Fragen von Dr S. Sch. aus Berlin: >> Ich bin 1984 wegen eines Hörsturzes eine Woche lang mit täglichen Dosen von 40 (!) Mio. E Interferon beta (Fiblaferon) behandelt worden – im Nachhinein betrachtet wohl eher ein mir nicht bewußtes Experiment. Faktisch war die Indikation wohl irrsinnig. 1989 habe ich eine Alopecia totalis bekommen. Es geht mir nicht um Schadensersatz; trotzdem wüßte ich gerne, ob die Immunmodulation, die Interferon machen soll, längerfristig wirkt und ob dadurch eine Autoimmunerkrankung, wie die Alopecia totalis, hat angestoßen werden können. Inwieweit hat sich möglicherweise die deutliche Dosisüberschreitung ausgewirkt? Tatsächlich waren die akuten Nebenwirkungen der Therapie katastrophal (höchstes Fieber und somnolente Zustände). Ich habe das selbst gar nicht so mitbekommen. << Antwort: >> Humanes, aus Fibroblasten gewonnenes Interferon beta ist heute zur Behandlung schwerer, unbeherrschbarer, virusbedingter Erkrankungen und zur Behandlung des undifferenzierten Nasopharynx-Karzinoms zugelassen.
Während der Therapie mit Interferon alpha oder Interferon beta können zahlreiche Nebenwirkungen auftreten, wobei zu den häufigsten das grippeartige Syndrom (vermutlich ausgelöst durch die immunstimulatorische Wirkung der Interferone) und die Leukopenie (antiproliferative Aktivität der Interferone) gerechnet werden. Darüber hinaus kann es zu schwerwiegenden zentralnervösen Störungen (z.B. Konzentrations- und Bewußtseinsstörungen, Depressionen bis hin zur Suizidgefährdung, Krampfanfälle, periphere Neuropathien mit Parästhesien) kommen; selten treten kardiovaskuläre Nebenwirkungen (Hypotension, Herzarrhythmien, Myokardinfarkt) auf. Die Nebenwirkung Haarausfall wird in der Fachinformation von Fiblaferon erwähnt und findet sich bei 23-30% der Patienten, die mit unterschiedlichen Interferon-alpha-Präparaten behandelt wurden. In den meisten Fällen handelt es sich um eine reversible, nicht sehr stark ausgeprägte Alopezie, die einige Wochen nach Beginn der lnterferon-Therapie auftritt. Ein klarer Zusammenhang zwischen verabreichter Dosis und Zeitpunkt des Auftretens bzw. Schweregrads des Haarverlustes wurde bisher nicht erkannt.
Die von Ihnen angesprochenen bekannten immunmodulatorischen Eigenschaften der Interferone werden heute für verschiedene Autoimmunerkrankungen (z.B. Thyreoiditis, hämolytische Anämie, Thrombozytopenie, Systemischer Lupus erythematodes, Rheumatoide Arthritis, Verschlechterung einer Psoriasis) verantwortlich gemacht, die während oder nach der Therapie auftreten können. Ihre Frage, inwieweit diese immunmodulierenden Eigenschaften der Interferone auch nach Jahren noch eine Alopecia totalis auslösen oder „anstoßen“ können, ist nicht endgültig zu beantworten. Aus der Literatur ist uns eine derartig spät auftretende Nebenwirkung nicht bekannt. Eine umfassende Übersichtsarbeit findet sich bei Vial, T., und Descotes, J.: Drug Saf. 1994, 10, 115. <<