Wir haben bereits früher über die Ergebnisse der großen, randomisierten AD2000-Studie zur medikamentösen Therapie der Alzheimer-Demenz berichtet (1). In dieser Studie an ambulanten Patienten mit moderater bis mittelschwerer Demenz zeigte sich kein Vorteil gegenüber Plazebo durch die Behandlung mit dem inzwischen vielfach eingesetzten Acetylcholinesterase-Hemmer Donepezil (Aricept®). Allerdings wurden diese Ergebnisse sehr kontrovers eingeschätzt und emotional diskutiert. Noch unklarer erscheint bisher die Bewertung dieser medikamentösen Therapie bei Patienten mit schwerer Alzheimer-Demenz.
Kürzlich wurden im Lancet Ergebnisse zur Wirksamkeit von Donepezil bei schwerer Demenz veröffentlicht (2). Die Studie der Arbeitsgruppe an der Karolinska-Universität Stockholm wurde multizentrisch an 248 Patienten, die in schwedischen Pflegeheimen wohnten, durchgeführt. Nach Randomisation erhielten 128 Patienten sechs Monate lang Donepezil, 120 Patienten kamen in die Plazebo-Gruppe. Den Studienzeitraum von sechs Monaten beendeten 95 Patienten der Donepezil- und 99 der Kontroll-Gruppe, entsprechend einer „Drop-out”-Rate von 26% bzw. 17%. Hierbei beendeten 20 vs. 8 Patienten die Behandlung vorzeitig wegen UAW. Donepezil wurde in einer Zieldosis von 10 mg/d verabreicht (mittlere erreichte Dosis 8,2 mg/d). Der primäre Endpunkt, Schwere der Demenz, wurde mit zwei gut validierten Fragebögen, dem ADCS-ADL (Alzheimer’s Disease Cooperative Studies Activities of Daily Living inventory for severe Alzheimer’s disease) und dem SIB (Severe Impairment Battery), erhoben. Mittels beider Fragebögen werden die kognitiven Fähigkeiten, die Alltagsfunktion und der Grad der allgemeinen Behinderung erfasst.
Nach sechs Monaten zeigte sich bei beiden Hauptendpunkten ein signifikanter Vorteil für die mit Donepezil behandelten Patienten. Hierbei reduzierte sich in der Intention-to-treat-Analyse der ADCS-ADL Index (Kognition) von einem Ausgangswert von 14 in der Donepezil-Gruppe nur um im Mittel 1,5 und in der Kontroll-Gruppe um 2,9 (p = 0,01). Der SIB-Index (Funktion, Behinderung) verbesserte sich von einem Ausgangswert von etwa 55 um 2,6 in der Donepezil-Gruppe und reduzierte sich um 1,9 in der Kontroll-Gruppe (p = 0,03). In der Per-Protokoll-Analyse der tatsächlich auswertbaren Patienten ergaben sich damit mittlere Gruppendifferenzen von 5,7 für den ADCS-ADL und von 1,7 für den SIB. Zwei von drei weiteren Skalen unter den sekundären Endpunkten besserten sich ebenfalls deutlicher in der mit Donepezil behandelten Gruppe; kein Gruppenunterschied fand sich hingegen für den NPI (Neuropsychiatric inventory). Die Verträglichkeit der Behandlung war in beiden Gruppen gut, Durchfall bzw. Halluzinationen waren häufiger unter Donepezil (9% vs. 3% bzw. 6% vs. 1%). Die Autoren folgern aus ihren Ergebnissen, dass Donepezil damit eine wirksame und sichere Behandlung auch für die schweren Formen der Alzheimer-Demenz ist.
Anders werden die Ergebnisse in einem begleitenden Kommentar von D.B. Hogan (3) bewertet. An der statistischen Analyse kritisiert er zu Recht, dass die Intention-to-treat-Analyse mit der so genannten „Last observation carried forward”-Methode ausgeführt wurde. Dies bedeutet, dass für Drop-outs der letzte in der Studie gemessene Wert als Endwert betrachtet wird. Bei Erkrankungen wie Alzheimer-Demenz, die durch kontinuierliche Progression und hohe Drop-out-Raten in Studien gekennzeichnet sind, ergeben sich hierdurch zwangsläufig Überschätzungen des wahren Therapieeffekts.
