In Deutschland werden pro Jahr 175.000 Knieendoprothesen (KTEP) implantiert (1). Damit steht Deutschland nach einer Statistik der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) nach der Schweiz an 2. Stelle (213 KTEP auf 100.000 Einwohner; 2). Bis zum Jahr 2030 werden Steigerungen um 600% vorausgesagt (3).
Von einer KTEP werden im Wesentlichen drei Dinge erwartet: Schmerzlinderung, Wiederherstellung einer guten Gelenkfunktion und bessere Mobilität. Dass dies nicht immer gelingt, zeigt eine Umfrage aus dem Jahre 2011: demnach leiden 3-4 Jahre nach einer KTEP immer noch 44% der Patienten an Schmerzen im operierten Knie, 15% gaben sogar erhebliche Schmerzen an (4).
Bislang gab es trotz enorm hoher Operationszahlen keine randomisierte kontrollierte Studie zur KTEP, also keinen hochwertigen Nachweis, dass der Eingriff eine günstige Nutzen-Risiko-Relation hat im Vergleich zu einem nicht-operativen Vorgehen. Nun mag man einwenden, dass dies gar nicht notwendig ist, weil die Effektivität des Eingriffs durch die tägliche Praxis erwiesen sei und Register zeigen, dass der Eingriff im Großen und Ganzen sicher ist. Trotzdem gehört zu einer rationalen Medizin und einer fairen Therapieentscheidung eine prospektive, randomisierte Interventionsstudie, die Vor- und Nachteile der verglichenen Strategien in Zahlen fasst.
Nun wurde – fast 50 Jahre nach der ersten KTEP – eine solche Studie von einer Arbeitsgruppe aus Dänemark publiziert (5). Sie war mit öffentlichen Geldern finanziert. Allerdings wurden insgesamt nur 100 Patienten eingeschlossen (davon 62 Frauen; mittleres Alter 66 Jahre; mittlerer Body-Mass-Index 32 kg/m2). Diese hatten eine mindestens mittelschwere Gonarthrose (Kellgren-Lawrence Score ≥ 2, auf einer radiologischen Skala von 0-4 Punkten) und eine klinische Indikation zur KTEP. Ausgeschlossen wurden Patienten, die bereits eine KTEP auf der gleichen oder gegenüberliegenden Seite hatten und die in der Woche vor Studieneinschluss unter starken Knieschmerzen litten. Der KOOS4-Wert (Knee injury and Osteoarthritis Outcome Score), der die Beschwerden bei Gonarthrose quantifiziert (s.u.), betrug durchschnittlich 48/100. 62 der 100 Patienten nahmen zu Studienbeginn mindestens ein Schmerzmittel ein.
Interventionen: Die Hälfte der Patienten wurde primär konservativ behandelt. Diese Gruppe erhielt insgesamt fünf Interventionen über drei Monate: zweimal wöchentlich erfolgte eine standardisierte Physiotherapie in Gruppen (die Übungen sind im Supplement des Artikels genau beschrieben); einmalig wurde eine einstündige Schulung über die Ursachen der Gonarthrose und Selbsthilfestrategien sowie eine Diätberatung für die Übergewichtigen durchgeführt; alle erhielten individuell angepasste Schuheinlagen, die das betroffene Knie entlasten sollten; und allen wurde eine Schmerzmedikation angeboten, bestehend aus Paracetamol (maximal 4×1 g/d!) oder als stärkere Alternative Ibuprofen (dreimal 400 mg/d), zusammen mit einem Protonenpumpenhemmer zur Ulkusprophylaxe. Uns erscheint die Einnahme von Paracetamol in dieser Dosierung gefährlich und außerdem ist die analgetische Wirksamkeit deutlich schwächer als die von nichtsteroidalen Antiphlogistika (vgl. 6).
Die operativ versorgten Patienten sollten eine zementierte KTEP mit patellarer Versorgung („Resurfacing“) erhalten und zusätzlich die gleiche dreimonatige Behandlung wie in der konservativen Gruppe. Alle Patienten wurden animiert, die gelernten Bewegungsübungen bis zum Studienende beizubehalten und bei Übergewicht dieses um 5% zu reduzieren. Primärer Endpunkt der Studie war die Veränderung auf der KOOS4-Skala innerhalb eines Jahres. Dabei handelt es sich um ein Instrument der Selbsteinschätzung bei der vier Dimensionen abgefragt werden: Schmerz, andere Symptome, Aktivitäten des täglichen Lebens und Lebensqualität. Jede Dimension wird mittels mehrerer Fragen bewertet. Die Patienten müssen ihre Antworten jeweils auf einer 4-Punkte-Likert-Skala angeben. Es resultiert ein KOOS4-Gesamtscore zwischen 0 (sehr schlecht) und 100 Punkten (sehr gut). Fünf weitere, sekundäre Endpunkte waren prädefiniert: das Ergebnis eines „Timed get up and go“-Tests (7), das Körpergewicht und die Intensität der Schmerzmedikation. Der Sicherheitsendpunkt waren alle unerwünschten Ereignisse innerhalb eines Jahres. Die Nachbeobachtung erfolgte am Studienzentrum in Aalborg durch eine Person. Diese war hinsichtlich der Therapie verblindet. Alle Patienten mussten vor den Visiten ihr Knie verbinden, damit die Narbe unsichtbar blieb.
