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Lebensbedrohliche Arzneimittelwirkungen nach Gabe von Gefitinib bei Patienten mit nichtkleinzelligem Bronchialkarzinom

Das Wachstum solider Tumore wird u.a. von Mitgliedern der Epidermal-Growth-Factor-Rezeptor-Familie (EGFR) beeinflußt, zu der neben EGFR auch HER2, HER3 und HER4 gehören. Nach Aktivierung dieser in Tumorzellen häufig überexprimierten Rezeptoren, z.B. durch Bindung des Liganden, erfolgt eine durch Tyrosinkinasen induzierte Phosphorylierung intrazellulärer Signaltransduktions-Moleküle, die wiederum Proliferation, Zelltod und Angiogenese regulieren. Die Entwicklung innovativer Substanzen, die spezifisch EGFR-Tyrosinkinasen hemmen, wurde deshalb mit Spannung erwartet. Gefitinib (Iressa), ein Quinazolin-Derivat mit guter Wirksamkeit in experimentellen Tumormodellen und oraler Verfügbarkeit (”kleines Molekül”), ist eine derartige Substanz. Als Monotherapie konnten in Phase-II-Studien (z.B. IDEAL 1; 1) bei vorbehandelten Patienten mit fortgeschrittenem nichtkleinzelligem Bronchialkarzinom (NSCLC) Ansprechraten zwischen 12 und 18% sowie eine Verbesserung der Symptome und der Lebensqualität erreicht werden. Demgegenüber ergaben Phase-III-Studien, die bisher nur als Abstracts vorliegen und in denen insgesamt etwa 2000 unbehandelte Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC mit Cisplatin plus Gemcitabin bzw. Carboplatin plus Paclitaxel ± Gefitinib behandelt wurden, keine Hinweise für ein besseres Therapieansprechen durch Gefitinib (INTACT 1 und 2; 2, 3). Über schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) von Gefitinib wurde weder in den Phase-II- noch in den Phase-III-Studien berichtet. Gefitinib wurde in Japan und den USA im September 2002 nach sehr kurzer Begutachtung durch die entsprechenden Behörden zur Behandlung von Patienten mit NSCLC zugelassen. Im Widerspruch zur Darstellung der Toxizität von Gefitinib in den Abstracts der genannten Studien stehen kürzliche Mitteilungen über schwere pulmonale UAW (z.T. mit tödlichem Ausgang) nach Gabe von Gefitinib. Japanische Autoren berichteten im Lancet über vier Patienten, die unter der Therapie eine schwere interstitielle Pneumonitis entwickelten. Zwei starben (4). Der Herausgeber einer unabhängigen japanischen Arzneimittel-Zeitung (5) hat aber noch bedrohlichere Zahlen: Etwa 19000 Patienten sind bisher weltweit mit Gefitinib behandelt worden; von diesen erlitten 494 schwere UAW (Pneumonie/Pneumonitis, ”acute respiratory distress syndrome”), und 114 starben an den Folgen der UAW. Als verantwortliche Faktoren für diese UAW wird ein Einfluß von Gefitinib auf das Wachstum auch normaler Zellen und die interindividuell deutlich unterschiedliche Metabolisierung von Gefitinib über Enzyme des Zytochrom-P-450-Systems (CYP3A4) diskutiert.

Fazit: Die Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC mit Gefitinib, einem neuen Tyrosinkinase-Hemmer, war nach Mitteilungen japanischer Autoren häufig mit schweren, auch tödlich verlaufenden pulmonalen UAW assoziiert. Gleichzeitig haben Phase-III-Studien bisher keinen therapeutischen Vorteil für Gefitinib in Kombination mit platinhaltiger Chemotherapie bei unbehandelten Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC ergeben. Diese klinischen Erfahrungen verdeutlichen erneut, daß neue Substanzen, die aufgrund ihres molekularen Angriffspunkts und experimenteller Daten als vielversprechend für die Therapie von Tumorerkrankungen gelten, vor ihrer Zulassung sehr gründlich und ohne Zeitdruck in klinischen Phase-II/III-Studien hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit untersucht werden müssen.

Literatur

  1. Douillard, J.-Y., et al. (IDEAL): Proc. ASCO 2002, 21, 298a.
  2. Giaccone, G., et al. (INTACT 1): Ann. Oncol. 2002, 13 Suppl. 5, 2.
  3. Johnson, D.H., et al. (INTACT 2): Ann. Oncol. 2002, 13 Suppl. 5, 127.
  4. Inoue, A., et al.: Lancet 2003, 361, 137.
  5. Rokuro Hama, ISDB, Japan. Persönliche Mitteilung.