Die Verordnung der hämatopoetischen CSF (G- bzw. GM-CSF) hat in den wenigen Jahren seit Zulassung dieser Substanzen rasch zugenommen. In verschiedenen amerikanischen Krankenhausapotheken werden bereits bis zu 10% des Jahresbudgets für CSF ausgegeben, und auch in deutschen Universitätskliniken bzw. hämatologisch-onkologischen Zentren gehört G-CSF (Neupogen) inzwischen zu den 10 teuersten Medikamenten.
Obwohl klinische Studien zeigen konnten, daß die Gabe von G- oder GM-CSF die Häufigkeit, Dauer und Schwere der durch Chemotherapie ausgelösten Neutropenien reduzieren und dadurch Infektionsrate, Antibiotikaverbrauch und Dauer des Krankenhausaufenthaltes günstig beeinflussen (vgl. AMB 1991, 25, 93; 1994, 28, 86) ist die Bedeutung dieser supportiven Therapiemaßnahme für die Verbesserung der Prognose bei Tumorerkrankungen weiterhin unklar, und aussagekräftige Kosten-Nutzen-Analysen liegen nicht vor.
Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse einer unbezahlten Umfrage unter Mitgliedern der American Society of Clinical Oncology (ASCO) interessant (Bennett, C.L., et al.: J. CIin. Oncol. 1996, 14, 2511), in der anhand hypothetischer klinischer Szenarios und allgemeiner Fragen die individuellen Verordnungsgewohnheiten von G- bzw. GM-CSF ermittelt wurden. Diese Umfrage erfolgte vor Publikation der Richtlinien der ASCO für den rationalen Einsatz der CSF (vgl. AMB 1995, 29, 21). In diesen Richtlinien wurde eine Gabe der CSF im Rahmen der primären Prophylaxe nach Beendigung einer myelotoxischen Chemotherapie mit zu erwartender febriler Neutropenie bei > 40% der Patienten und im Rahmen der sekundären Prophylaxe nach dokumentierter febriler Neutropenie in einem vorausgegangenen Chemotherapie-Zyklus empfohlen. Der Nutzen einer therapeutischen Gabe von CSF, zusätzlich zu Antibiotika, bei febriler Neutropenie ist bisher nicht eindeutig belegt und sollte nur bei Patienten mit hohem Risiko für septische Komplikationen erfolgen. Knapp 50% der 475 angeschriebenen Onkologen und Hämatologen, die eine repräsentative Auswahl der für die ärztliche Betreuung von Tumorpatienten in den USA verantwortlichen Ärzte darstellten, haben auf die Umfrage geantwortet. Etwa ein Drittel dieser Ärzte war in Universitätskliniken und der überwiegende Rest in privaten Praxen tätig. Die Beantwortung der allgemeinen Fragen (u.a. zum verabreichten CSF und zur Dauer der CSF-Freigabe) ergab, daß 82% der Ärzte G-CSF bevorzugten. Nur 20% der Ärzte orientierten sich an den von der FDA gebilligten Kriterien für die Beendigung der CSF-Gabe (Neutrophile >10 000/µI), und für immerhin 12-20% der Ärzte waren weder Leukozyten- noch Neutrophilenzahlen ausschlaggebend für die Dauer der CSF-Gabe. Nur ein kleiner Prozentsatz der Ärzte (< 5%) gab an, CSF regelmäßig im Rahmen der primären Prophylaxe bei nur mäßig myelotoxischen Protokollen (z.B. Behandlung von Hodentumoren oder adjuvante Therapie des Mammakarzinoms) zu verordnen. Eine Ausnahme bildete die Chemotherapie des fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms mit Paclitaxel, bei der 20% der Ärzte eine primäre Prophylaxe mit CSF durchführen würden. Demgegenüber befürworteten, abhängig von der behandelten Tumorerkrankung, 45% (nichtseminomatöse Hodentumoren) bis 85% (hochmaligne Non-Hodgkin-Lymphome) eine sekundäre Prophylaxe. Bemerkenswerterweise würden fast 60% der Ärzte CSF als Therapie bei einer febrilen Neutropenie einsetzen, eine Indikation, die durch die vorliegenden klinischen Studien nicht belegt ist. Inwieweit sich die Empfehlungen der ASCO auf die Verordnung der CSF ausgewirkt haben, soll eine bereits geplante Studie in den USA zeigen. Wir befürchten, daß eine derartige Umfrage unter deutschen Ärzten, die Tumorpatienten stationär oder ambulant betreuen, eine weniger krititsche Einstellung zum Einsatz der CSF ergeben würde. Angesichts der zunehmend von der Pharmaindustrie beeinflußten klinischen Publikationen und Fortbildungsveranstaltungen zu diesem Thema besteht sicherlich Bedarf an unabhängigen Informationsquellen, die eindeutige Indikationen festlegen und für die optimale Anwendung der Wachstumsfaktoren herangezogen werden können. Die kürzlich in den Therapie-Leitlinien der internistischen Onkologie von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie herausgegebenen und mit finanzieller Unterstützung durch die Sandoz AG gedruckten Empfehlungen für die Indikationen von Wachstumsfaktoren sind in dieser Hinsicht wenig hilfreich (Heidemann, E., et al.: Solide Tumoren. Therapie-Richtlinien der internistischen Onkologie. Zuckschwerdt, München 1996, S. 211), da sie für klinische Situationen, wie z.B. Therapie neutropeniebedingter Infektionen oder primäre Prophylaxe nach Chemotherapie, einen bisher nicht überzeugend gezeigten Nutzen suggerieren.