Im vorigen Jahr haben wir einen Überblick über Prophylaxe und Behandlung der Grippe mit Neuraminidasehemmern (NH; Zanamivir = Relenza®, Oseltamivir = Tamiflu®) gegeben (1). Zanamivir ist ein „Designer drug”, das als Inhibitor der Neuraminidasen von Grippeviren entwickelt wurde. Mit gehemmter Neuraminidase kann das Virus eine infizierte Zelle nicht mehr verlassen, und die Infektionskette innerhalb des infizierten Organismus wird unterbrochen (2). Die klinische Wirksamkeit der NH ist nachgewiesen, aber nicht sehr beeindruckend (1). Trotzdem haben diese Medikamente ein zusätzliches therapeutisches Potential, da sie gegen alle Influenza-Viren wirksam sind, auch gegen solche, gegen die es noch keine Impfstoffe gibt, z.B. das asiatische Hühnergrippe-Virus H5N1 (2). Die älteren Virustatika Amantadin und Rimantadin sind nur gegen Influenza A-Viren wirksam, und es entwickeln sich häufig Resistenzen. Gegen Zanamivir, das per Inhalation appliziert wird, sind bisher noch keine Resistenzen beobachtet worden. Gegen das oral applizierbare Oseltamivir sollen sich während der Behandlung bei ca. 0,4% der Erwachsenen und bei ca. 4% behandelter Kinder Resistenzen entwickeln (2).
Eine aktuelle Untersuchung von M. Kiso aus Japan (3) zeigt nun, daß die Entwicklung von Resistenz gegen Oseltamivir bei Kindern viel häufiger als angenommen auftreten kann. Sie untersuchten mit molekularbiologischen Methoden (RT-PCR der extrahierten Virus-RNA) die Grippeviren von 50 überwiegend stationär behandelten Kindern (davon 12 mit Fieberkrämpfen oder Pneumonie) vor und während einer Behandlung mit Oseltamivir. Sie fanden bei neun der Kinder (18%) durch Oseltamivir verursachte Mutationen im Neuraminidase-Gen. Unter der Behandlung war das Virusneuraminidase-Gen aber nur noch bei 33 der 50 Kinder nachweisbar, d.h. in 17 Fällen war das Virus bei der ersten Untersuchung nach Therapiebeginn bereits weitgehend eliminiert. Durch die Mutationen war die In-vitro-Empfindlichkeit der Neuraminidase gegen die Hemmung durch Oseltamivir um den Faktor 300-500 reduziert. Die Mutationen wurden frühestens am 4. Tag der Behandlung von vier oder fünf (in Ausnahmefällen neun) Tagen Dauer und an allen folgenden Tagen entdeckt. Es spricht Einiges dafür, daß Viren mit mutierter Neuraminidase weniger infektiös sind als der Wildtyp, da die bisher bekannten Mutationen die Funktion der Neuraminidase beeinträchtigen. Bisher sind jedenfalls primäre Resistenzen gegen NH nicht bekannt geworden. Die von Kiso et al. gezeigte Häufigkeit der Entwicklung von Resistenzen läßt aber damit rechnen, daß auch Mutationen mit Resistenz gegen Oseltamivir, aber trotzdem erhaltener Funktion auftreten können (2).
Die Kommentatorin des Artikels von Kiso (3), Frau A. Moscona aus New York (2), empfiehlt, die Entwicklung von NH und die Resistenzforschung mit Nachdruck voranzutreiben, da sie möglicherweise die einzige wirksame Waffe gegen neue Influenza-Viren, für die es noch keine Impfstoffe gibt, sein könnten. Ein gefährliches Szenario sei die Möglichkeit der Fusion von Geflügel-Influenza-Viren, die hoch pathogen aber nicht sicher von Mensch zu Mensch übertragen werden können, mit einem humanen Influenza-Virus. Hierduch könnte ein hoch pathogener und kontagiöser Virusstamm entstehen.
Fazit: Unter der Behandlung mit Oseltamivir entwickeln sich bei Kindern nicht selten Virusmutanten, deren Neuraminidase durch das Medikament kaum noch gehemmt wird. Die Infektiosität dieser Mutanten ist wahrscheinlich gering. Vermutlich ist es richtig, Neuraminidasehemmer wie Oseltamivir nur bei erkennbar schweren Krankheitsverläufen, dann aber frühzeitig, einzusetzen.
Literatur
- AMB 2003, 37, 62a.
- Moscona, A.: Lancet 2004, 364,733.
- Kiso, M., et al.: Lancet 2004, 364, 759.