Unter der Rubrik „Lesson of the week“ wird im Brit. Med. J. (2000, 321, 160) von D. K. Satchithananda et al. aus Cambridge über einen 54jährigen Mann berichtet, der wegen Übelkeit, Schwindel und anschließendem Kollaps nach einer vorausgegangenen längeren Periode von Angina pectoris ins Krankenhaus aufgenommen wurde. Bei dem Patienten waren eine schwere koronare Dreigefäßerkrankung und eine schlechte Funktion des linken Ventrikels bekannt. Er war zur Zeit der Aufnahme ausgeprägt hypotensiv, hatte einen AV-Block ersten Grades und einen bereits zuvor bekannten Linksschenkelblock, aber keine neuen ST- oder T-Veränderungen. Er wurde wie ein Patient mit kardiogenem Schock mit Dopamin, Dobutamin und Diuretika behandelt, entwickelte aber trotzdem eine Azidose, eine Anurie und eine respiratorische Insuffizienz bei weiter bestehender Hypotension. Nach Verlegung in eine kardiologische Abteilung ergab sich, daß der Patient, der eigentlich zweimal täglich 180 mg retardiertes Diltiazem einnehmen sollte (plus Bisoprolol, Isosorbidmononitrat, Nicorandil, Furosemid, Simvastatin, Fluoxetin und ASS), wegen einer sich verschlimmernden Angina pectoris im Laufe weniger Stunden 1080 mg Diltiazem eingenommen hatte. Am Ende zeigte sich, daß die Serumkonzentration von Diltiazem mit 1230 ng/ml extrem erhöht war (therapeutischer Bereich: 40-160 ng/ml).
Nach Einführung eines Swan-Ganz-Katheters ergab sich, daß der Herzindex mit 3,5 l/min/m² normal war. Der periphere arterielle Widerstand war extrem erniedrigt, während der zentrale Venendruck und die Drücke im Lungenkreislauf normal waren. Es lag also keine primäre Linksherzinsuffizienz vor. Unter Behandlung mit Noradrenalin-Infusionen und aortaler Ballonpulsation erholte sich der Patient allmählich und konnte schließlich in die ambulante Behandlung entlassen werden.
Diltiazem ist ein Kalziumantagonist mit vasodilatatorischer, negativ chrono-, dromo- und inotroper Wirkung. Überdosierungssymptome von Diltiazem sind gut bekannt. Häufig sind sie zentralnervöser Art (Konfusion, Lethargie, Koma, Atemstillstand), Übelkeit und Erbrechen, Hypotension, Bradykardie, verschiedene Grade von AV-Blockierungen und respiratorische Insuffizienz (nicht kardiogenes Lungenödem). Metabolische Symptome sind Hyperglykämie und Laktatazidose. Entscheidend ist die mit einfacher invasiver Methodik erkennbare periphere Vasodilatation. Die Behandlung ist symptomorientiert und supportiv. Die Wirkung einer früh begonnenen Hämoperfusion mit intravenösen Gaben von Kalzium ist ungesichert.
Aus diesem Fall kann man lernen, daß bei der Erhebung der Medikamentenanamnese nicht nur die Einnahme aller verordneten Medikamente erfragt werden sollte, sondern auch deren Dosierung sowie jede Art von Selbstmedikation. Weiterhin ist es wichtig, bei ausgeprägt hypotensiven Patienten, den zentralen Venendruck und den pulmonalen Kapillardruck zu messen, da nicht jede Hypotension mit Atemnot bei Patienten mit bekannter Herzerkrankung durch ein Linksherzversagen verursacht sein muß.
Fazit: Eine Überdosierung von Diltiazem (wahrscheinlich auch von anderen Kalziumantagonisten) kann zu einer schweren arteriellen Hypotension mit Multiorganversagen führen. Bei der Erhebung der Medikamentenanamnese sollte daher auch an die Möglichkeit einer Überdosierung gedacht werden.