Artikel herunterladen

Buchbesprechung: Wie man Krankheiten passend zu Präparaten konstruiert

Das Buch des Biochemikers und Wissenschaftspublizisten Jörg Blech ”Die Krankheitserfinder” (S. Fischer, Frankfurt/Main 2003. 17,90 EUR) hat soviel öffentliche Resonanz gefunden, daß wir um eine Stellungnahme nicht herumkommen, obwohl Buchbesprechungen im ARZNEIMITTELBRIEF eigentlich nicht (mehr) vorgesehen sind. Blechs Kernaussage: die Industrie beschränkt sich nicht mehr darauf, Medikamente gegen Krankheiten zu entwickeln, sie erfindet nun auch Krankheiten, um mehr Arzneimittel verkaufen zu können. Und dazu führt sie erfolgreiche ”Disease-Awareness”-Kampagnen, denen auch Ärzte zum Opfer fallen können, sofern sie nicht sogar als ”Mietmäuler” aktiv mitmachen. Aber auch medizinische Fachgesellschaften tragen mit Überbewertungen von Symptomen oder engeren Grenzen von Normalwerten zur Ausweitung von Krankheitsbegriffen bei.

Normale Lebensphasen, von der Schwangerschaft über die Geburt bis zum Altern und Sterben, werden für therapiebedürftig erklärt. Biologische Grenzwerte (Beispiel Cholesterin) setzt man willkürlich herab, um möglichst viele gesunde ”Risikopersonen” lebenslang medikamentös behandeln zu können. Leichte Befindens- oder lästige Verhaltensstörungen werden zu Krankheiten hochstilisiert (so wird Schüchternheit zur ”Sozialen Phobie”). Indikationen weitet man ins Unendliche aus, wie etwa bei Depressionen oder Osteoporose, damit der Krankheits-Wert für die Interessen der Pharmaindustrie steigt.

Der Autor bringt dafür zahlreiche Beispiele und widmet einigen davon ganze Kapitel, z.B. dem ”Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitäts-Syndrom”, der ”erektilen Dysfunktion” oder dem weiblichen und nun auch dem männlichen Klimakterium. Andere Krankheiten oder Nicht-Krankheiten erwähnt er nur oder läßt sie ganz weg, etwa die ”Multiple Chemische Sensitivität” und andere modische Ökosyndrome.

Das Buch wendet sich an ein großes Publikum und dürfte daher von Medizinern stellenweise als zu reißerisch empfunden werden. Aber der Autor belegt alle Aussagen minutiös und gibt als Quellen oft kontrollierte Studien an, die in renommierten internationalen Fachzeitschriften publiziert sind. Er verarbeitet sie popularisierend, wie auch eine Sondernummer des Brit. Med. J. (2000, 13. April, No. 7342), die dem ”Disease mongering” gewidmet war, und ebenso verschiedene jener Bücher, in denen Mediziner und andere Wissenschaftler schon vorher auf das Thema Medikalisierung und Krankheitsmarketing eingegangen sind.