Zurzeit werden im Wesentlichen zwei Neuraminidase-Inhibitoren bei Influenza eingesetzt: inhalativ Zanamivir (Relenza®, Glaxo Welcome) oder oral Oseltamivir (Tamiflu®; Gilead Sciences und Hoffmann-La Roche; vgl. 1). Der Gebrauch ist in den letzten Jahren dramatisch angestiegen, insbesondere auch durch die Ausbreitung der Grippeviren H5N1 (Vogelgrippe) und H1N1 (Schweinegrippe, „Neue Grippe”). Die Daten zum Nutzen dieser antiviralen Arzneimittel sind jedoch nicht eindeutig. Die Schlussfolgerungen eines Cochrane-Reviews von 2006 (2) hinsichtlich der Wirksamkeit von Oseltamivir auf Komplikationen der Influenza wurden kritisiert, weil sich nur in einer (3) von zehn analysierten Studien ein günstiger Effekt gezeigt hatte, und diese Studie selbst eine Metaanalyse aus zehn willkürlich selektierten Einzelstudien war. Die Autoren der damaligen Cochrane-Analyse haben nun eine neue Metaanalyse zur selben Problematik vorgelegt (4). Sie berücksichtigt neuere Arbeiten und auch die Kritik, deren Hintergründe und genauer Hergang im selben Heft des BMJ nachzulesen sind (5). Die Berücksichtigung der Kritik, die sich im Wesentlichen auf die oben erwähnte kleinere Metaanalyse (3) bezieht – sie enthielt zum Teil nicht publizierte und öffentlich nicht zugängliche Daten – hat eine umfangreiche Reaktion von Roche, Hersteller von Tamiflu®, ausgelöst (6). Die wesentlichen Fragen waren: Welche Evidenz gibt es für die Neuraminidase-Inhibitoren hinsichtlich 1. der Verhinderung oder Abschwächung von Influenzainfektionen, 2. der Reduktion der Transmission; 3. der Verhinderung von Komplikationen und 4. der Häufigkeit von UAW.
Für diese Metaanalyse wurden Datenbanken nach randomisierten, plazebokontrollierten Studien mit Neuraminidase-Inhibitoren bei sonst gesunden Erwachsenen durchsucht. Insgesamt konnten 20 Studien gefunden werden, die die Einschlusskriterien erfüllten. Hiervon waren 12 Therapie- und je vier Prophylaxe- bzw. Postexpositions-Studien. Als Prophylaxe hatten Neuraminidase-Inhibitoren keinen günstigen Effekt auf symptomatische oder asymptomatische Influenzainfektionen. Die Wirksamkeit von Oseltamivir bei symptomatischen, laborbestätigten Influenzainfektionen war 61% (Risk ratio = RR: 0,39; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,18-0,85) bei 75 mg/d und 73% bei 150 mg/d (RR: 0,27; CI: 011-0,67). Unter Zanamivir (inhalativ) waren die Ergebnisse ähnlich. Die Krankheitsdauer wurde um ca. 24 h verkürzt, wenn Neuraminidase-Inhibitoren innerhalb der ersten 48 h nach Beginn der Symptome eingesetzt wurden. Bei der Postexpositionsprophylaxe mit Oseltamivir (zwei Studien, durchgeführt in Haushalten) fand sich eine Wirksamkeit von 58% (CI: 15%-79%) und 84% (CI: 49%-95%). Unter Zanamivir waren auch hier die Resultate ähnlich. Im Gegensatz zur früheren Metaanalyse fand sich jetzt, dass Oseltamivir komplizierende Infektionen der unteren Atemwege bei Influenza nicht reduziert (RR: 0,55; CI: 0,22-1,35). Die häufigste UAW von Oseltamivir war Übelkeit. Andere, seltenere UAW, z.B. neuropsychiatrische Veränderungen bei Jugendlichen, wie sie aus Japan gemeldet wurden (7), konnten nicht eindeutig Oseltamivir zugeordnet werden. Diese UAW sind bisher nur außerhalb von Studien registriert worden. Selbst wenn sich diese schwerwiegenden UAW bestätigen, wären die 567 registrierten Fälle im Verhältnis zu den 36 Mio. verschriebenen Dosen seit 2001 selten. Zur Behandlung bei Infektionen mit pandemischen Influenzaviren gibt es bisher keine verwertbaren Studien. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass die Wirksamkeit der Neuraminidase-Inhibitoren hier besser ist als bei der saisonalen Influenza.
Fazit: Die Neuraminidase-Inhibitoren Oseltamivir und Zanamivir lindern die Influenzasymptome nur sehr gering. Hinsichtlich der Komplikationen bei Influenza reichen die Daten nicht aus, um eine Wirksamkeit zu belegen. Auch zu UAW sind die Informationen unzureichend. Die Autoren (4) ziehen den Schluss, dass Neuraminidase-Inhibitoren nicht routinemäßig bei der saisonalen Grippe eingesetzt werden sollten. Eine Wirksamkeit ist nur in der Postexpositionsprophylaxe nachgewiesen. Auch für den Einsatz bei der Schweinegrippe („Neue Grippe”, H1N1-Influenza) gibt es derzeit keinen evidenten Nutzen.
Literatur
- AMB 2000, 34, 03 Link zur Quelle ; AMB 2003, 37, 62a Link zur Quelle ; AMB 2006, 40, 17 Link zur Quelle ; 2009, 43, 69a. Link zur Quelle
- Jefferson, T.O., et al.: Link zur Quelle
- Kaiser, L., et al.: Arch. Intern. Med. 2003, 163, 1667. Link zur Quelle
- Jefferson, T.O., et al.: BMJ 2009, 339, b5106. Link zur Quelle
- Doshi, P.: BMJ 2009, 339, b5164. Link zur Quelle
- Smith, J. (Roche): BMJ 2009, 339, b5364 Link zur Quelle und b5374. Link zur Quelle
- AMB 2007, 41, 31a. Link zur Quelle