Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) hat in dem gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) herausgegebenen Bulletin zur Arzneimittelsicherheit die im Jahr 2015 in Deutschland gemeldeten Verdachtsfälle von Impfnebenwirkungen bzw. Impfkomplikationen veröffentlicht (1). Damit sind alle, über eine normale Impfreaktion (z.B. reversible Rötung, Schwellung und Schmerzen an der Impfstelle, kurzfristiges Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen) hinausgehenden Symptome im Zusammenhang mit einer Impfung gemeint. Im internationalen Sprachgebrauch werden solche Reaktionen als „Adverse Events Following Immunization“ (AEFI) bezeichnet. Für AEFI bestehen in Deutschland nach dem Infektionsschutzgesetz eine namentliche Meldepflicht. Diese AEFI melden müssen die Zulassungsinhaber an die zuständige Bundesoberbehörde (für Impfstoffe und andere biomedizinische Arzneimittel das PEI) und in Deutschland Ärzte bzw. Apotheker entsprechend den standesrechtlichen Verpflichtungen an die jeweilige Arzneimittelkommission: Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) bzw. der Apotheker (AMK).
Das PEI sammelt alle Verdachtsfälle und bewertet diese nach den Kriterien der WHO (2). Grundlage jeder Bewertung ist eine gute Falldokumentation, die jedoch nicht immer vorliegt (s.u.). Die WHO schlägt folgende ursachenspezifische Einteilung vor:
- Durch den Impfstoff bedingte Reaktion: AEFI, welche durch eine oder mehrere dem Impfstoff inhärente Eigenschaften verursacht oder hervorgerufen wurden.
- Durch einen Qualitätsmangel des Impfstoffs bedingte Reaktion: AEFI, welche durch einen oder mehrere Qualitätsmängel des Impfstoffprodukts einschließlich seines Applikationsgeräts verursacht oder hervorgerufen wurden.
- Medikationsfehler: AEFI, welche durch unsachgemäße Handhabung, Verschreibung oder Verabreichung einer Impfung verursacht wurden und daher prinzipiell vermeidbar sind.
- Emotionale Reaktionen nach Impfung (z.B. durch Impfangst bedingte Reaktionen).
- Zufällig gleichzeitig auftretendes (koinzidentes) unerwünschtes Ereignis.
2015 gingen beim PEI 3.919 Einzelfallmeldungen zu AEFI ein, ein leichter Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr (n = 3.720). Da aber, wie bei allen Spontanmeldesystemen, eine unbekannte Zahl der Fälle nicht gemeldet werden, die Meldefreudigkeit stets starken Schwankungen unterliegt und zudem auch nicht bekannt ist, wie viele Impfungen in Deutschland pro Jahr überhaupt durchgeführt werden, lassen sich aus diesen Zahlen weder Schlüsse zur Inzidenz von Impfkomplikationen noch zu deren Entwicklung ableiten.
Die Hälfte der Meldungen kamen von den Zulassungsinhabern, 27,9% von Ärzten oder Apothekern, 10,5% von Gesundheitsämtern, 9,8% von den Kammern und 1,6% von Patienten oder deren Angehörigen. Die meisten Meldungen betrafen die Altersgruppe 18-59 Jahre (38%), gefolgt von Kleinkindern (17%), Kindern zwischen 2-6 Jahren (12%) und geimpften Personen > 60 Jahren (9%).
Als „schwerwiegend“ wurden von den Meldenden 35% der AEFI eingeschätzt. Bei 18 Fällen (0,5%) wurde ein tödlicher Ausgang und bei 58 (1,5%) ein bleibender Schaden gemeldet. Bei 669 Verdachtsfällen (17,1%) wurde der Ausgang als „nicht wieder hergestellt“, bei 170 (4,3%) als „gebessert“ und bei 1.683 Fällen (42,9%) als „wieder hergestellt“ gemeldet. Bei 1.321 Meldungen (33,7%) ist der Ausgang „unbekannt“.
Die Fälle mit tödlichem Ausgang und mit bleibenden Schäden werden vom PEI näher beschrieben. Bei den 18 Fällen mit tödlichem Ausgang handelte es sich um 13 Kinder und 5 Erwachsene. Bei 14 Fällen konnte kein kausaler Zusammenhang zwischen Impfung und der berichteten Todesursache erkannt werden. In 4 Fällen war wegen fehlender Informationen keine abschließende Bewertung möglich. Hierbei handelte es sich um einen 28 Monate alten Jungen, der 17 Tage nach einer Meningokokken-B-Impfung starb, eine erwachsene Person, die zu einem unbekannten Zeitpunkt nach einer FSME-Impfung an den Folgen einer multiplen Sklerose starb, einen 73-jährigen Mann, der 7 Tage nach einer Pneumokokkenimpfung ein Guillain-Barré-Syndrom entwickelte und zu einem unbekannten Zeitpunkt starb, und eine 73-jährige Frau mit Bluthochdruck und Herzinsuffizienz, die 40 Minuten nach einer FSME-Impfung einen Plötzlichen Herztod erlitt.
