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Radiojod-Therapie und Karzinomletalität

Nach der Tschernobyl-Katastrophe und verschiedenen anderen, zum Teil länger zurückliegenden Reaktorunfällen ist über das Risiko von Krebserkrankungen als Spätfolge (auch geringerer) radioaktiver Belastung, speziell mit radioaktivem Jod, immer wieder kontrovers diskutiert worden.

Eine kooperierende Arbeitsgruppe aus den USA (25 Kliniken) und England (eine Klinik) ist nun in einer retrospektiven Kohortenstudie der Frage nachgegangen, ob Patienten mit Hyperthyreose, speziell diejenigen, die mit 131Jod behandelt wurden, im Lauf von Jahren ein höheres Risiko haben, an einem Karzinom zu sterben (1). Dazu wurden insgesamt 35593 hyperthyreote Patienten (mittleres Alter 46,5 Jahre; 3% jünger als 20 Jahre), die zwischen 1946 und 1964 im Rahmen der US Thyrotoxicosis Study behandelt wurden, nachverfolgt (76% länger als 10 Jahre). 28719 Patienten konnten komplett ausgewertet werden. Von ihnen hatten 91% eine Basedow-Hyperthyreose, 65% wurden mit 131Jod behandelt, und 79% waren Frauen. Ziel der Studie war es, die sogenannten Standardized cancer Mortality Ratios (SMR) nach verschiedenen Behandlungsregimen der Hyperthyreose (131Jod, Operation, Thyreostatika oder Kombinationen) zu errechnen.

Ergebnisse: Bis Ende 1990 waren 50,5% der ursprünglichen Patienten gestorben. Die Gesamtzahl der krebsbedingten Todesfälle lag nahe an der Zahl, die für die Gesamtbevölkerung zu erwarten war (2950 vs. 2858). Die Sterblichkeit an Karzinomen der Lunge, Mamma, Niere und Schilddrüse war geringfügig höher, die an Karzinomen von Uterus und Prostata etwas geringer. Patienten mit hyperthyreoter Knotenstruma hatten eine SMR von 1,16, also etwas höher als die Gesamtbevölkerung. Mehr als ein Jahr nach einer Monotherapie mit Thyreostatika war die Sterblichkeit an Karzinomen etwas erhöht (SMR 1,31). Nach Therapie mit 131Jod waren Todesfälle an Karzinomen bzw. Todesfälle an speziellen Karzinomen nicht häufiger. Eine Ausnahme war jedoch das Schilddrüsenkarzinom mit einer SMR von insgesamt 3,94 (2,08 bei M. Basedow, 6,53 bei Knotenstruma); allerdings war die absolute Zahl der zusätzlichen Todesfälle an Schilddrüsenkarzinomen (erwartet 10,4 vs. eingetreten 27) gering. Es fand sich eine gewisse Korrelation mit der verabreichten Strahlendosis: < 7 mCi = SMR 3,01; 7-14 mCi = SMR 3,42; >15 mCi = SMR 7,05.

Ein begleitendes Editorial von D.S. Cooper (2) befaßt sich mit einigen ungeklärten Fragen dieser Arbeit, z.B.: Warum fanden sich mehr Hirntumoren nach der Therapie mit Thyreostatika? Ein Karzinomrisiko dieser Substanzen sei bisher nicht bekannt. Eine Erklärung könnte sein, daß Patienten selektiert wurden, d.h., daß besondere klinische Situationen zur Entscheidung geführt haben, antithyreoidale Pharmaka einzusetzen. Als Ursache der höheren Sterblichkeit an Schilddrüsenkarzinomen nach 131Jod-Behandlung wird die Möglichkeit diskutiert, daß dies nicht eine direkte Strahlenschädigung ist; es könnte auch indirekt Folge einer – nicht immer diagnostizierten und daher unbehandelten – Hypothyreose sein, die nach Radiojodtherapie häufig entsteht und die zur Stimulierung des bestrahlten Schilddrüsengewebes durch TSH führt. Nach Abwägen der Vor- und Nachteile der verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten und (noch) fehlender Alternativen bleibt nach Meinung des Autors die Radiojodtherapie aber nach wie vor die Methode der Wahl bei den meisten Patienten mit M. Basedow. Da nur sehr wenige Kinder und Jugendliche mit 131Jod behandelt wurden, kann diese Studie keine Auskunft darüber geben, ob bei ihnen häufiger Schilddrüsenkarzinome entstehen, was in anderen Untersuchungen vermutet wird (3, 4). Todesfälle wurden nicht registriert.

Fazit: Weder eine Hyperthyreose selbst noch die Radiojodtherapie erhöht die Gesamtletalität an Karzinomen. Zwar steigt das Risiko, an einem Schilddrüsenkarzinom zu sterben, jedoch ist die absolute Zahl dieser zusätzlichen Todesfälle vergleichsweise gering. Insgesamt ist die Therapie mit 131Jod sicher.

Literatur

1. Ron, E., et al.: JAMA 1998, 280, 347.
2. Cooper; D.S.: JAMA 1998, 280, 375.
3. Safa, A.M., et al.: N. Engl. J. Med. 1975, 292, 167.
4. Holm, L., et al.: N. Engl. J. Med. 1980, 303, 188.