Artikel herunterladen

Imatinib – der neue Goldstandard für die Behandlung der chronischen myeloischen Leukämie?

Unter dieser Überschrift (ohne Fragezeichen) ist kürzlich ein Editorial von K. Peggs und S. MacKinnon erschienen (1), das sich mit den Ergebnissen der viel beachteten IRIS-Studie beschäftigt (2). In dieser Studie bei Patienten mit neu diagnostizierter chronischer myeloischer Leukämie (CML) wurden Wirksamkeit und Verträglichkeit von Imatinib (Glivec) mit einer Kombination von Interferon alfa (IFN-α) plus niedrig-dosiertem Cytarabin verglichen. Imatinib ist ein Inhibitor verschiedener Tyrosinkinasen (z.B. BCR-ABL bei CML), der u.a. selektiv die Proliferation von Zellen hemmt und Apoptose induziert (vgl. AMB 2001, 35, 47b). Insgesamt wurden 1106 Patienten in diese prospektive, multizentrische, offene Phase-III-Studie eingeschlossen und nach Randomisierung entweder mit Imatinib (400 mg/d) oder IFN-α (Zieldosis: 5 Mio. U/m2 Körperoberfläche/d s.c.) plus niedrig dosiertem Cytarabin (20 mg/m2/d s.c.) 10 Tage lang während jeden Monats behandelt. Dosismodifikationen von Imatinib, IFN-α und Cytarabin waren bei Auftreten unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) bzw. unzureichendem hämatologischen oder zytogenetischen Ansprechen erlaubt. Die Entscheidung, IFN-α plus Cytarabin als derzeitigen Therapiestandard und Vergleichsarm zu wählen, beruht auf den Ergebnissen einer einzigen randomisierten Studie (3; vgl. AMB 1997, 31, 69) und erwies sich im weiteren Verlauf der Studie aufgrund der schlechten Verträglichkeit dieser Kombination als falsch. Die gleichzeitige Gabe von Hydroxycarbamid war in beiden Therapiegruppen während der ersten 6 Monate der Studie gestattet, um eine Leukozytenzahl < 20000/µl zu erreichen. Ein Wechseln in die jeweils andere Therapiegruppe (”Crossover”) war bei Vorliegen zuvor definierter Kriterien (u.a. kein Ansprechen, Anstieg der Leukozyten, Unverträglichkeit der Medikamente) möglich. Das Design der Studie wurde durch die beteiligten Hämatologen und Vertreter von Novartis, dem Sponsor der Studie, entwickelt. Primärer Endpunkt der Studie war Progreß der Erkrankung, als der jedes der folgenden Ereignisse gewertet wurde: Tod während der Behandlung, Auftreten einer akzelerierten Phase der CML oder Blastenkrise der CML, Verlust des kompletten hämatologischen oder sehr guten (”major”) zytogenetischen Ansprechens oder Anstieg der Leukozyten. Die Analyse des primären Endpunkts erfolgte entsprechend ”Intention-to-treat”. Sekundäre Endpunkte waren Rate der kompletten hämatologischen und sehr guten zytogenetischen Remissionen, Sicherheit der Behandlung und Verträglichkeit. Die Rekrutierung der Patienten für diese Studie erfolgte von Juni 2000 bis Januar 2001, und die vorliegende Analyse basiert auf Daten, die bis Juli 2002 gesammelt wurden (mediane Beobachtungsdauer: 19 Monate). 79 Patienten in der Imatinib- und 493 Patienten in der IFN-α-plus-Cytarabin-Gruppe brachen die Behandlung vorzeitig ab oder wechselten in die andere Therapiegruppe. Häufigster Grund für Crossover während der kombinierten Behandlung war Unverträglichkeit und für Therapieabbruch Rücknahme des Patienteneinverständnisses, nachdem die FDA im Mai 2001 Imatinib für die Behandlung der CML zugelassen hatte. Die wichtigsten Ergebnisse hinsichtlich hämatologischem und zytogenetischem Ansprechen sind in Tab. 1 zusammengefaßt. Das mediane Intervall bis zum Erreichen eines kompletten hämatologischen Ansprechens lag in der Imatinib-Gruppe bei einem Monat und für die kombinierte Therapie bei 2,5 Monaten. Die Rate kompletter hämatologischer Remissionen betrug nach 18 Monaten für Imatinib 97% und für IFN-α plus Cyatarabin 69%. Noch deutlicher unterschieden sich die Ergebnisse hinsichtlich des sehr guten zytogenetischen Ansprechens (87% vs. 35%) zugunsten von Imatinib. Vorläufige Daten bezüglich des molekularen Ansprechens, die in der Publikation nicht mitgeteilt wurden, sprechen dafür, daß Imatinib ebenso wie auch IFN-α nur selten zu einer kompletten molekularen Remission führt (1, 4). Krankheitsprogreß war unter Imatinib nach 12 bzw. 18 Monaten signifikant seltener. Die Überlebensraten nach 18 Monaten unterschieden sich jedoch für beide Gruppen nicht signifikant (97% vs. 95%). Aufgrund der hohen Rate an ”Crossover” in die Imatinib-Gruppe wird vermutlich auch bei längerer Beobachtung kein signifikanter Unterschied im Überleben erkennbar sein und eine Verlängerung des Überlebens durch Imatinib nur anhand des Vergleichs mit historischen Kontrollen, die mit IFN-α behandelt wurden, gezeigt werden können. Imatinib wurde insgesamt besser als die kombinierte Behandlung vertragen. Schwere UAW (Grad 3 oder 4) unter IFN-α plus Cytarabin, die häufig zum Wechsel in die Imatinib-Gruppe geführt hatten, betrafen insbesondere Fatigue, Depressionen, Myalgien/Arthralgien sowie Neutro- und Thrombopenie. Weitere wichtige Fragen wie z.B. Auftreten von Resistenzen gegenüber Imatinib bei längerer Behandlungsdauer und mittel- bzw. langfristige Verträglichkeit von Imatinib werden durch diese Studie nicht beantwortet.

Fazit: Imatinib führt bei Patienten mit neu diagnostizierter CML zu einem signifikant besseren hämatologischen sowie zytogenetischen Ansprechen, verlängert das progreßfreie Überleben und ist insgesamt besser verträglich als eine Kombinationstherapie mit IFN-α plus Cytarabin. Eine Überlegenheit von Imatinib im Gesamtüberleben konnte nicht gezeigt werden und wird aufgrund des Designs dieser Studie auch bei längerer Beobachtungsdauer vermutlich nicht erkennbar sein. Ob Imatinib zu Recht als neuer Goldstandard in der Behandlung der CML zu bezeichnen ist, kann deshalb erst nach längerer Beobachtung beurteilt werden.

Literatur

  1. Peggs, K., und Mackinnon, S.: N. Engl. J. Med. 2003, 348, 1048.
  2. O’Brien, S.G., et al. (IRIS = International Randomized study of Interferon and STI571): N. Engl. J. Med. 2003, 348, 994.
  3. Guilhot, F., et al.: N. Engl. J. Med. 1997, 337, 223.
  4. Branford, S., et al.: Blood 2002, 100, 96a (Abstract).

Abbildung 2003-28-1.gif