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Systematisches PSA-Screening gesunder älterer Männer hat fast keinen Einfluss auf die Prostatakrebs-spezifische Letalität

Wir haben uns in den letzten Jahren mehrfach kritisch zum Problem der Überdiagnose und Übertherapie auf die Prostata begrenzter Karzinome bei älteren Männern geäußert (1-3). Ein systematischer Review aus dem Jahr 2006 von Cochrane-Autoren (4) kam zu dem Schluss, dass systematisches PSA-Screening bei gesunden Männern keinen gesicherten Nutzen hat. Zwar ist es wahrscheinlich, dass die langsame Abnahme von Prostatakrebs (PK) als Todesursache (ca. 4%/Jahr seit 1992 in den USA) auch auf die Früherkennung mittels PSA-Messung zurückzuführen ist (5), jedoch bleibt die Bedeutung des Massenscreenings weiterhin unklar. Da die meisten Männer jenseits des 50. Lebensjahres irgendwann wegen Beschwerden, die möglicherweise durch eine Prostataerkrankung verursacht sind, zum Urologen gehen, wird bei ihnen ohnehin oft das PSA gemessen. Diese diagnostische Maßnahme soll hier nicht infrage gestellt werden, besonders wenn der PSA-Wert auf die Prostatagröße bezogen wird und ein für erhöht gehaltener Wert nicht automatisch zur Biopsie führt.

Im N. Engl. J. Med. wurden jetzt gleichzeitig die Interims-Ergebnisse einer US-amerikanischen und einer europäischen PSA-Screening-Studie publiziert. Im Rahmen des amerikanischen Prostate, Lung, Colorectal and Ovarian (PLCO)-Trial (6) wird über die Letalität an PK nach 7-10 Jahren Beobachtungszeit berichtet. 76 693 Männer im Alter von 55-74 Jahren wurden in zehn Studienzentren randomisiert je zur Hälfte einer PSA-Screening-Gruppe A (jährliche PSA-Messung für insgesamt sechs Jahre, digitale rektale Prostata-Untersuchung für insgesamt vier Jahre) oder einer Kontrollgruppe B zugeteilt. In dieser Gruppe wurden zum Teil von Urologen auch PSA-Messungen durchgeführt. Die Ergebnisse der Gruppe A (PSA-Wert und Tastbefund) wurden den Patienten und ihren Ärzten mitgeteilt, und bei PSA-Werten über 4 ng/ml wurde eine weitere Diagnostik empfohlen.

In beiden Gruppen wurde die Inzidenz von PK und von PK-bedingter Letalität systematisch erfasst. Nach mindestens sieben Jahren Laufzeit der Studie war die Inzidenz von PK in Gruppe A 116/10 000 Personenjahre, in Gruppe B 95/10 000 Personenjahre (Rate ratio = RR: 1,22; 95%-Konfidenzintervall = CI: 1,16-1,29). Die Inzidenz von PK-bedingtem Tod war sehr niedrig, 2,0 bzw. 1,7/10 000 Personenjahre in Gruppe A bzw. B (RR: 1,13; CI: 0,75-1,7; d.h. nicht signifikant unterschiedlich).

Die zweite, umfangreichere European Randomized Study on Prostate Cancer (ERSPC) wurde in verschiedenen Ländern multizentrisch an 182 000 Männern ohne PK im Alter von 50-74 Jahren durchgeführt (7). Hier wurde eine „Kerngruppe” von 162 243 Männern zwischen 55 und 69 Jahren ausgewertet. Die Rekrutierung begann Anfang der 90er Jahre und endete im Dezember 2006. Die mittlere Beobachtungszeit war neun Jahre. Den in die Gruppe A randomisierten Männern wurde ein PSA-Screening alle vier Jahre angeboten, während das bei Gruppe B nicht der Fall war. Rektale Untersuchungen gehörten nicht zum Programm. Bei PSA-Ergebnissen > 3 ng/ml wurde den Patienten und behandelnden Ärzten zu einer Prostatabiopsie geraten. Alle Diagnosen von PK und die Todesfälle wurden systematisch erfasst. Primärer Endpunkt war die Letalität infolge eines PK.

