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Leserbrief: Kosten/Nutzen-Relation der Varizellen-Impfung

Prof. H.-H. A. aus Düsseldorf schreibt: >> … In Deutschland werden Varizellen-Todesfälle in der Größenordnung zwischen zwei und fünf pro Jahr gemeldet. … Man kann US-amerikanische Verhältnisse mit einem Viertel der Bevölkerung ohne Versicherungsschutz und zum Teil völlig anderen hygienischen Bedingungen und einer deutlich größeren Armut als bei uns nicht gedanklich auf uns übertragen. … Bei einer 100%igen Impfbeteiligung würde ein verhinderter Todesfall etwa 6-10 Mio. € kosten. In anderen Bereichen gesundheitlicher Versorgung sind wir durchaus strenger in Bezug auf das, was wir uns gesellschaftlich leisten können. <<

Antwort: >> Die Todesursachen-Statistik des Bundes ist unikausal angelegt. Demnach sind die tödlichen Varizellenkomplikationen wie Pneumonie oder Enzephalitis nicht unter „Varizellen”, sondern unter der zum Tode führenden Diagnose erfasst. Doch ist das Kriterium „tödliche Verläufe” einer Infektionskrankheit nur eine von vielen Überlegungen, die bei der Abwägung des Pro und Contra zu bedenken sind.

Die Krankheitslast hat nicht nur die relativ harmlosen, meist aber mit quälendem Juckreiz einhergehenden Erkrankungen des frühen Kindesalters, sondern auch die Varizellen-Zoster-Virus(VZV)-Infektionen bei Hochrisikopersonen (Tumor-, Chemotherapie-, Bestrahlungs-, HIV-Patienten, immunsuppressiv behandelten Patienten, Transplantatempfängern etc.) in Blick zu nehmen. Außerdem bringt jede Windpockenerkrankung eines Kindes stets auch für die Eltern, besonders für die Mutter, Unruhe, Stress und „Arbeitsunfähigkeit” mit sich. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass auch Herpes zoster, speziell bei Nachgeimpften, seltener vorkommt (11).

Über die Häufigkeit von Komplikationen der Windpocken laufen in Deutschland zurzeit Studien, die verlässliche Daten liefern und die schon jetzt ein ernsteres Bild zeichnen als weithin – auch in Kollegenkreisen – vermutet wird.

Die Varizellen sind die häufigste impfpräventable Erkrankung überhaupt, und zwar weltweit. Auch wenn in den USA andere „Ausgangsbedingungen” herrschen (zahlreiche Menschen ohne Versicherungsschutz, völlig andere hygienische Bedingungen und deutlich größere Armut), haben diese Faktoren auf die Epidemiologie der VZV-Infektionen keinen gravierenden Einfluss. Vielmehr sind Kinderzahl der Familie und deren Kontakte wesentlich bedeutsamer. Einkind-Familien sind für die Verbreitung der Viren weniger bedeutsam als Familien mit mehreren Kindern, die viele Kontakte haben. Die geringe Kinderzahl ist in Deutschland eher ein Argument für eine generelle Kinderimpfung. Den Viren ist es dabei gleichgültig, ob die empfänglichen Menschen arm oder reich, versichert oder nicht versichert sind. Deshalb kann man – selbst bei kritischer Zurückhaltung – die Epidemiologie der VZV-Infektionen in den USA und Deutschland als vergleichbar betrachten.

Die Kosten-Nutzen-Analyse einer Impfstrategie verfehlt ihren Zweck, wenn man die Kosten für eine Impfung nur mit tödlichen Krankheitsverläufen „gegenrechnet”. Vielmehr müssen in einer Kosten-Nutzen-Analyse bei den Ausgaben für den Patienten und seine Betreuung direkte und indirekte Kosten unterschieden werden. Die direkten Kosten entstehen durch medizinische Maßnahmen (Arztbesuche, Arzneimittel, Krankenhausaufenthalte etc.). Indirekte Kosten werden z.B. durch den Arbeitsausfall eines Elternteils infolge Krankheit des Kindes verursacht.

Die verschiedenen diesbezüglichen nationalen und internationalen Studien (1-10) wurden kürzlich in einem Konsensuspapier zusammengefasst (6). Hieraus lässt sich die Schlussfolgerung ableiten: Die bis heute verfügbaren Daten aus dem In- und Ausland belegen im Kontext der jeweils zugrunde liegenden Annahmen in den unterschiedlichen Gesundheitssystemen, dass „eine allgemeine Impfung von Kleinkindern gegen Windpocken auch aus ökonomischer Sicht eine kosteneffektive Intervention ist” (8). <<

Literatur

  1. Banz, K., et al.: Vaccine 2003, 21, 1256.
  2. Brisson, M., und Edmunds, W.J.: Arch. Dis. Child. 2003, 88, 862.
  3. Coudeville, L., et al.: In ISPOR, 6th Annual European Congress. 9.-11. November 2003, Barcelona.
  4. Coudeville, L., et al.: Value Health 2005, 8, 209.
  5. Diez Domingo, J., et al.: Vaccine 1999, 17, 1306.
  6. Rentier, B., und Gershon, A.A.: Pediatr. Infect. Dis. J. 2004, 23, 379.
  7. Scuffham, P.A., et al.: Vaccine 1999, 18, 407.
  8. STIKO 50. Sitzung vom 02.06.2004.
  9. Wagenpfeil, S., et al.: Kinderärztl. Praxis 2004. Sonderheft „Impfen”. S. 28.
  10. Wagenpfeil, S., et al.: Clin. Microbiol. Infect. 2004, 10, 425.
  11. AMB 2005, 39, 51a.