Vor allem aber stellt der Kommentator die Frage nach der klinischen Bedeutung des aufgezeigten Effekts. Unabhängig von der statistischen Signifikanz ist die Einschätzung der klinischen Bedeutung von Verbesserungen der verwendeten Scores tatsächlich schwierig. Um die Frage zu klären, ob die knappen Ressourcen des Gesundheitswesens hier tatsächlich sinnvoll eingesetzt sind, ist die Wirksamkeitsüberprüfung mit anderen, weiterführenden Endpunkten letztlich unabdingbar. Der Kommentator schlägt z.B. vor, für jeden Patienten vor Studienbeginn individuell festzulegen, worin ein wesentlicher klinischer oder persönlicher Fortschritt bestehen würde. Das skalierte Erreichen dieser Ziele wäre dann ein besser geeigneter Parameter, um die Kosten-Nutzen-Relation der Donepezil-Therapie einzuschätzen.
Der nicht-medikamentösen Therapie bei Alzheimer-Demenz widmete sich eine andere, kürzlich in JAMA publizierte, kontrollierte Studie (4). 153 Patienten mit M. Alzheimer wurden randomisiert einer ambulanten Standardbetreuung (n = 69) oder einer intensivierten (multidisziplinären) Betreuung (n = 84) zugeordnet. In beiden Gruppen erhielten die Patienten und die Familienmitglieder oder Betreuer initial ein umfangreiches Schulungsmaterial zum Umgang mit der Erkrankung und möglicherweise auftretenden psychischen und verhaltensbezogenen Symptomen. Im Rahmen der intensivierten Intervention erhielten die Patienten ein Jahr lang eine Betreuung durch eine Fach-Krankenschwester („Care Manager”), die in regelmäßigen Abständen die Betreuung und Pflege sowie die auftretenden Probleme fachlich begleitete, die Betreuenden durch Beratung und Gruppensitzungen unterstützte und die Arztpraxis integrierte. Der Einsatz von Acetylcholinesterase-Inhibitoren wurde für die Interventionsgruppe empfohlen. Hauptendpunkt der Studie war der NPI, ein neuropsychiatrischer Fragebogen nach 6, 12 und 18 Monaten (durch die betreuenden Personen auszufüllen), sekundäre Endpunkte waren Fragebögen für Depression bei Demenz, Kognition, Alltagsbewältigung und die Erhebung der Depressivität bei den betreuenden Familienmitgliedern.
Patienten der Interventionsgruppe zeigten nach 12 und 18 Monaten signifikante Verbesserungen der psychologischen und verhaltensbezogenen Demenzsymptome gegenüber Patienten der Kontroll-Gruppe (-5,6; p = 0,01 und -5,4; p = 0,01). Bei den Betreuenden zeigte sich eine signifikant reduzierte Depressivität nach 18 Monaten. Keine Gruppenunterschiede fanden sich bei den Endpunkten Kognition und Hospitalisierung. Für eventuelle Besserungen dieser Zielparameter sind aber bei nicht-medikamentösen Verfahren in der Regel längere Studienzeiten notwendig. Cholinesterase-Inhibitoren waren bei 79% der Patienten in der Interventions- und 55% in der Kontroll-Gruppe verordnet worden. In der Diskussion bewerten die Autoren ihre Ergebnisse als klinisch sehr relevant. Die erreichte Verbesserung des NPI um mehr als fünf Punkte steht einer mittleren Besserung des NPI bei rein pharmakologischen Interventionen von etwa 1,7 Punkten gegenüber. Die Autoren räumen ein, dass die untersuchte Intervention aus Kostengründen nicht bevölkerungsweit einzusetzen ist. Dennoch machen diese Ergebnisse deutlich, dass eine Alzheimer-Therapie, um erfolgreich zu sein, auch nicht-pharmakologische Aspekte zu berücksichtigen hat.
Fazit: Durch die medikamentöse Therapie mit dem Acetylcholinesterase-Inhibitor Donepezil kann auch bei schwerer Alzheimer-Demenz eine biometrisch nachweisbare Verbesserung der Kognition und Alltagsfunktion erreicht werden. Die klinische Relevanz des gezeigten Effekts bleibt allerdings unklar. Wir denken, dass in dieser Situation ein zeitlich befristeter Therapieversuch eine Option ist. Komplexere Programme, die pflegerische, medikamentöse und psychosoziale Komponenten integrieren, zeigen günstige Therapieeffekte. Ein Vergleich der Kosten-Nutzen-Relation der verschiedenen Therapieansätze bei Alzheimer-Demenz ist jedoch nicht möglich.
Literatur
- Courtney, C., et al. (AD2000 Collaborative Group): Lancet 2004, 363, 2105; Link zur Quelle s.a. AMB 2004, 38, 76. Link zur Quelle
- Winblad, B., et al.: Lancet 2006, 367, 1057. Link zur Quelle
- Hogan, D.B.: Lancet 2006, 367, 1031. Link zur Quelle
- Callahan, C.M.: JAMA 2006, 295, 2148. Link zur Quelle