Ergebnisse: 49 von 50 Patienten in der konservativen und 46 von 50 Patienten in der OP-Gruppe beendeten die 12-monatige Nachbeobachtung. 13 von 50 Studienteilnehmern in der konservativen Gruppe erhielten während der 12 Monate doch eine KTEP (26% cross over, im Mittel nach 7 Monaten) und einer von 50 in der OP-Gruppe verweigerte nach Randomisierung die OP. In beiden Gruppen fand sich nach einem Jahr eine Verbesserung auf der KOOS4-Skala (intention to treat), wobei die Operierten besser abschnitten (+32,5 vs. +16 im Gesamt-Score; Ausgangswert 49/100). Auch in allen sekundären Endpunkten schnitten die Operierten besser ab, insbesondere bei der Lebensqualität und der Schmerzminderung. Unter den Operierten nahmen 26% nach 12 Monaten immer noch oder erneut ein Schmerzmittel ein, in der konservativen Gruppe waren es 41% (RR: 1,57).
Bedeutende unerwünschte Ereignisse (UAE) traten in der Gruppe der Operierten viermal häufiger auf als bei den Nicht-Operierten: 24 vs. 6 (p = 0,005). Dabei entfielen neun Komplikationen auf das operierte Knie (n = 8 vs. 1, wobei dieser eine Patient aus der konservativen Gruppe zur KTEP gewechselt war). Bei diesen Knie-assoziierten Problemen handelte es sich um vier funktionelle Gelenkversteifungen die unter Narkose gelöst werden mussten (Brisement forcé), eine Gelenkinfektion, drei Beinvenenthrombosen und eine suprakondyläre Femurfraktur. Rechnet man das Brisement-forcé-Manöver als Revisionseingriff, dann war ein solcher bei fünf Patienten erforderlich. 21 weitere UAE (n = 16 vs. 5) traten an anderen Organen auf, überwiegend ohne sicheren Zusammenhang mit der Operation (z.B. Schmerzen im anderen Knie, Lumboischialgien, Tumore).
Die Aussagekraft dieser Studie wird durch das monozentrische Design und die kleine Zahl der Patienten eingeschränkt. Außerdem resultiert aus der einseitigen und fraglich effektiven Verblindung und der Bewertung durch die Patienten selbst ein Bias. Die Tatsache, dass keine Schein-OP durchgeführt wurde, könnte die Selbsteinschätzung des Behandlungserfolges zu Gunsten der Operation verzerren, weil die Erwartungshaltung der Patienten gegenüber einem operativ korrigierenden Eingriff mutmaßlich größer ist. Schließlich dürfte auch die Tatsache, dass die Operierten eine Doppelbehandlung erhielten, also postoperativ das gleiche Trainingsprogramm absolvierten wie die Nichtoperierten, den Behandlungserfolg in der OP-Gruppe vergrößert haben.
Fazit: Die Knie-TEP mit nachfolgender Physiotherapie, speziellen Schulungen und Tragen von angepassten Schuheinlagen war in dieser kleinen Studie bei symptomatischer Gonarthrose hinsichtlich Linderung von Schmerzen, Gelenkfunktion und Lebensqualität nach einem Jahr effektiver als eine konservative Behandlung allein. Die Patienten müssen jedoch darauf hingewiesen werden, dass eine KTEP zu einigen bedeutsamen, auch dauerhaften Komplikationen führen kann, damit sie nach umfassender Information eine Entscheidung treffen können.
Literatur
- http://www.aerzteblatt.de/ nachrichten/64543/Gonarthrose-Weniger-Schmerzen-aber-mehr- Komplikationen-nach-Operation?s=knie Link zur Quelle
- https://www.hkk.de/fileadmin/doc/ broschueren_flyer/sonstiges/20131129_hkk_ Gesundheitsreport_Knie-Hueft-Tep.pdf Link zur Quelle
- Kurtz, S., etal.: J. Bone Joint Surg. Am. 2007, 89, 780. Link zur Quelle
- Wylde, V., et al.: Pain2011, 152, 566. Link zur Quelle
- Skou, S.T., et al.: N.Engl. J. Med. 2015, 373, 1597. Link zur Quelle
- Machado, G.C., et al.:BMJ 2015, 350, h1225. Link zur Quelle
- Podsiadlo, D., und Richardson, S.: J. Am. Geriatr. Soc. 1991, 39, 142. Link zur Quelle