Dieses Baumes Blatt, der von Osten
meinem Garten anvertraut,
gibt geheimen Sinn zu kosten,
wie s den Wissenden erbaut. (1)
Die Wissenden wissen es schon länger: Der Extrakt aus den zweigeteilten Blättern, die sich im Herbst so dekorativ gelb färben, ist in seiner Wirksamkeit umstritten, auch wenn der Umsatz von Ginkgo-Präparaten 1998 in Deutschland bei ca. 290 Mio. DM lag (2). Ginkgo-Extrakte (Marktführer Tebonin) sind bei uns zugelassen zur Verlängerung der schmerzfreien Gehstrecke bei Claudicatio intermittens und zur symptomatischen Behandlung bei Vertigo, Tinnitus und beim dementiellen Syndrom (Leitsymptome: Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, depressive Verstimmung, Schwindel, Ohrensausen, Kopfschmerzen). Legt man die Kriterien zum Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit von Antidementiva auf drei Beobachtungsebenen zu Grunde (1. Neurologischer Status, gemessen durch objektive Tests = kognitive Endpunkte, 2. Aktivitäten des täglichen Lebens = funktioneller Endpunkt und 3. klinische Gesamtwirksamkeit, erfaßt durch globale ärztliche Beurteilung = globaler Endpunkt), ist die Wirksamkeit von Ginkgo-Extrakten schwer nachzuweisen und wenn, dann trotz einiger signifikanter p-Werte eher gering (3, 4, Übersichten bei 5, 6). Deswegen verwundert es nicht, daß Ginkgo-Extrakte von kritischen Vertretern der Psychopharmakologie als entbehrlich angesehen (7) oder in Standardwerken der Pharmakologie bzw. Neurologie/Psychiatrie gar nicht berücksichtigt werden (8). Zudem sind eine Reihe unerwünschter Wirkungen bekannt: Magen-Darm-Beschwerden, Kopfschmerzen, allergische Hautreaktionen und Blutungen.
Eine neue, holländische Studie befaßte sich erneut mit der Wirksamkeit eines speziellen Ginkgo-Extrakts (EGb 761) bei 214 älteren Patienten mit milden bis mittelstarken Gedächtnisstörungen, die durch M. Alzheimer oder Multiinfarkt-Demenz oder durch das Alter bedingt waren (9). Die Untersuchung dauerte 24 Wochen. Die Patienten wurden in drei Gruppen randomisiert: Gruppe A erhielt 240 mg/d (hohe Dosis), Gruppe B 160 mg/d (normale Dosis) EGb 761 und Gruppe C Plazebo. Nach 12 Wochen wurden die Patienten der beiden Ginkgo-Gruppen neu randomisiert und erhielten dann entweder weiter EGb 761 oder Plazebo. Die Patienten der ursprünglichen Plazebo-Gruppe wurden bis zum Studienende mit Plazebo weiterbehandelt. Die Analyse der verschiedenen Teste (neuropsychologische, Gedächtnis, verbales Lernen, geriatrische Symptome, Stimmung, selbst eingeschätzte Aktivität im Alltagsleben), die nach der Intention-to-treat-Methode ausgewertet wurden, ergab keinen Wirkungsunterschied zwischen Ginkgo-Extrakt und Plazebo.
Nun gibt es Diskussionen, warum in dieser Studie keine Wirksamkeit gefunden wurde. Der Autor erklärt dies damit, daß man erst nach langer Entwicklungszeit ein geeignetes Plazebo gefunden habe, da Ginkgo einen charakteristischen Geschmack und Geruch habe und möglicherweise dadurch in früheren Untersuchungen die „Verblindung“ nicht korrekt gewesen sei (10). Andererseits moniert ein Kritiker dieser Studie, die Ursachen des Gedächtnisverlusts der untersuchten Patienten seien so heterogen gewesen, daß Unterschiede zwischen Plazebo und Ginkgo gar nicht hätten erkannt werden können (10).
Fazit: Ob nach der jetzigen Datenlage die offenbar so schwer nachzuweisende Wirksamkeit und damit die beanspruchten Indikationen von Ginkgo jemals die Ebene der Evidence based medicine erreichen werden, ist ungewiß. Gewiß ist aber, daß weiterhin für viele Millionen DM Blätter des Ginkgobaumes verordnet und viele Blätter Papier (vielleicht auch bei der europäischen Arzneimittelagentur EMEA) beschrieben werden.
Literatur
1. von Goethe, J.W.: Erste Strophe eines Gedichts an Marianne von Willemer, Heidelberg 1815.
2. Arzneiverordnungsreport 1999. Hrsg.: U. Schwabe und D. Paffrath. Springer, Berlin, Heidelberg 2000.
3. Le Bars, P.L., et al.: JAMA 1997, 278, 1327.
4. Kanowski, S., et al.: Pharmacopsychiatry 1996, 29, 47.
5. Small, G.W.: Am. J. Med. 1998, 104 (4A), 32S.
6. Kleijnen, J., und Knipschild, P.: Lancet 1992, 340, 1136.
7. Benkert, O., und Hippius, H.: Psychiatrische Pharmakotherapie. Springer, Berlin, Heidelberg. 6. Aufl. 1996.
8. Ackermann, H.: Demenz. In Brandt, T., et al. (Hrsg.): Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen. Kohlhammer, Stuttgart, Berlin. 3. Aufl. 1998.
9. van Dongen, M.C., et al.: J. Am. Geriatr. Soc. 2000, 48, 1183.
10. Weber, W.: Lancet 2000, 356, 1333.