Vor einiger Zeit haben wir (1) und andere (2) den Wert der Bevorratung von Oseltamivir (Tamiflu®) durch verschiedene Regierungen (auch unsere Bundesregierung) in Frage gestellt. Das Problem der Resistenzentwicklung gegen Oseltamivir wurde von verschiedenen Experten, besonders aus dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und dem Robert-Koch-Institut, heruntergespielt (3, 4). Die Sichtweise, dass eine Resistenzentwicklung gegen Neuramidase-Hemmer selten und unwahrscheinlich sei (3), dürfte nach den aktuellen Meldungen aus den USA, wonach praktisch alle Grippeviren gegen Oseltamivir resistent waren (5), genauso pulverisiert sein wie die Millionen € Steuergelder für die Einlagerung dieser Substanz. Bereits im Dezember 2008 hatten die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) gemeldet, dass die meisten zirkulierenden Grippeviren (H1N1) gegen Oseltamivir resistent sind. Die deutsche Bundesbehörde schätzte 2006 die Resistenzrate auf 0,5% und wies kritische Stimmen, die auf die bei Kindern gefundenen Resistenzraten von 16%-18% (6, 7) hinwiesen, mit dem Argument zurück, dass bei ihnen Oseltamivir wahrscheinlich unterdosiert worden sei (3). Aber schon in der Saison 2007/2008 fanden sich Resistenzraten von 19%. In der laufenden Saison (2008/2009) kam es dann zum völligen Durchbruch von Oseltamivir-resistenten Grippeviren in den USA (5). In dieser vorläufigen Untersuchung waren 264 von 268 (98,5%) getesteten Grippeviren gegen Oseltamivir resistent (5).
Unklar ist, warum sich diese Resistenz entwickelt hat. Man vermutet, dass dies auf einem Kompetitionsvorteil gegenüber anderen Grippevirus-Stämmen beruht, der nicht unmittelbar mit der Resistenz gegen Oseltamivir zusammenhängt (8). Das relativ Gute an diesem neuen Stamm ist, dass er eine mildere Erkrankung als andere Grippeviren verursacht und noch gegen Zanamivir (Relenza®) – einen anderen Neuramidase-Hemmer – empfindlich ist (8). Es besteht jedoch die Gefahr, dass auch dieser und andere, gefährlichere Grippevirus-Stämme sehr rasch Resistenzen gegen verschiedene Neuramidase-Hemmer entwickeln.
Fazit: Grippeviren sind in der Lage, Resistenzen gegen Neuramidasehemmer zu entwickeln. Eine schnelle Testung, ob dies in bestimmten Regionen bei akuten Erkrankungen der Fall ist, steht im Moment nicht zur Verfügung. Das macht den Einsatz dieser Arzneimittel gerade in Hinblick auf die Transmissionsprophylaxe problematisch, denn diese Substanzgruppe ist nur wirksam, wenn sie möglichst schnell eingesetzt wird. Bei der Suche nach einer Lösung wird – vor allem von der Pharmaindustrie – eine Kombinationstherapie mit mehreren Substanzen propagiert. Die bessere Strategie ist aber unserer Meinung nach die Entwicklung effektiver Impfstoffe und – regelmäßiges Händewaschen.
Literatur
- AMB 2006, 40, 17. Link zur Quelle
- Tröger, U., et al.: Dtsch. Arztebl. 2006, 103, A-3486; Link zur Quelle
- Kurth, R., et al.: Dtsch. Arztebl. 2006, 103, A3484; Link zur Quelle
- Krüger, D.H.: Dtsch. Arztebl. 2007, 104, A966; Link zur Quelle
- Dharan, N. J., et al.: JAMA 2009, 301, 1034. Link zur Quelle
- Ward, P., et al.. J. Antimicrob. Chemother. 2005, 55 Suppl.1, i5. Link zur Quelle
- Kiso, M., et al.: Lancet 2004, 364, 759. Link zur Quelle
- Moscona, A.: N. Engl. J. Med. 2009, 360, 953. Link zur Quelle