Kompetenzdefizit. Die Ausbildung der Ärzte ist dem heutigen pharmazeutischen Warenangebot kaum gewachsen. Auch den gut informierten Ärzten mangelt es oft an pharmakologischem und vor allem an pharmakoökonomischem Wissen. Es ist daher fraglich, ob der historisch entstandene „Freibrief“ der Approbation auch heute noch alle Ärzte dazu berechtigen sollte, über das enorm angewachsene und zum Teil extrem teure therapeutische und diagnostische Spektrum der modernen Medizin frei zu verfügen. Das PBM füllt diese Lücke und hilft den Ärzten, medizinisch korrekter und zugleich ökonomischer zu rezeptieren.
2. Interessengemeinschaft der Kostentreiber. Weder die Ärzte oder die Patienten noch die Pharmaindustrie haben ein Interesse an der Verkleinerung (und nur die Patienten ein Interesse an der Verbilligung) des Arzneimittelangebots. Wenn die Werbeausgaben der pharmazeutischen Industrie in den USA 20000 US$/Arzt/Jahr betragen, scheint eine Gegensteuerung durch das PBM per se unentbehrlich, wenn das System nicht an seinen Kosten ersticken soll.
3. Praktischer Erfolg. Die amerikanischen Arbeitgeber, die immerhin 35% der amerikanischen Gesundheitskosten bestreiten, konnten mit Hilfe des PBM und anderer Managed-Care-Methoden ihre Ausgaben von 4537 US$/Patient/Jahr (1993) um über 100 US$ auf 4424 US$/Patient/Jahr (1995) senken (2). Diese Erfolge ließen sich allerdings im Jahresvergleich 1995/ 1996 nicht noch einmal reproduzieren.

Bewertung des PBM: Argumente dagegen: Gegen das Verfahren des PBM sprechen – neben dem möglichen Mißbrauch von personenbezogenen Daten – folgende Argumente:

1. Prävention. Es stellt sich die Frage, ob man die im PBM gebundenen Ressourcen nicht besser verwenden sollte, um die Ärzte besser auszubilden, die Pharma-Werbung besser zu kontrollieren oder die Medikamentenzulassung schärfer zu regulieren.
2. Budgetierung. Man kann auch mit Budgetierungen die Entscheidungslast auf die Verschreiber verschieben und das von der PBM geleistete „Streamlinen“ innerhalb des Systems entstehen lassen.
3. Aufwand. Die amerikanische Medizin hat weltweit den größten Verwaltungsaufwand. Das mit den HMO und auch dem PBM verbundene Phänomen, das man recht plastisch „the rise of the middleman“ (sinngemäß: der Aufstieg des Zwischenhändlers) genannt hat, verstärkt diesen Trend noch, so daß z.Z. 20 bis 30% der Gesundheitskosten in den USA im Verwaltungsbereich hängen bleiben.
4. Qualität. Solange sich die Qualität der Versorgung durch die Kostensenkungen nicht verschlechtert oder sogar bessert (z.B. durch Wegfallen von schädlichen oder unnötigen Verschreibungen), ist das PBM ein wertvolles Instrument. Wenn aber mehr Qualität mehr Geld kostet (ein immer häufigeres Phänomen!), wird PBM problematisch. PBM wird dann nur die Qualität zulassen, die auf dem Markt so sehr verlangt wird, daß auch die Konkurrenten nicht umhin können, das Angebot zu verbessern. Wenn sich die Firmen aber absprechen, kann es sein, daß der Patient als Kunde durch ein Kartell von Geldsparern abgewiesen wird. Ein effektives System des PBM wäre daher – ohne Gegenregulativ – ein Hindernis für den mit echten Kostensteigerungen verbundenen medizinischen Fortschritt.

Anmerkung der Redaktion: Das amerikanische System ist primär auf allgemeine Kostendämpfung angelegt und schränkt mit aufwendiger Kontrolle die „Therapiefreiheit“ erheblich ein. Die Ärzte werden – zumindest in weiten Bereichen – zum ausführenden Organ einer zentral organisierten Therapie. Wenn wir als Ärzte unsere grenzenlose Therapiefreiheit freiwillig etwas einschränkten und im wesentlichen rational verordneten, bliebe immer noch ein finanzieller Raum, in besonderen Situationen auch gelegentlich Medikamente einzusetzen, deren Wirkung (noch) nicht in großen Studien erwiesen ist. Dieser Freiraum, der nach Wissen und Erfahrung genutzt werden kann, ist auch ein Beweis für das persönliche Vertrauen des Patienten zu seinem Arzt. Persönliches Vertrauen hilft oft effektiver als computerkontrollierte Fehlerfreiheit. Wir können uns Zwänge von außen vom Leib halten, indem wir uns an Rahmenbedingungen halten und auf unsinnige Verordnungen verzichten.

Literatur

1. Bodenheimer, T.: N. Engl. J. Med. 1996, 335, 1601.
2. Bringing Science to the Art of Managed Care. Health Information Designs lncorporated. A Value Health Company. Information Booklet, Avon, Connecticut, 06/1994.