Sind Generika schlechter als Originalpräparate?
Prof. Dr. K. aus Feldkirch/Österreich schreibt: >> Als vor einigen Jahren der Druck zur Verschreibung von Generika wuchs, berieten meine seinerzeitigen Ober- und Fachärzte über die zu planende Verschreibungs-Vorgangsweise, besonders was die Rezeptur von Psychopharmaka anlangte. Über das mögliche Einsparungspotenzial gab es keine Diskussion, sehr wohl aber über die Grenzwerte der Bioverfügbarkeit! Insgesamt 45% (!!) an Abweichungsbreite vom Original schien und scheint einem verantwortungsvollen Arzt nicht vertretbar! Dieser Faktor dürfte wohl bei allen Kolleginnen und Kollegen ausschlaggebend für die Zurückhaltung bei der Verschreibung von Generika sein, konnten wir im Krankenhaus bei einzelnen Vergleichsuntersuchungen der Serumspiegel von Psychopharmaka an identen Patient(inn)en doch deutliche Abweichungen zwischen Original und Generikum registrieren. >>
Antwort: >> Für Generika wird als Zulassungsvoraussetzung vom Gesetzgeber eine Bioäquivalenzstudie gefordert. In dieser muss nachgewiesen werden, dass die pharmakokinetischen Eckdaten cmax, tmax und AUC (Spitzenkonzentration im Plasma, Zeit bis zum Erreichen dieser Spitzenkonzentration und die Fläche unter der Kurve) nicht mehr als 20% nach unten oder 25% nach oben vom Originalpräparat abweichen.
Würde die maximal mögliche Breite der Abweichung zwischen Generikum und Original hinsichtlich der Bioverfügbarkeit tatsächlich 45% betragen, wie Sie in Ihrem Leserbrief beanstanden, wäre das in der Tat ein Grund, Umstellungen nur mit äußerster Vorsicht vorzunehmen. Diese Annahme sitzt aber einem Missverständnis auf, das die Pharmaindustrie mit Bedacht und erheblichem Einsatz in den Medien geschürt hat. Bei dieser Abweichung handelt es sich nämlich nicht um eine tatsächliche Abweichung des Mittelwerts der Bioverfügbarkeitsmessungen beim Generikum vom Mittelwert ebensolcher Messungen beim Originalpräparat. Vielmehr erlaubt die Gesetzgebung lediglich, dass die obere und untere Grenze des 90%-Konfidenzintervalls eine Abweichung von 80-125% des Mittelwerts des Originals nicht überschreiten darf. Das ist nun aber etwas vollkommen anderes. Werden beispielsweise an 100 Probanden Bioverfügbarkeitsmessungen vorgenommen, so erhält man, unabhängig davon, ob hier die Bioverfügbarkeit des Originals oder eines Generikums gemessen wird, in der Tat 100 verschiedene Werte. Das bringt die „Ungenauigkeit“ sowohl des „biologischen Systems Mensch“ als auch die Ungenauigkeit der Laboranalytik mit sich. Aus den 100 Werten lässt sich sodann ein Mittelwert bilden und als Maß für die Streuung der Werte um diesen Mittelwert die Standardabweichung. Da die Werte alle geringfügig voneinander abweichen, stellt sich also die Frage, welcher Wert denn nun tatsächlich der „wahre” ist. Um die Treffsicherheit der Messungen im Hinblick auf diesen „wahren” Wert beurteilen zu können, bedient man sich des 90%-Vertrauensbereichs (= 90%-Konfidenzintervall). Der 90%-Vertrauensbereich einer Messreihe beinhaltet mit einer Wahrscheinlichkeit von 90% den wahren Wert. Dieser Vertrauensbereich ist um so größer (und damit ungenauer), je weiter die Einzelwerte der Messreihe um den Mittelwert streuen, je größer also die Standardabweichung ist, und er verschiebt sich nach unten oder oben, wenn die Messwerte – beispielsweise der Bioverfügbarkeit eines Generikums – systematisch von denen des Originals nach unten oder oben abweichen.
