Zu diesem Thema erschienen in Ann. Int. Med. zwei wichtige Arbeiten und ein Kommentar. Das glykosylierte Hb spiegelt den mittleren Blutzucker (BZ) der letzten 2-3 Monate einschließlich postprandialer BZ-Bewegungen wider und ist ein einfach zu messender biochemischer Marker. Die heutige Definition des Diabetes mellitus (DM: Nüchtern-BZ > 125 mg/dl und/oder Zweistunden-Blutzucker nach 75 g Glukosetrunk > 199 mg/dl) orientiert sich an einer signifikanten Zunahme von Retinopathien im Vergleich zu Populationen mit niedrigeren BZ-Werten (1). Obergrenzen für einen „normalen Blutzucker” werden niedriger angesetzt. So könnte der DM bereits die Spitze des „dysglykämischen Eisbergs” sein (2).
K.T. Kaw et al. aus Großbritannien (3) untersuchten im Rahmen einer prospektiven Populationsstudie im Norfolk County an ca. 10000 Männern und Frauen im Alter von 45-79 Jahren in den Jahren 1995 bis 1997 kardiovaskuläre Risikofaktoren einschließlich HbA1c und ermittelten bis 2003 kardiovaskuläre Krankheitsereignisse (n = 806) und Todesfälle aller Ursachen (n = 521). Personen mit HbA1c < 5% hatten die niedrigste Ereignisrate. Unabhängig davon, ob die Probanden als Diabetiker bekannt waren, war das Relative Risiko (RR) hinsichtlich Letalität bei Männern für jeden höheren Prozentpunkt HbA1c 1,24 (CI: 1,14-1,34), bei Frauen 1,28 (1,06-1,32, für beides p < 0,001). Diese Risikosteigerung war unabhängig von allen anderen Risikofaktoren wie Alter, Blutdruck, Körpergewicht, Cholesterin und Rauchen. Wenn Patienten mit präexistenten kardiovaskulären Erkrankungen, bekanntem DM und mit HbA1c-Werten > 7% unberücksichtigt blieben, dann blieb das mit jedem höheren Prozentpunkt HbA1c verbundene höhere Letalitätsrisiko gleich: RR = 1,26 (CI: 1,04-1,52; p = 0,02).
E. Selvin et al. aus Baltimore (4) führten mit der gleichen Fragestellung eine Metaanalyse aller qualitativ akzeptablen prospektiven Kohortenstudien durch. Bei zehn Studien zum Typ-2-DM mit insgesamt 7435 Probanden und 1378 kardiovaskulären Ereignissen (KHK und Schlaganfall) betrug das RR für jeden höheren Prozentpunkt HbA1c 1,18 (CI: 1,1-1,26). Für tödliche KHK war das RR 1,16 (CI: 1,07-1,26) für jeden Prozentpunkt HbA1c. Zum Typ-1-DM gab es nur drei Studien mit 1688 Probanden und 168 Fällen von KHK. Hier war das RR mit 1,15 (CI: 0,92-1,43) auch positiv mit den Prozentpunkten des HbA1c assoziiert, aber nicht signifikant. Hingegen war die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) in nur zwei Studien mit 1208 Probanden und 99 Ereignissen signifikant mit jedem Prozentpunkt HbA1c assoziiert (RR 1,32, CI: 1,19-1,45).
Diese Autoren untersuchten auch die für therapeutische Konsequenzen wichtige Frage, ob Interventionen mit dem Ziel der strikteren Stoffwechselkontrolle und Senkung des HbA1c-Werts das makrovaskuläre Risiko senken können. In der von uns ausführlich referierten UKPDS-Studie (5) war das nicht signifikant der Fall, während die Ergebnisse gepoolter Studien unter Ein- wie Ausschluss der UKPDS-Ergebnisse signifikante Risiko-Senkungen für Herzinfarkt, Schlaganfall und pAVK mit RR-Werten zwischen 0,8 und 0,9 pro HbA1c-Reduktion um 0,9 Prozentpunkte ergaben.
Beide Autorengruppen weisen auf die Grenzen ihrer Methodik hin. Zunächst beweisen die hier gezeigten Assoziationen keine Kausalität. Es könne auch sein, dass überwiegend Studien mit signifikanten Assoziations-Ergebnissen publiziert worden seien, und für Typ-1-DM seien die Patientenzahlen zu klein. Der Kommentator (2) wertet die Ergebnisse allerdings bereits als Beweis dafür, daß HbA1c ein gesicherter unabhängiger Risikofaktor für makrovaskuläre Komplikationen sei. Für die mikrovaskulären stehe dies bereits fest.
Fazit: Vieles spricht dafür, dass auch makrovaskuläre arteriosklerotische Erkrankungen mit HbA1c korreliert sind und dass HbA1c das hierdurch gegebene Risiko reflektiert. Das Risiko beginnt nicht erst im diabetischen Bereich, so dass Interventionen, wie vermehrte körperliche Aktivität und eine angemessene Ernährung, für die gesamte Bevölkerung angezeigt erscheinen. Obwohl die Studien suggerieren, dass eine Senkung der Konzentration des HbA1c kardiovaskuläre Komplikationen vermindert, muss dies noch durch randomisierte Studien belegt werden.
Literatur
- Expert Committee on the Diagnosis and Classification of Diabetes mellitus: Diabetes Care 1997, 20, 1183.
- Gerstein, H.C.: Ann. Int. Med. 2004, 141, 475.
- Kaw, K.T., et al.: Ann. Intern. Med. 2004, 141, 413.
- Selvin, E., et al.: Ann. Intern. Med. 2004, 141, 421.
- AMB 2000, 34, 95a.