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Umfrage zur Verordnung hämatopoetischer Wachstumsfaktoren durch amerikanische Hämatologen und Onkologen

Wir sind auf die 1994 erstmals publizierten und 1996 aktualisierten Richtlinien zur rationalen Verabreichung hämatopoetischer Kolonien-stimulierender Faktoren (CSF) der American Society of Oncology (ASCO) wiederholt eingegangen (1, 2), zuletzt im Rahmen einer Übersicht zum klinischen Einsatz des Granulozyten- bzw. Granulozyten-Makrophagen-stimulierenden Faktors (G-CSF/GM-CSF; vgl. AMB 1998, 32, 1). In diesen Richtlinien werden u.a. Empfehlungen ausgesprochen zur Gabe der CSF nach Chemotherapie im Rahmen der primären oder sekundären Prophylaxe einer febrilen Neutropenie und der therapeutischen Gabe der CSF bei Patienten mit Neutropenie und hohem Risiko für septische Komplikationen. Im Jahre 1994 hatte vor Publikation der ASCO-Richtlinien eine erste Umfrage unter amerikanischen Hämatologen und Onkologen die individuellen Verordnungsgewohnheiten der Ärzte in den USA hinsichtlich G-CSF (Neupogen, Granocyte) bzw. GM-CSF (Leucomax) anhand hypothetischer klinischer Szenarios und allgemeiner Fragen ermittelt (3; vgl. AMB 1997, 31, 22a). In einer kürzlich publizierten zweiten Umfrage der ASCO wurde überprüft, inwieweit die ASCO-Richtlinien das Verordnungsverhalten der amerikanischen Ärzte beeinflußt haben (4). Es wurden nach dem Zufallsprinzip 1500 Mitglieder der ASCO ausgewählt und diesen Ärzten ähnliche Fragebögen wie 1994 zugeschickt, die von 60,2% beantwortet wurden. Gegenüber der ersten Umfrage wurden CSF in folgenden Situationen seltener verordnet: (a) Behandlung der febrilen Neutropenie ohne eindeutige Hinweise für Lokalisation der Infektion oder mit Infiltrat im rechten Lungenunterlappen, (b) primäre Prophylaxe nach Chemotherapie des fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms mit Paclitaxel (Taxol) oder des kleinzelligen Bronchialkarzinoms mit Cyclophosphamid, Doxorubicin und Vincristin (CAV), (c) sekundäre Prophylaxe nach afebriler Neutropenie als Folge einer Polychemotherapie von Keimzelltumoren. Entgegen den Empfehlungen der ASCO gaben z.B. bis zu 16% der befragten Ärzte weiterhin CSF im Rahmen einer primären Prophylaxe bei Patienten mit niedrigem Risiko für eine febrile Neutropenie, und 53% der Ärzte würden im Rahmen einer sekundären Prophylaxe bei palliativer Polychemotherapie des kleinzelligen Bronchialkarzinoms mit CAV anstelle einer Dosisreduktion der Zytostatika CSF verordnen. Gegenüber der Umfrage von 1994 ist der Anteil der Ärzte, die zur Behandlung einer afebrilen Neutropenie (30%) bzw. einer unkomplizierten febrilen Neutropenie (60,5%) CSF einsetzen würden, weiterhin sehr hoch. Der Nutzen von G-CSF oder GM-CSF für diese Indikationen ist durch kontrollierte klinische Studien nicht gesichert. In Übereinstimmung mit den ASCO-Richtlinien wird eine kürzere Gabe des CSF (als in der Fachinformation angegeben) als vernünftige Alternative von den befragten Ärzten angesehen. In privaten Praxen tätige Ärzte („Fee-for-service“) und Ärzte, die vor 1970 ihre medizinische Ausbildung abgeschlossen haben, verordneten CSF signifikant häufiger als Ärzte universitärer Einrichtungen oder der Health Maintenance Organization (HMO). Mehr als 80% der befragten Ärzte bevorzugten die Gabe von G-CSF gegenüber GM-CSF.

Die Angaben im Arzneiverordnungs-Report 1999 (5) zu den Verordnungen des umsatzstärksten CSF (Neupogen) lassen vermuten, daß erfreulicherweise auch in Deutschland die Richtlinien der ASCO inzwischen besser beachtet werden (1996: 45 Tsd. Verordungen; 90,2 Mio. DM Umsatz; 1997: 56,4 bzw. 122,1; 1998: 48,5 bzw. 108,6).

Fazit: Die Verordnung hämatopoetischer CSF war zwischen 1994 und 1997 in den USA rückläufig und orientierte sich stärker an den Richtlinien der ASCO. Weiterhin befürworten jedoch zahlreiche Ärzte in den USA die Gabe von G-CSF oder GM-CSF in Situationen, in denen der Nutzen durch kontrollierte klinische Studien nicht belegt ist. Unabhängige Initiativen, die neben der Verbreitung der ASCO-Richtlinien auch auf eine kontinuierliche Qualitätsverbesserung in der supportiven Therapie onkologischer Erkrankungen abzielen, sind in den USA und sicherlich auch in Deutschland dringend erforderlich.

Literatur

1. American Society of Clinical Oncology: J. Clin. Oncol. 1994, 12, 2471.
2. American Society of Clinical Oncology: J. Clin. Oncol. 1996, 14, 1957.
3. Bennett, C.L., et al.: J. Clin. Oncol. 1996, 14, 2511.
4. Bennett, C.L., et al.: J. Clin. Oncol. 1999, 17, 3676.
5. Schwabe, U., und Paffrath, D.: Arzneiverordnungs-Report 1999. Springer, Berlin, Heidelberg 2000.