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Vorwürfe gegen die FDA wegen des Zulassungsverfahrens von Telithromycin (Ketek®)

Am 30.3.2007 erschien ein „Rote-Hand-Brief” von Sanofi-Aventis zu Telithromycin (Ketek®). Darin wird die Indikation „Makrolidresistenz von Strep. pyogenes” erwähnt, die Gegenanzeige „Myasthenia gravis” herausgestellt und Risikoangaben zu „Sehstörungen” und „Bewusstseinsverlust” neu formuliert. Die entsprechenden Änderungen der Fachinformation werden mitgeteilt. Am Rande wird auch gesagt, dass früher schon die Warnhinweise zu schweren Leberfunktionsstörungen angegeben worden seien.

Die meisten Leser werden Telithromycin nicht kennen. Es handelt sich um ein 2001 für die gesamte EU zugelassenes Antibiotikum, das bei Makrolid- und/oder Penicillin-Resistenz eingesetzt werden kann. 2005 wurden in Deutschland 700.000 Tagesdosierungen verordnet, Tendenz gegenüber dem Vorjahr fallend. Preis der Tagesdosis 7,26 EUR. Vom meistverordneten Makrolid, Chlarithromycin, wurden in 2005 21,5 Mio. Tagesdosen zum Preis von 2,82 EUR verschrieben (1).

Telithromycin ist also ein teures, wenig verordnetes Medikament. Wir würden den Rote-Hand-Brief nicht besonders erwähnen, hätte nicht das N. Engl. J. Med. im April des Jahres über das umstrittene Zulassungsverfahren und kritisch über die Verantwortlichen der FDA in den USA berichtet (2). Dieser Bericht gibt Ketek® eine traurige, paradigmatische Bedeutung und macht den „Rote-Hand-Brief” zusätzlich interessant.

Das Problem sind die schweren Leberfunktionsstörungen als UAW. Schon bei der ersten Durchsicht der Unterlagen (2001) war der FDA aufgefallen, dass bei einigen der behandelten Patienten schwere Leberfunktionsstörungen eingetreten waren. Die Hersteller wurden zu einer neuen Studie zum Sicherheitsprofil veranlasst (Studie 3014). Die Ergebnisse wurden fünf Monate später vorgelegt (Mitte 2002). 1800 Ärzte hatten insgesamt 24000 Patienten eingeschlossen (Honorar 400 US-$ pro Fall). Bei einer Revision der Daten wurden Betrügereien entdeckt, die teilweise sogar mit Gefängnisstrafen geahndet wurden. Studie 3014 konnte nicht berücksichtigt werden. Die Herstellerfirma in die Verantwortung für die Unregelmäßigkeiten einzubeziehen wurde abgelehnt. Schließlich wurden – für die FDA ganz ungewöhnlich – Daten zur Pharmakovigilanz aus dem Ausland zugezogen. Telithromycin wurde daraufhin am 1. April 2004 auch in den USA zugelassen, obwohl auch noch Bedenken bezüglich des Wirksamkeitsnachweises aufgekommen waren. Das Zulassungsverfahren sei insgesamt fehlerhaft gewesen, meint der Autor der Darstellung im N. Engl. J. Med. Bereits Anfang 2005 wurde dann der FDA der erste Fall von akutem Leberversagen gemeldet. Im Juni 2006 waren zwölf Fälle von Leberversagen bekannt, vier davon endeten tödlich. In den USA musste der Packung ein sehr deutlicher Warnhinweis aufgedruckt werden (box warning).

Im selben Heft des N. Engl. J. Med. weist die FDA in einem Leserbrief die Vorwürfe gegen das Zulassungsverfahren (nicht ganz überzeugend) zurück und meint, auf die Risiken der Therapie werde ausreichend aufmerksam gemacht (3). Aber ”Nichtunterlegenheitsstudien” werden mittlerweile bei den Indikationen von Telithromycin (Atemwegsinfektionen) nicht mehr als Wirksamkeitsnachweis akzeptiert und einen Ersatz für die betrügerischen Daten der Studie 3014 hat es nicht gegeben.

Von diesen dramatischen Entwicklungen in den USA ahnt der Leser des aktuellen „Rote-Hand-Briefes” nichts. Auch im Text der Fachinformation (Stand März 2007) wird Leberversagen zwar erwähnt, aber ohne Zahlenangaben. In der nach Organsystemen geordneten Tabelle der UAW heißt es dort unter „Leber- und Gallenerkrankungen: Häufig Anstieg der Leberenzyme; gelegentlich Hepatitis; selten cholestatischer Ikterus”. Ein besonderer Warnhinweis fehlt.

Fazit: Bedrohliche UAW werden in Zulassungsverfahren oft nicht registriert. Es ist in dieser Situation sicher dringend erforderlich, die Indikation von Telithromycin nur als mögliche Alternative und sehr zurückhaltend zu stellen und UAW, speziell die Leberfunktion betreffend, der AkdÄ oder dem BfArM zu melden.

Literatur

  1. Schwabe, U., und Paffrath, D.: Arzneiverordnungs-Report 2006. Springer, Berlin, Heidelberg, New York.
  2. Ross, D.B.: N. Engl. J. Med. 2007, 356, 1601. Link zur Quelle
  3. Soreth, J., et al.: N. Engl. J. Med. 2007, 356, 1675. Link zur Quelle