Die Differenzen der Mittelwerte zwischen den Bioverfügbarkeitsmesswerten von Generika und Originalpräparaten können also den Bereich von 80-125% bei weitem nicht ausschöpfen, da sonst der Vertrauensbereich die zulässigen Grenzwerte weit überschreiten würde. Tatsächlich liegen die Abweichungen hinsichtlich der Spitze der Wirkspiegel (cmax) und der Fläche unter der Kurve (AUC) im Bereich von wenigen Prozent. Im Jahr 2009 wurde hierzu eine interessante und aussagekräftige Studie der FDA publiziert (1). Die Autoren evaluierten 2070 Generika-Bioäquivalenzstudien, die zwischen 1996 und 2007 durchgeführt und der FDA zur Begutachtung eingereicht worden waren. Die mittlere Abweichung der Generika vom jeweiligen Originalpräparat lag im Mittel bei 4,35% für cmax und bei 3,56% für AUC. Nur 2% der Studien hatten eine Mittelwertabweichung von > 10%. Die Ergebnisse bestätigen eine bereits 1999 durchgeführte Evaluation von allen 127 Bioäquivalenzstudien aus dem Jahre 1997 (2). Hier fand sich eine mittlere Abweichung von 3,25 ± 2,97% für AUC und 4,29 ± 3,72% für cmax.
Auch für unterschiedliche Chargen von Originalpräparaten werden Abweichungen von bis zu ± 5% hinsichtlich der Menge an aktiver Substanz toleriert, was möglicherweise Schwankungen in der Bioverfügbarkeit nach sich zieht, die durchaus im Bereich der zulässigen Abweichungen von Generika liegen können (3). Normalerweise werden für ein einmal zugelassenes Produkt jedoch keine weiteren Bioäquivalenzstudien neuer Chargen durchgeführt, weshalb hier zur Bioverfügbarkeit keine verlässliche Aussage möglich ist. Nicht nur zur Bioverfügbarkeit, sondern auch zur Wirksamkeit gibt es inzwischen zahlreiche Vergleichsstudien zwischen Generika und Originalpräparaten. In einem 2008 publizierten Systematic Review wurden 38 randomisierte kontrollierte und neun Kohortenstudien zum Vergleich von Effektivität und UAW zwischen kardiovaskulären Generika und Originalpräparaten analysiert (4). Die Autoren kommen in ihrer Metaanalyse der zusammengefassten Effektgrößen zu dem Ergebnis, dass hinsichtlich der Wirksamkeit kein Unterschied zwischen Generika und Originalpräparaten vorliegt. Dem gegenüber weisen die Autoren darauf hin, dass sich trotz fehlender Evidenz für einen Unterschied zwischen Generika und Originalpräparaten 23 von 43 analysierten Editorials negativ über Generika äußern. Dies ist nur dadurch zu erklären, dass es den Herstellern von Originalpräparaten gut gelungen ist, ihre dem eigenen Geschäft zuträglichen, aber nicht zutreffenden Behauptungen über die schlechtere Bioverfügbarkeit und Wirkung von Generika in der Fachwelt zu verbreiten.
Die Abweichungen der Spiegel, die Sie nach der Umstellung vom Originalpräparat auf ein Generikum gemessen haben, können verschiedene Ursachen haben, z.B. Änderungen in der Adhärenz, Ernährung, Arzneimittelinteraktionen etc. Dies ist auch unter der Einnahme von Originalpräparaten zu beobachten. In Europas ist übrigens der Anteil der Generika an den verordneten Arzneimitteln sehr unterschiedlich (z.B. > 80% in Deutschland, nur 40% in Österreich). Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich ein solch hoher Anteil negativ auf Behandlungsergebnisse auswirkt.
Fazit: Aus pharmakologischer Sicht sind die Vorbehalte gegen die Umstellung von Original- auf generische Arzneimittel unbegründet. Allerdings muss bedacht werden, dass jede Umstellung auf ein anderes Präparat auch Auswirkungen im Sinne von Plazebo- und Nozebo-Effekten haben kann. Wenn der Arzt einem Patienten signalisiert, dass er ihn aus ökonomischen Gründen auf ein „billigeres“ Arzneimittel umstellt, so beeinflusst dies mit Sicherheit den Behandlungserfolg (5). Es könnte also sehr wohl sein, dass die häufig kolportierte „schlechtere Wirkung“ von Generika zum Teil auf negativ-suggestivem Verhalten skeptischer Ärzte beruht. <<
Literatur
- Davit, B.M., et al.: Ann.Pharmacother. 2009, 43,1583. Link zur Quelle
- Henney, J.E.: JAMA 1999, 282, 1995. Link zur Quelle
- DIRECTIVE 2001/83/ECOF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL of 6 November 2001 on theCommunity code relating to medicinal products for human use. Official Journalof the European Communities 2001; L 311/67
- Kesselheim, A.S., et al.:JAMA 2008, 300, 2514. Link zur Quelle
- AMB 2008, 42, 47b. Link zur Quelle