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Gefitinib beim nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom: Welche Patienten profitieren von dieser Substanz?

Fortschritte im Verständnis molekularer Mechanismen, die in Tumorzellen zu einer verstärkten Proliferation bzw. einer Störung des programmierten Zelltods (Apoptose) führen und die Metastasierung fördern, haben wesentlich zur Entwicklung neuer Substanzen für die Behandlung hämatologischer Neoplasien und solider Tumoren beigetragen (vgl. 1). Darüber hinaus ist es inzwischen möglich, insbesondere durch den Einsatz globaler Genexpressionsanalysen mit Mikroarrays, neue Zielstrukturen für molekulare Therapieansätze bei Tumorerkrankungen zu identifizieren und frühzeitig Aussagen über Ansprechen oder Resistenz einer Tumorerkrankung gegenüber spezifischen Therapiestrategien zu treffen (2). Verschiedene neue Substanzen mit molekular definiertem Angriffspunkt werden derzeit in Phase-II- bzw. Phase-III-Studien mit dem Ziel der Zulassung bei Patienten mit Tumorerkrankungen getestet. Eingeschlossen in diese Studien werden häufig Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen, die gegenüber der Standardtherapie refraktär sind. Wir sind kürzlich auf Studien mit Gefitinib (Iressa®) bei Patienten mit fortgeschrittenem nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC) eingegangen (vgl. 3). Gefitinib ist ein oral zu verabreichender, gegen den Rezeptor für den „Epidermal growth factor” (EGFR) gerichteter Tyrosinkinase-Inhibitor. Mit dieser inzwischen in Japan und den USA zugelassenen Substanz wurden weltweit mehr als 100000 Patienten mit NSCLC, zum Teil in Kombination mit platinhaltigen Chemotherapieprotokollen, behandelt. In Phase-II-Studien zeigte nur ein kleiner Prozentsatz der Patienten (10-19%) ein Ansprechen auf diese Therapie, und gleichzeitig wurde über ernste unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW), wie z.B. schwere interstitielle Pneumonitiden, berichtet. Phase-III-Studien, die kürzlich publiziert wurden (4, 5), ergaben darüber hinaus, daß die Ergebnisse einer Polychemotherapie mit Cisplatin und Gemcitabin oder Carboplatin plus Paclitaxel bei Patienten mit NSCLC durch die zusätzliche Gabe von Gefitinib weder hinsichtlich der Ansprechraten noch hinsichtlich des Überlebens verbessert werden können.

Vor diesem Hintergrund sind molekulare Analysen, die eine bessere, frühzeitige Identifizierung von Patientensubgruppen mit NSCLC und Ansprechen auf Gefitinib ermöglichen, von großer klinischer Bedeutung. Unabhängig voneinander haben jetzt zwei Arbeitsgruppen im N. Engl. J. Med. und in Science Ergebnisse an Patienten aus den USA und Japan publiziert, die als Ursache des unterschiedlichen Ansprechens auf Gefitinib genetische Veränderungen im EGFR ergaben (6, 7). In der Untersuchung von T.J. Lynch et al. wurde Tumormaterial zum Zeitpunkt der Diagnose von 9 Patienten, die zumindest ein partielles Ansprechen des NSCLC auf eine Monotherapie mit Gefitinib zeigten, molekular hinsichtlich somatischer Mutationen im Gen für den EGFR analysiert (6). Verglichen wurden diese Ergebnisse mit molekularen Befunden an (a) Tumorproben von Patienten mit NSCLC, die nicht auf Gefitinib ansprachen, (b) kein Gefitinib erhalten hatten, (c) extrapulmonalen Tumoren und (d) Tumorzelllinien. Bei 8 von 9 Patienten mit NSCLC und Ansprechen auf Gefitinib, aber bei keinem der 7 Patienten ohne Ansprechen auf Gefitinib, fanden sich heterozygote somatische Mutationen innerhalb der Tyrosinkinase-Domäne des Gens für den EGFR (Deletionen oder Substitution einer Aminosäure). Diese Mutationen betrafen die ATP-Bindungsstelle in der Tyrosinkinase-Domäne und führten zu einer Zunahme der Funktion des EGFR („Gain-of-function”-Mutation). Mit Hilfe von In-vitro-Transfektionsexperimenten konnte gezeigt werden, daß diese Mutationen vermutlich die Interaktion zwischen Gefitinib und der Tyrosinkinase stabilisieren und dadurch die inhibitorische Wirkung von Gefitinib verstärken. Ähnliche Mutationen fanden sich bei 2 von 25 Patienten mit NSCLC, die kein Gefitinib erhalten hatten. Keine der 95 Proben von extrapulmonalen Tumoren und der 108 untersuchten Tumorzelllinien zeigten derartige Mutationen in der kodierenden Region des EGFR-Gens.