Unter den 58 Verdachtsfällen mit bleibenden Schäden waren 35 Kinder und Jugendliche, 22 Erwachsene und eine Person ohne Altersangabe. Bei 18 Meldungen wurde ein kausaler Zusammenhang der AEFI mit der Impfung vom PEI bestätigt: 6 dieser Geimpften hatten an der Injektionsstelle einen sterilen Abszess mit Defektheilung; 10 Fälle (7 Jugendliche, 3 Erwachsene) eine Narkolepsie (vgl. 3), davon 4 Fälle nach Impfung mit dem Grippeimpfstoff Pandemrix® und 5 Fälle nach einer FSME-Impfung; bei 2 jeweils drei Monate alten Kindern wurde nach einer Rotavirus-Impfung eine Darminvagination diagnostiziert, die operativ behandelt werden musste (vgl. 4).
Nicht zu bewerten anhand der vorliegenden Informationen waren 12 Meldungen mit bleibenden Schäden. Bei 28 Meldungen wurde die Impfung als nicht ursächlich für die geschilderte Symptomatik bewertet. Darunter waren 4 Kinder mit einer Verzögerung der psychomotorischen Entwicklung, 6 Personen mit neu aufgetretenem Typ-1-Diabetes mellitus und 8 mit neu diagnostizierter Multipler Sklerose. Bei 4 Kindern wurde ein Autismus bzw. ein Asperger-Syndrom nach einer Masern-Kombinationsimpfung (MMR- bzw. MMRV) gemeldet. Zu dem nicht nachweisbaren Zusammenhang zwischen einer Masernimpfung und Autismus sowie zu dem in diesem Zusammenhang verantwortungslosen wissenschaftlichen Fehlverhalten einzelner Personen und Zeitschriften haben wir mehrfach berichtet (5). Trotzdem führte das PEI nochmals eine eigene Literaturrecherche zu dem Thema durch. Dabei konnte weder in den Einzelpublikationen (7 Kohorten-, 6 Fall-Kontroll-, 2 „Time-series“- und 2 „Self-Controlled-Case-Series“-Studien) noch in der durchgeführten „Random-effects“-Metaanalyse Hinweise auf einen kausalen Zusammenhang gefunden werden.
Fazit: Im Jahr 2015 erhielt das PEI insgesamt 3.919 Einzelfallmeldungen über Verdachtsfälle von Impfnebenwirkungen/Impfkomplikationen. Bei näherer Analyse der schwerwiegenden Fälle durch das PEI lässt sich aber nur bei etwa einem Drittel dieser Meldungen ein kausaler Zusammenhang zwischen Impfung und der beobachteten Symptomatik nachweisen. Ein sicherer Zusammenhang mit einem Todesfall konnte in keinem Fall nachgewiesen werden. Die 18 anerkannten Impfschäden mit bleibenden Folgen waren bekannte, extrem seltene Komplikationen, wie beispielsweise lokale Abszesse, Narkolepsie nach Grippe- bzw. FSME-Impfung, Darminvagination nach Rotavirus-Impfung. Ein neues Risikosignal für bisher unbekannte Nebenwirkungen durch die in Deutschland angewandten Impfstoffe ergab sich im Jahr 2015 nicht. In Anbetracht von Millionen Impfungen jährlich bestätigen diese Zahlen, dass Impfungen sicher sind. Das Verhältnis von Nutzen zu Risiko muss bei jeder Impfung individuell abgewogen werden.
Literatur
- Mentzer, D., Oberle, D.,Keller-Stanislawski, B.: Bulletin zur Arzneimittelsicherheit 2017, 1, 17.
- Keller-Stanislawski, B.: Bulletinzur Arzneimittelsicherheit 2014, 1, 31.
- AMB 2013, 47, 23b. Link zur Quelle
- AMB 2014, 48, 22b. Link zur Quelle
- AMB 2010, 44, 24 Link zur Quelle. AMB 2007, 41, 29. Link zur Quelle