Deferipron (Ferriprox) hat im August 1999 von der europäischen Arzneimittelbehörde (EMEA) eine Genehmigung für das Inverkehrbringen „unter besonderen Bedingungen“ erhalten. Das genehmigte Anwendungsgebiet ist die Behandlung des erhöhten Eisenspiegels bei Patienten mit Thalassämia major, bei denen eine Behandlung mit Deferoxamin (Desferal) kontraindiziert oder bei denen Deferoxamin stark toxisch wirkt. Deferipron ist ein synthetischer Wirkstoff, der Mitte der achtziger Jahre in England auf der Suche nach neuen Therapien gegen die Eisenüberladung entwickelt wurde. In einer interessanten Übersichtsarbeit unter der Rubrik „Perspektive“ wurde kürzlich in der Zeitschrift Blood ausführlich auf die pharmakologischen Eigenschaften, klinischen Studien zur Wirksamkeit und unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) von Deferipron eingegangen (1). Wir möchten im Folgenden einige für den klinischen Einsatz von Deferipron relevante Punkte dieser Übersichtsarbeit zusammenfassen.
Deferipron wird schnell vom oberen Teil des Magen-Darmtrakts resorbiert. Maximale Serumkonzentrationen werden 45-60 Minuten nach Gabe einer Einzeldosis bei nüchternen Patienten gemessen. Dieser Zeitraum kann sich bei Patienten, die gegessen haben, auf 2 Stunden erhöhen. Deferipron wird in erster Linie durch Konjugation mit Glucuronsäure inaktiviert und hauptsächlich über die Nieren ausgeschieden. 75%-90% der eingenommenen Dosis werden innerhalb der ersten 24 Stunden als freies Deferipron, Deferipronglucuronid und Eisen-Deferipron-Komplex wieder ausgeschieden. Die über den Stuhl ausgeschiedene Menge variiert. Die Eliminations-Halbwertzeit beträgt 1,5-3 Stunden. Als zweiwertiger Ligand bindet Deferipron an Eisen in einem Molverhältnis von 3:1. Klinische Untersuchungen haben gezeigt, daß Deferipron die Eisenausscheidung über den Urin fördert und in einer Dosis von 75 mg/kg ähnlich wirksam ist wie Deferoxamin in einer Dosierung von 40-50 mg/kg als subkutane Infusion über 8-12 Stunden.
Verschiedene klinische Untersuchungen, insbesondere bei Patienten mit Thalassämia major, haben bestätigt, daß Deferipron die Eisenausscheidung fördert und die Eisenakkumulation bei Patienten mit Thalassämia major unter regelmäßigen Transfusionen von Erythrozytenkonzentraten verhindern kann. Als Parameter für die Wirksamkeit der Eisenausscheidung wurden u.a. das Serumferritin, das nicht an Transferrin gebundene Serumeisen sowie Eisenbestimmungen in der Leber und im Herzen (z.B. mittels Biomagnetometer oder Kernspinresonanz-Messungen) herangezogen. Dabei zeigte sich, daß einzelne oder sporadische Messungen der Serumferritin-Konzentration, insbesondere bei Patienten mit Hepatitis-C, als Parameter für die Eisenüberladung nicht geeignet sind. Bei Patienten mit initial sehr hohen Serumferritin-Konzentrationen (z.B. > 4000 µg/l) kam es meistens zu einer signifikanten und anhaltenden Abnahme des Serumferritins, wohingegen bei Patienten mit Serumferritin-Konzentrationen > 2000 µg/l keine signifikante Abnahme beobachtet wurde. Unter Behandlung mit Deferipron sollte deshalb ergänzend zur Serumferritin-Konzentration eine Messung der Eisenüberladung in der Leber bzw. im Herzen erfolgen. Nur wenige prospektive randomisierte Studien haben bisher die Wirksamkeit von Deferipron und Deferoxamin bezüglich der Eisenakkumulation in der Leber und im Herzen untersucht. Die Ergebnisse einer kürzlich publizierten Studie zum Einfluß von Deferipron bzw. Deferoxamin auf die kardiale Eisenakkumulation, gemessen mittels Kernspinresonanz, werden in der o.g. Übersichtsarbeit auf Grund verschiedener Schwächen im Studiendesign in Frage gestellt. In dieser Studie wurde für Deferipron ein signifikanter Vorteil gegenüber Deferoxamin in der Vorbeugung einer kardialen Eisenakkumulation beschrieben (2). Auch zur Wirksamkeit einer kombinierten (Deferoxamin plus Deferipron) oder sequentiellen Therapie (Deferoxamin gefolgt von Deferipron) müssen noch prospektive Untersuchungen mit größeren Patientenzahlen durchgeführt werden.
