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Buchbesprechung: Handbuch Medikamente. Über 5000 Arzneimittel für Sie bewertet.

Handbuch Medikamente. Über 5000 Arzneimittel für Sie bewertet. Von Annette Bopp und Vera Herbst. Stiftung Warentest. Berlin 2000. 2. Auflage. 767 Seiten. Preis 78 DM.

Zum dritten Mal nimmt die Stiftung Warentest Arzneimittel ins Visier. Die gelungenen Vorübungen „Die Andere Medizin“ und „Handbuch Selbstmedikation“ (s. AMB 1996, 30, 23) mögen die Stiftung ermutigt haben, nun den Weitsprung von den rezeptfreien zu den ärztlich verordneten Präparaten zu wagen.

Dazu mußten die Autorinnen manchen Ballast ablegen. Die Auswahl der Medikamente orientiert sich weitgehend an den im Arzneiverordnungs-Report zusammengestellten 2000 Präparaten mit den höchsten Umsatzzahlen. Daher wird man sich im Kapitel „Nervensystem“ zwar über die Arzneimitteltherapie des M. Parkinson oder des M. Alzheimer informieren können, nicht aber über Multiple Sklerose. Auch Stichworte wie AIDS oder Tuberkulose wird man im Register vergeblich suchen. Der Leser wird auch Details zu Indikationen in den Kapiteln über Antibiotika und über Zytostatika schmerzlich vermissen. Dadurch gewinnen die durchaus korrekten und wichtigen Bemerkungen über Vorsichtsmaßnahmen, unerwünschte Wirkungen und Hinweise – also die Risiken – ein massives Übergewicht, während die Indikationen – also die Bemerkungen zum Nutzen – in den Arzneimittel-Tabellen zusammengepreßt sind.

Die Diktion spricht den gebildeten Laien an, der sich über ein Arzneimittel kundig machen möchte, welches ihm selbst oder einem Nahestehenden verschrieben wurde. So gut auch der Text die Punkte getroffen haben mag und so sehr der Fachmann ihnen zustimmt: Dem Leser wäre mit einigen einfachen (patho)anatomischen oder (patho)physiologischen Zeichnungen oder Schemata sehr geholfen, z.B. Systeme wie Kreislauf, Vegetatives System, Immunsystem, Hormonale Regulationen, Entzündung. Unter der Überschrift „Entzündung“ stößt er nur auf Glukokortikoide; die nichtsteroidalen Antiphlogistika muß er anderswo, etwa unter „Bewegungsapparat“ suchen. Bilder würden nicht nur Erinnerungen wecken, sondern auch der Synopsis und Interpretation von Sachverhalten dienen. Gelegentlich hat man auch den Eindruck, daß es die Verfasserinnen mit den Grundlagen nicht so ganz genau nehmen. Sie meinen, daß Barbiturate die Bildung von Vitamin K verhindern; sie halten 5HT3 für eine Substanz, wo es doch eine Rezeptor-Bezeichnung ist. Asparaginase ist für sie kein Enzym, sondern ein Enzym-Hemmer. Sehr bedauerlich ist auch, daß der Begriff „Plazebo“ völlig vermieden wird, wo doch nicht wenige der bewerteten Arzneimittel klassische Plazebos sind. Wer ein gutes Buch über „Die Andere Medizin“ herausgegeben hat, der sollte die Rolle des Plazebos auch in der Schulmedizin nicht unterschätzen.

