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Leserbrief: Behandlung der Glatzenbildung mit Finasterid?

Frage von W.G.: >> Mein Haarausfall begann im Alter von 19 Jahren. Ich bin 37 Jahre alt und nehme Propecia® seit etwa fünf Jahren ein. Zumindest bei mir scheint das Präparat zu wirken. Ich kann auch keine Nebenwirkungen feststellen. Vor zwei Jahren kam mein gesunder Sohn zur Welt. Trotzdem: Was halten Sie von Propecia® (Nebenwirkungen etc.), und gibt es Ersatzmedikamente mit gleicher Wirkung aber billiger? <<

Antwort: >> Propecia® enthält 1 mg Finasterid als Wirksubstanz. Es hemmt die Umwandlung des im Hoden gebildeten und in das Blut abgegebenen Androgens Testosteron (T) in das zweite männliche Hormon Dihydrotestosteron (DT). Beide Hormone sind entscheidend für die körperliche und psychische männliche Prägung von Knaben und Männern. T entfaltet seine Wirkung über Androgen-Rezeptoren, die nicht in allen Zellen enthalten sind, sondern nur in solchen, in denen T wirkt. In diesen Zellen wird T jedoch teilweise durch ein Enzym umgewandelt in DT, das noch stärker als T an den Rezeptor bindet. Finasterid hemmt die Umwandlung von T in DT durch das Enzym 5-alpha-Reduktase Typ 2. Dieses Enzym ist u.a. sehr aktiv in der Prostata und in den Wurzeln von Haaren, deren Wachstum durch männliche Hormone gefördert (z.B. Bart, Brust, Bauch) oder gehemmt (Kopfhaar im Scheitelbereich) wird. Der Effekt von T und DT auf die Scheitelhaare im Sinne einer Glatzenbildung ist stark erblich beeinflusst und hat bei gesunden Männern nicht viel mit der Höhe der Androgen-Konzentration im Blut zu tun. Andererseits bekommen Männer mit erheblichem Mangel an T und DT auch bei erblicher Veranlagung keine Glatze, d.h. diese Hormone sind für die Glatzenbildung eine Voraussetzung, aber nicht die alleinige Ursache.

Nachdem man erkannt hatte, dass in der Prostata DT das entscheidende wachstumsfördernde Hormon ist, gelang die Entwicklung von Finasterid, mit dem die Konzentration von DT im Prostata-Gewebe auf ca. 10% des Ausgangswerts gesenkt werden kann. Unter dem Einfluss von Finasterid nimmt auch das Volumen stark vergrößerter Vorsteherdrüsen um ca. 30% ab, wodurch vielen Männern Prostata-Operationen erspart bleiben. Finasterid war zur Zeit seiner Einführung eine Innovation ersten Ranges.

Im Rahmen der klinischen Prüfung von Finasterid fiel auf, dass bei einem Teil der behandelten Männer die männliche Körperbehaarung zurückging, während bei Glatzenträgern die Scheitelhaare wieder etwas härter und länger wurden. Was lag also näher für den Hersteller MSD, der das Prostata-Präparat entwickelt hatte, als sich mit einer am Kopfhaar wirkenden Neuauflage von Finasterid einen neuen Markt zu eröffnen? Seit einigen Jahren ist Finasterid in einer Tablette zu 1 mg als Propecia® erhältlich (1,80 EUR/Tabl.), etwas teurer als die 5-mg-Tablette für die Prostata (Proscar®; 1,40 EUR/Tabl.; 1).

Unsere Bewertung von Propecia® weicht nun aber von der sehr positiven Beurteilung von Proscar® entschieden ab. Eine Glatzenbildung bei Männern ist keine Krankheit. Da fast alle gesunden Männer „Geheimratsecken” und etwa 30% eine mehr oder weniger ausgeprägte Glatze im Scheitelbereich bekommen, sind diese Merkmale allenfalls als kosmetisch nicht wünschenswert zu bezeichnen. Will man als junger Mann eine Glatze in ihrer Entstehung aufhalten, dann müsste man über viele Jahre ein tief in den Hormonstoffwechsel eingreifendes Medikament einnehmen.

Proscar® wie auch Propecia® führen bei einem Teil der Benutzer zu verminderter Libido und zu Potenzstörungen und bei fast allen zu einer Verminderung der Samenflüssigkeit, die ja überwiegend in der Prostata gebildet wird. Bei Männern mit sehr ausgeprägter sexueller Potenz ist das kaum von Bedeutung. Es ist jedoch auch Unfruchtbarkeit unter Einnahme von Finasterid beschrieben worden. Nach Absetzen des Medikaments wurden Kinder gezeugt (2). Weiterhin kommt es bei einem Teil der Männer, die Finasterid einnehmen, zur Gynäkomastie. Solche UAW können von älteren Männern zwecks Verhinderung einer Prostata-Operation in Kauf genommen werden. Da 5 mg/d Finasterid die Maximaldosis ist, müssen aber auch junge Männer, die dieses Medikament in niedrigerer Dosierung einnehmen, mit diesen UAW rechnen. Der Brief lässt darauf schließen, dass der Leser ein fröhlicher und selbstbewusster Mann ist. Er wird sich langfristig mit einer Teilglatze abfinden. In der Zwischenzeit kann er noch einen Behandlungsversuch mit dem auf die Kopfhaut aufzutragenden Mittel Minoxidil (Regaine®-Lösung für Männer; Tageskosten 0,77 EUR) machen. Minoxidil als Tablette genommen (Lonolox®) ist zwar ein stark blutdrucksenkendes Mittel mit der UAW vermehrter Haarwuchs. Trägt man es lokal auf die Kopfhaut auf, wirkt es lokal und es ist nicht mit einem Nebeneffekt auf den Kreislauf zu rechnen.

Finasterid ist auch zur Hemmung eines vermehrten Haarwuchses an typisch männlichen Stellen bei Frauen (Hirsutismus) und zur Verhinderung des Haarausfalls in der Scheitelregion untersucht worden. Es ist hierfür aber nicht zugelassen. Falls junge Frauen Propecia® trotzdem einnehmen, wovon wir abraten, muss eine sichere Methode zur Schwangerschaftsverhütung angewandt werden. Im Falle einer Schwangerschaft bei Einnahme von Finasterid muss damit gerechnet werden, dass Knaben mit verweiblichten äußeren Geschlechtsmerkmalen geboren werden. <<

Literatur

  1. Kaufman, K.D., und Dawber, R.P.: Expert Opin. Investig. Drugs 1999, 8, 403.
  2. Glina, S., et al.: Rev. Hosp. Clin. Fac. Sao Paulo 2004, 59, 203.