In den vergangenen Wochen kam es wegen kontaminierten unfraktionierten Heparins (UFH) zu Rückrufaktionen verschiedener Hersteller in den USA, Deutschland und der Schweiz. Eine weltweite Diskussion über Arzneimittelsicherheit und die Effizienz regulatorischer Behörden angesichts einer zunehmend globalisierten Produktion in der pharmazeutischen Industrie war die Folge.
Nachdem in den USA seit Ende Dezember 2007 etwa 150 Berichte über UAW in potentiell kausalem Zusammenhang mit UFH der Firma Baxter eingetroffen waren (zum Vergleich: Im gesamten übrigen Jahr 2007 lag diese Zahl < 100), begann der Hersteller am 17. Januar 2008 zunächst mit dem freiwilligen Rückruf von neun Chargen Heparin-Natrium 1000 IE/ml 10 ml- und 30 ml-Ampullen (Mehrfach-Dosis-Ampullen; 1). Bei den gemeldeten UAW handelte es sich im Wesentlichen um allergieähnliche Symptome (Hypotonie, Tachykardie, Dyspnoe, Übelkeit, Erbrechen, exzessive Schweißneigung) nach Gabe hoher i.v. Bolusdosen, wie sie bei Hämodialysen sowie kardiovaskulären Interventionen und Operationen angewendet werden. Bis Mitte Januar wurden aus den USA 200 weitere Fälle sowie auch vier Todesfälle im zeitlichen Zusammenhang mit UFH gemeldet, sodass Baxter schließlich die gesamte Produktion der betroffenen Mehrfach-Dosis-Ampullen einstellen musste. Ein Rückruf aller Chargen war zunächst aus logistischen Gründen nicht möglich, da in den USA bis dahin 50% der 1 Mio. monatlich verkauften Mehrfach-Dosis-Ampullen von Baxter hergestellt worden waren (2). Seitens der FDA wurde daher empfohlen, die Baxter-Produkte nur mit Vorsicht (niedrigstmögliche Dosis, engmaschiges Monitoring) anzuwenden bzw. nach Möglichkeit auf andere Hersteller auszuweichen, was beträchtliche Verunsicherung bei Ärzten und Patienten zur Folge hatte. Nachdem ein vorübergehender Versorgungsengpass durch eine Produktionssteigerung anderer Hersteller ausgeglichen werden konnte und die FDA bereits von 785 UAW- und 19 Todesfällen in potenziell kausalem Zusammenhang mit Anwendungen von UFH der Firma Baxter sprach, sah sich die Firma am 28. Februar 2008 dann schließlich doch gezwungen, alle ihre UFH-Produkte in den USA zurückzurufen (3).
Intensive – und lange Zeit ergebnislose – Ermittlungen einer potenziellen Ursache der erhöhten UAW-Rate ergaben eine Kontamination durch eine „heparinähnliche” Substanz. Wie nun in zwei Pressekonferenzen der FDA bekanntgegeben wurde, handelt es sich dabei um übersulfatiertes Chondroitinsulfat. Dieses ist durch die zusätzliche synthetische Sulfatierung chemisch eng verwandt mit Heparin und in Standard-Tests nicht von diesem zu unterscheiden. Die Kontamination konnte in eine Fabrik in Changzou bei Shanghai des chinesischen Herstellers Scientific Protein Laboratories (SPL) zurückverfolgt werden, der u.a. für Baxter Roh-Heparin als „active pharmaceutical ingredient” (API) produziert. In 20 von 28 UFH-Chargen von Changzou SPL wurde ein Chondroitinsulfat-Anteil von 2%-50% am Gesamt-Heparin-API gefunden. Ob das – in der Herstellung wesentlich billigere – Chondroitinsulfat akzidentell oder mit Absicht beigemengt wurde, sei noch unklar, so die FDA. Da die übersulfatierte Form aber nach derzeitigem Wissensstand nicht natürlich vorkommt, sei eine tierische Quelle (UFH wird aus der Mukosa von Schweinedärmen gewonnen, Chondroitinsulfat aus Knorpel sowie Schalen von Meeresfrüchten) auszuschließen (4). Der Verdacht auf eine bewusste Fälschung aus ökonomischen Motiven liegt nahe. In den USA müssen nun sämtliche Heparinprodukte mittels neuer chemisch-analytischer Tests (Kapillarelektrophorese oder Kernresonanz-Spektroskopie) geprüft werden. Zur definitiven Klärung des kausalen Zusammenhanges mit den gehäuften UAW sind eingehende immunologische Untersuchungen im Gange.