Die Untersuchungen von J.G. Paez an 119 Patienten mit NSCLC aus den USA und Japan bestätigen diese Ergebnisse und ergaben interessante ethnische Unterschiede in der Häufigkeit von somatischen Mutationen im EGFR-Gen zwischen japanischen (15/58) und nordamerikanischen (1/61) Patienten (7). Zusätzlich durchgeführte Analysen bei 5 Patienten mit gutem Ansprechen auf Gefitinib zeigten somatische Mutationen in allen 5 Tumorproben, wohingegen sich bei 4 Patienten ohne Ansprechen keine Mutationen fanden.

Verschiedene lesenswerte Editorials weisen auf die paradigmatische Bedeutung dieser beiden Untersuchungen für zukünftige klinische Prüfungen bei Tumorerkankungen hin, in denen neue Substanzen mit molekular definierten Angriffspunkten (sogenannte „Targeted therapy”) getestet werden (8-10). Die bisher verfolgte Strategie („Gießkannenprinzip”), große Patientenkollektive im Rahmen klinischer Studien oder „Expanded Access Programme” zu behandeln, obwohl frühzeitig deutlich wird, daß nur ein relativ kleiner Prozentsatz der Patienten von der Prüfsubstanz profitiert, scheint unter zellbiologischen, insbesondere aber unter ethischen und pharmakoökonomischen Gesichtspunkten nicht mehr vertretbar zu sein. Wie in einem dieser Editorials zu der Untersuchung von T.J. Lynch et al. zu Recht betont wird (8), sollte die Austestung der „Targeted therapy” hinsichtlich klinischer Wirksamkeit und Sicherheit zukünftig in zwei Schritten erfolgen. Nach Identifizierung einer molekularen Zielstruktur und eines therapeutischen Liganden (meistens ein Inhibitor) muß versucht werden, anhand sorgfältiger, parallel zu den klinischen Prüfungen durchgeführter molekularer Analysen die Patienten rasch zu identifizieren, die von einer neuen Substanz tatsächlich profitieren. Dadurch kann vermieden werden, daß Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen teure Substanzen erhalten, von denen sie nicht profitieren, die aber zu potenziell schweren UAW führen können und deren mittel- bzw. langfristige Toxizität noch unbekannt ist.

Fazit: Patienten mit nichtkleinzelligem Bronchialkarzinom und gutem Ansprechen auf eine Monotherapie mit Gefitinib zeigen häufig aktivierende Mutationen in der Tyrosinkinase-Domäne des Gens für den Rezeptor für den „epidermal growth factor” (EGFR), die zu einer durch Gefitinib inhibierbaren Zunahme der Funktion des EGFR führen. Gründliche Analysen der für das klinische Ansprechen bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen verantwortlichen molekularen Mechanismen sind dringend erforderlich, um die „Targeted therapy”, z.B. mit EGFR-Tyrosinkinase-Inhibitoren, tatsächlich gezielt einzusetzen und unnötige Behandlungen mit teuren, aber zum Teil auch toxischen neuen Substanzen zu vermeiden.

Literatur

  1. AMB 2003, 37, 1 und 28.
  2. Staudt, L.M.: N. Engl. J. Med. 2003, 348, 1777.
  3. AMB 2003, 37, 23 und 39c.
  4. Giaccone, G., et al. (INTACT 1): J. Clin. Oncol. 2004, 22, 777.
  5. Herbst, R.S., et al. (INTACT 2): J. Clin. Oncol. 2004, 22, 785.
  6. Lynch, T.J., et al.: N. Engl. J. Med. 2004, 350, 2129.
  7. Paez, J.G., et al.: Science 2004, 304, 1497.
  8. Green, M.R.: N. Engl. J. Med. 2004, 350, 2191.
  9. Minna, J.D., et al.: Science 2004, 304, 1458.
  10. Anonym: Nat. Med. 2004, 10, 553.