82% der Männer in Gruppe A nahmen wenigstens ein PSA-Screening in Anspruch; über die Kontrollgruppe B ist diesbezüglich nichts bekannt. Die kumulative Inzidenz von PK war in Gruppe A 8,2% und in Gruppe B 4,8%. Insgesamt wurden 540 Todesfälle infolge PK registriert. Die Entscheidung, ob die Todesursache PK oder eine andere Krankheit war, wurde zwar ohne Kenntnis der Gruppe A oder B getroffen, jedoch war die PK-bezogene Therapie bekannt, was zu Vorurteilen führen kann. In Gruppe A starben 214, in Gruppe B 326 Patienten am PK. Das ist eine Risikoreduktion um 20% oder eine RR von 0,80 (p = 0,04). Allerdings musste dieses Ergebnis (absolute Differenz von Tod wegen PK: 0,71/1 000 Männer) mit einer sehr großen Zahl von Prostata-Biopsien und -Therapien erkauft werden. Die Autoren berechnen selbst, dass 1 410 Männer mit der PSA-Messung gescreent und 48 Patienten wegen des entdeckten Karzinoms behandelt werden müssten, um einen Todesfall infolge PK bei einem älteren Mann zu verhindern.

Diese Zahlen sprechen für sich. Sie werden in einem ungewöhnlich langen Editorial von M.J. Barry aus Boston kommentiert (8). Auf der einen Seite gratuliert Barry den Autoren dieser gigantischen und lange laufenden Studien zu ihrem Unternehmen und ihrer Geduld, auf der anderen Seite fragt er, warum die Ergebnisse jetzt als Interim-Report publiziert werden mussten. Insgesamt scheinen die Autoren der Studien und der Kommentator zu dem Schluss zu kommen, dass systematisches PSA-Screening von Männern in dieser Altersgruppe nicht kosteneffektiv ist, obwohl sie das nicht aussprechen. Auf jeden Fall werden als Folge des Screenings für einen minimalen „Gewinn an Menschenleben” vielen Männern erhebliche psychische und körperliche Torturen auferlegt. Damit soll aber nichts gegen den Wert des PSA als überlegt eingesetztes Diagnostikum gesagt sein.

Fazit: Ein systematisches PSA-Screening bei Männern über 55 Jahre führt im Vergleich mit symptomorientierter Konsultation von Urologen oder Screening auf eigene Initiative zu einer höheren PK-Diagnoserate. Angesichts der sehr geringen PK-spezifischen Letalität sind jedoch die Nachteile des systematischen Screenings durch invasive Überdiagnostik (Prostatabiopsien) und Übertherapie (Operation, Bestrahlung, Hormontherapie) schwerlich in Kauf zu nehmen. Allerdings beruht die Überdiagnostik und Übertherapie auf ärztlichen Entscheidungen, die korrigierbar sein könnten.

Literatur

  1. AMB 2005, 39, 77. Link zur Quelle
  2. AMB 2007, 41, 43 Link zur Quelle und 44. Link zur Quelle
  3. AMB 2008, 42, 69a. Link zur Quelle
  4. Ilic, D., et al.: Cochrane Database Syst. Rev. 2006, Jul 19:3: CD 004720
  5. Ries, L.A.G., et al.: National Cancer Institute, Bethesda, MD: Link zur Quelle
  6. Andriole, G.L., et al. (PLCO = Prostate, Lung, Colorectal, and Ovarian cancer screening trial): N. Engl. J. Med. 2009, 360, 1310. Link zur Quelle Erratum: N. Engl. J. Med. 2009, 360, 1797.
  7. Schröder, F.H., et al. (ERSPC = European Randomized Study of screening for Prostate Cancer): N. Engl. J. Med. 2009, 360, 1320. Link zur Quelle
  8. Barry, M.J.: N. Engl. J. Med. 2009, 360, 1351. Link zur Quelle