Phytopharmaka werden erfreulich kritisch beurteilt. Homöopathika bleiben ausgeklammert. Auch Anthroposophika kommen nicht vor, allerdings mit einer Ausnahme. Viele Ärzte halten Mistel-Präparate für Phytopharmaka, und mit diesem Ticket sind sie in die Liste der Zytostatika gelangt, sogar mit dem Prädikat „Mit Einschränkung geeignet“. Eine positive Beurteilung nach dem Prinzip Nutzt es nicht, so schadet es wenigstens nicht mag bei Dexpanthenol als „Wundsalbe“ noch angehen, wenn man es als „Hautvitamin-Abkömmling“ anpreist. Aber Krebsmittel – und seien sie aus der Mistel – sollte man mit der ihnen gebührenden Kritik beurteilen. Mit dem Satz: „Mit Einschränkung geeignet bei Krebs, immer nur zusätzlich zu anderen Medikamenten und Behandlungsmethoden“ könnte man viele Plazebos rechtfertigen.

Das Buch bewertet, wie der Einband ankündigt, 5000 Arzneimittel. Wie findet der gebildete Leser zu den Bewertungen? Er hat zwei Wege. Entweder beginnt er mit den grün unterlegten Passagen des Textes und folgt ihnen zu den einzelnen Substanzgruppen oder er schweift durch die Tabellen, die den nach Indikationen gegliederten Kapiteln folgen, etwa „Angina pectoris“ oder „Rhythmus-Störungen“ oder „Hoher Blutdruck“. Darin sind die Mittel nach Handelsnamen alphabetisch gelistet; Wirkstoffgehalt, Zubereitung und Kosten sind auf pharmazeutische Art deklariert. Wird also derselbe Wirkstoff, etwa Metoprolol als adrenerger Blocker, unter mehreren Handelsnamen vertrieben, dann wird er in derselben Tabelle auch mehrfach in allen Details und mit gleicher Beurteilung aufgeführt. Das Spiel wiederholt sich leider bei jeder weiteren Indikation. So kommt es, daß der pharmazeutische Steckbrief von Metoprolol, weil es sich für alle drei genannten Indikationen eignet, nicht weniger als 35 mal gelistet ist. Die Liste der „Antihypertensiva“ erstreckt sich über 23 Seiten, und beim Analgetikum Tramadol füllen bereits die durch Warenzeichen geschützten Monopräparate 1,5 Listenseiten. Die zu Recht als „Weniger geeignet“ eingestuften Gingko-Extrakte und Pentoxifyllin beanspruchen etwa 1,5 Seiten in der Liste der Mittel für „Periphere arterielle Verschlußkrankheiten“. Da nur Azetylsalizylsäure und Ticlopidin (!) als „Geeignet“ anerkannt werden, würde es genügen, die anderen pauschal als „Weniger geeignet“ im Text zu nennen. Die Autorinnen listen zu eifrig und erklären zu wenig.

Bei der Durchsicht der Tabellen fällt auf, daß die aufgeführten Mittel entweder „Geeignet“, oder „Mit Einschränkung geeignet“, oder „Weniger geeignet“ sind. Das harte Urteil „Abzulehnen“ wird vermieden. Im „Handbuch Selbstmedikation“ hat man eindeutig bewertet, nämlich mit „Empfehlenswert“, „Nicht empfehlenswert“ und Abzulehnen“. Vielleicht mußten die Autorinnen der Göttin Justitia opfern, die bekanntlich mit einer Augenbinde verblindet ist.

Wem hilft dieses Buch? Wer den Anforderungen der Approbationsordnung für Mediziner oder Pharmazeuten genügt hat, mag sein Gedächtnis damit stützen. Das Buch eignet sich eher für den interessierten Halblaien. Zum Verständnis sollte es ausreichen, wenn der Leser entsprechende Sendungen im Fernsehen oder gar Artikel in Spiegel oder Focus versteht. Ein ehrliches Buch, das – trotz der dargestellten Schwächen – Verbreitung verdient. Nach der von ihm vorgegebenen Definition ist es „Mit Einschränkungen geeignet“. Hoffen wir, daß es zugleich dem Mißbrauch im Internet Paroli bietet, indem es die globale, mit Werbung verbrämte (Des-) Information bei der Beschaffung rezeptpflichtiger Arzneimittel eindämmt.