In ersten klinischen Studien wurden Neutropenie bzw. Agranulozytose als schwerste UAW von Deferipron beobachtet. Die Angaben zur Häufigkeit dieser UAW variieren (Agranulozytose 1%-4%, milde Neutropenie 4%), wobei die Agranulozytose in einem Zeitraum von 6 Wochen bis 21 Monaten und die milde Neutropenie zwischen 7 und 124 Tagen, jeweils nach Beginn der Gabe von Deferipron, auftraten. Die Knochenmarkschädigung war im Unterschied zu tierexperimentellen Daten nicht eindeutig dosisabhängig. Der Mechanismus der Knochenmarktoxizität von Deferipron ist unklar. Diskutiert wird in erster Linie eine idiosynkratische Reaktion, die zumindest bei einigen Patienten eine immunologische Ursache hatte. Auch die Angaben zur Dauer der Neutropenie nach Absetzen von Deferipron variieren (7-124 Tage). Eine erneute Behandlung mit Deferipron nach Normalisierung der Leukozytenwerte ist kontraindiziert. Weitere UAW sind gastrointestinale Symptome, fluktuierende Anstiege der Leberenzyme, Arthralgien, Übelkeit und das Auftreten eines Zinkmangels. Berichte zur Hepatotoxizität, insbesondere eine Deferipron-induzierte Leberfibrose, haben in den vergangenen Jahren Aufmerksamkeit erzeugt (3). Bei den bisher vorliegenden Untersuchungen ist noch immer umstritten, ob Deferipron eine Leberfibrose auslösen oder verschlimmern kann. Aufgrund des bei Thalassämie beobachteten Zusammenhangs zwischen Leberfibrose und Hepatitis C muß bei dieser Patientengruppe besonders sorgfältig auf eine optimale Eisenchelat-Bildung geachtet und die Leberhistologie regelmäßig überwacht werden.
Fazit: Eine Behandlung mit Deferipron sollte derzeit nur bei den Patienten mit Thalassämia major erwogen werden, bei denen die Gabe von Deferoxamin aufgrund von UAW oder Problemen mit der Compliance nicht möglich ist bzw. die auf Deferoxamin nicht ausreichend ansprechen. Die empfohlene Dosis beträgt dreimal 25 mg/kg Körpergewicht/d (Gesamtdosis: 75 mg/kg/d; Tagestherapiekosten ca. 45 EUR). Unter der Therapie mit Deferipron müssen Neutrophilenzahl (wöchentlich), Zn2+-Plasmaspiegel und ebenso wie bei Deferoxamin die Eisenspeicher und die Leber- sowie kardiale Funktion regelmäßig überwacht werden. Prospektive klinische Studien zum kombinierten bzw. sequentiellen Einsatz mit Deferoxamin und zur Gabe von Deferipron bei anderen Anämieformen mit transfusionsbedingter Hämosiderose sind dringend erforderlich.
Literatur
- Hoffbrand, A.V., et al.: Blood 2003, 102, 17.
- Anderson, L.J., et al.: Lancet 2002, 360, 516.
- Olivieri, N.F., et al.: N. Engl. J. Med. 1998, 339, 417.