Angeborene oder erworbene Anomalien des Blutgerinnungssystems, die zu Thromboembolien prädisponieren, sind Protein-C-Mangel, Protein-S-Mangel, Antithrombin-Mangel, Vorhandensein von Antikardiolipin-Antikörpern und andere. Kürzlich wurde von einer Arbeitsgruppe in Leiden eine Mutation des für den Gerinnungsfaktor V kodierenden Gens (Punkt-Mutation) identifiziert, welche die Hemmbarkeit des Faktors V durch aktiviertes Protein C herabsetzt (5% der Bevölkerung in Europa). Heterozygote Patienten mit dieser Mutation haben ein drei- bis siebenfach erhöhtes Risiko, eine Beinvenenthrombose zu bekommen. Die Mutation erhöht das Thromboembolierisiko dramatisch bei Frauen, die orale Kontrazeptiva einnehmen (30faches Risiko verglichen mit Frauen ohne orale Kontrazeptiva und mit normalem Faktor V). Patienten mit Faktor V Leiden, die eine Beinvenenthrombose hatten, haben ein zwei- bis dreimal höheres Risiko, eine Rezidivthrombose zu entwickeln als andere Patienten mit Thrombose. Normalerweise werden Patienten nach einer ersten Beinvenenthrombose für etwa drei Monate mit Cumarin-Derivaten antikoaguliert. Manche Experten fordern für Patienten mit Thrombose und Faktor V Leiden eine wesentlich längere, wenn nicht gar lebenslange Antikoagulation. Falls diese Forderung berechtigt wäre, müßten alle Patienten mit Beinvenenthrombose genetisch auf Faktor V Leiden getestet werden. Eine solche Testung wäre jedoch nur sinnvoll, wenn die durch verlängerte Antikoagulation verhinderten Rezidivthrombosen (Vorteile) nicht durch Blutungskomplikationen als Folge der Antikoagulation (Nachteile) aufgewogen oder sogar übertroffen würden.
Unter Berücksichtigung weitgehend gesicherter publizierter Daten teilten kürzlich F. P. Sarasin und H. Bounameaux aus Genf Ergebnisse eines Entscheidungsanalyse-Modells zum genetischen Screening nach erstmaliger Thrombose bei Faktor-V-Leiden-Patienten mit (Brit. Med. J. 1998, 316, 95). Zugrunde gelegt wurde ein Entscheidungsanalyse-Modell nach Markov, welches das Risiko einer symptomatischen Rezidivthrombose, einer Lungenembolie und einer erheblichen Blutung (3,6%/Jahr) bei effektiver Antikoagulation mit Cumarin-Derivaten beinhaltete. Die Daten wurden bezogen auf ein hypothetisches Kollektiv von 1000 Trägern des Faktor V Leidens, die sich von einer ersten tiefen Beinvenenthrombose erholen.
Therapeutische Alternativen waren
1. eine dreimonatige Antikoagulation nach der ersten Beinvenenthrombose und erneute Antikoagulation im Falle einer Rezidivthrombose und
2. eine Verlängerung der oralen Antikoagulation auf ein bis fünf Jahre.
Ergebnisse: Obwohl die meisten Experten eine verlängerte Antikoagulation bei Faktor-V-Leiden-Patienten befürworten, ergab das Modell eine zu große Zahl zu erwartender bedeutender, durch Antikoagulanzien induzierter Blutungen im Verhältnis zu den verhinderten tödlichen und nicht-tödlichen Lungenembolien. Das Verhältnis von Nachteil zu Vorteil wurde um so größer, je länger die Antikoagulation über ein Jahr hinaus fortgesetzt wurde. Auf der anderen Seite überwog bei verlängerter Antikoagulation die Zahl der verhinderten Rezidivthrombosen diejenige der erheblichen iatrogenen Blutungen.
Fazit: Dieses Entscheidungsanalyse-Modell spricht gegen ein generelles Screening auf Faktor V Leiden bei Patienten nach erstmaliger tiefer Beinvenenthrombose, da sich unter den gewählten Modellbedingungen nach Meinung der Autoren keine Indikation für die langfristige Antikoagulation ergibt. Selbstverständlich müssen bei jungen Patienten, bei familiärer Häufung von Thrombosen und bei rezidivierenden Thrombosen die Ursachen abgeklärt werden (z.B. Bestimmung von Protein C und S und Faktor V Leiden).