In Deutschland wurden Anfang März seitens des deutschen Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) 80 Fälle von Komplikationen (anaphylaktische Reaktionen, Blutdruckabfälle) nach i.v. Gabe von UFH der Firma Rotexmedica berichtet. Diese Zahl wurde später auf 27 nach unten korrigiert (5). In einem Rote-Hand-Brief rief die Firma am 5. März 2008 zunächst drei Chargen Heparin-Rotexmedica-Injektionslösung (Wirkstoff: Heparin-Natrium) zurück (6). Zwei Tage später wurde die Rückrufaktion auf sämtliche Chargen ausgedehnt. Auch Rotexmedica bezog sein Roh-Heparin aus China, wenn auch offenbar nicht von der SLP. Laut Bescheid des BfArM vom 11. März 2008 darf nun auch in Deutschland UFH zur parenteralen Anwendung unabhängig vom Hersteller nur noch nach Prüfung mit einer der genannten Analysemethoden in Verkehr gebracht werden.
In Österreich ist laut aktueller Stellungnahme der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) vom 20. März 2008 ein Rückruf von UFH-Produkten nicht geplant, da „nach derzeitigem Wissensstand österreichische Zulassungsinhaber nicht im Verdacht stehen, die betroffenen Chargen des chinesischen Wirkstofflieferanten verwendet zu haben”. Untersuchungen von Proben sämtlicher in Österreich verfügbarer UFH-Produkte sind im Gange, rückwirkend ab 1. Januar 2008 müssen alle in Verkehr gebrachten Chargen den neuen Analysen unterzogen werden (7).
In der Schweiz gab am selben Tag das Schweizerische Heilmittelinstitut (Swissmedic) bekannt, dass zwei UFH-Hersteller angewiesen wurden, ihre Präparate unverzüglich vom Markt zu nehmen, nachdem in diesen mittels der neuen Analysemethoden ebenfalls Kontaminationen festgestellt wurden. Das API bezogen die Hersteller aus China. Meldungen über UAW, insbesondere allergische Schockreaktionen, sind bisher in der Schweiz nicht eingegangen (8). Nach dem Nachweis von Kontaminationen in UFH-Produkten bzw. API wurden bis Ende März außerdem in folgenden weiteren europäischen Ländern Rückrufaktionen durchgeführt: Frankreich (Fa. Rotexmedica), Italien und Dänemark (jeweils Fa. Opocrin). Das API aller dieser Produkte kam aus China, wobei neben Changzou SPL drei weitere chinesische Roh-Heparin-Hersteller involviert waren (Yantai Dongcheng Biopharmaceutical Co Ltd., Shenzen Hepalink Pharmaceutical Co Ltd. und Shanghai No 1 Biochemical Co Ltd.). UAW wurden im Zusammenhang mit diesen Produkten nicht gemeldet (9).
Nach einem Bericht der New York Times kommen 40% der API aller in den USA konsumierten Arzneimittel aus China oder Indien. Aber nicht alle sind in ihrer Reinheit so schwer zu kontrollieren wie Heparin. 566 chinesische Fabriken exportieren Arzneimittel in die USA – Tendenz in den vergangenen Jahren steigend. Gleichzeitig nahm aus budgetären Gründen die Anzahl der FDA-Inspektionen im Ausland von 391 im Jahr 2000 auf 341 im Jahr 2006 ab (10). Als Folge der aktuellen Ereignisse wurde nun die Gründung eines ständigen FDA-Büros in Peking angekündigt (11).
Fazit: Die Auslagerung von Produktionsstätten in Billiglohnländer – wie in den vergangenen Jahren auch im pharmazeutischen und medizintechnischen Bereich zunehmend praktiziert – stellt besondere Herausforderungen an das Qualitätsmanagement sowohl der Konzerne selbst als auch der nationalen und internationalen regulatorischen Behörden, um Mängeln sowie bewussten Fälschungen entgegenzuwirken. Wie am jüngsten Beispiel von verunreinigtem unfraktioniertem Heparin zu sehen, müssen auch scheinbar sichere und altbewährte Arzneimittel durch ein effizientes und konsequentes UAW-Meldesystem überwacht werden. Durch die von den Aufsichtsbehörden ergriffenen Maßnahmen ist eine Änderung der klinischen Praxis, was die Anwendung von unfraktioniertem Heparin betrifft, nach derzeitigem Kenntnisstand nicht erforderlich. Eine erhöhte Aufmerksamkeit hinsichtlich potentieller UAW, insbesondere allergischer Reaktionen, erscheint jedoch angebracht.
Literatur
- News Release, Baxter, 25. Januar 2008.
- www.theheart.org/article/842987.do Link zur Quelle
- www.theheart.org/article/845953.do Link zur Quelle
- www.theheart.org/article/848329.do Link zur Quelle
- www.bfarm.de/cln_029/nn_1160684/DE/Pharmakovigilanz/risikoinfo/heparin__aktuelle__Informationen.html Link zur Quelle
- www.akdae.de/20/40/20080310.pdf Link zur Quelle
- www.ages.at/servlet/sls/Tornado/web/ages/content/A49A7EF94938750FC12574120054BD4A Link zur Quelle
- www.swissmedic.ch/cgi/news/index.asp?sitetype=laien&news_id=5276 Link zur Quelle
- www.theheart.org/article/849335.do Link zur Quelle
- New York Times, 17. März 2008.
- www.fda.gov/bbs/topics/NEWS/2008/NEW01806.html Link zur Quelle