Artikel herunterladen

Lanadelumab − ein neues Arzneimittel zur Langzeitprophylaxe des Hereditären Angioödems

Das Hereditäre Angioödem (HAE) ist eine chronische Erkrankung, die durch vorübergehende und rezidivierende subkutane und/oder submuköse Ödeme mit Schwellungen und Leibschmerzen gekennzeichnet ist (1). Die nicht juckenden Ödeme halten über ein bis drei Tage an und kehren in unterschiedlichen zeitlichen Abständen wieder. Ödeme im Verdauungstrakt können ein klinisches Bild ähnlich einem Darmverschluss verursachen und sind manchmal von Aszites und hypovolämischem Schock begleitet. Sind die oberen Atemwege betroffen, droht sogar Ersticken.

Ursache des HAE ist ein autosomal dominant vererbter genetischer Defekt im Komplementsystem, der zu einer verminderten Produktion (Typ I) oder einer Funktionsstörung (Typ II) des C1-Inhibitors (C1-INH) führt. Über die fehlende Inhibition des Plasma-Kallikreins kommt es zu einer ungebremsten Bildung von Bradykinin mit gesteigerter Permeabilität der Blutgefäße. Die meisten Ödemattacken entstehen spontan (2). Zu den Faktoren, die eine Attacke auslösen können, gehören Traumen wie Stöße oder Druck, psychische Stresssituationen und Infektionskrankheiten wie grippale Infekte. Aber auch bestimmte Arzneimittel wie Östrogene und insbesondere Angiotensin-Konversions-Enzym-Hemmer (ACE-H; vgl. 7) sowie der Neprilysin-Hemmer Sacubitril (neben Valsartan ein Bestandteil von Entresto®) können die Neigung zu Ödemattacken massiv verstärken. ACE-H sind deshalb bei HAE kontraindiziert.

Akute Attacken können behandelt werden mit dem Bradykininrezeptor-Antagonisten Icatibant (Firazyr®), C1-INH-Konzentrat (Berinert®, Cinryze®), dem rekombinanten C1-INH Conestat alfa (Ruconest®) oder gefrorenem Frischplasma. Glukokortikosteroide und Antihistaminika sind nicht wirksam. Bei Patienten mit häufigen Episoden kann erwogen werden, eine Prophylaxe mit C1-INH-Konzentrat, attenuierten Androgenen wie Danazol (in Deutschland nicht mehr verfügbar) oder Tranexamsäure (Cyklokapron®; 2, vgl. 3) durchzuführen.

Ende 2018 wurde für Patienten ab 12 Jahren mit Lanadelumab (TAKHZYRO®) in Europa ein weiteres Arzneimittel zur routinemäßigen Prophylaxe von wiederkehrenden Attacken des HAE zugelassen (4, 9), nach beschleunigter Beurteilung und wegen der Seltenheit der Erkrankung als Orphan drug (geschätzte Inzidenz des HAE: 0,5/10.000 Menschen in der Europäischen Union). Lanadelumab ist ein vollständig humaner monoklonaler Antiköper, der durch die Bindung an Plasma-Kallikrein dessen proteolytische Aktivität hemmt und so die Bradykinin-Bildung beschränkt. Lanadelumab unterliegt einer zusätzlichen Überwachung (▼), um schnell neue Erkenntnisse über die Sicherheit des Antikörpers zu gewinnen.

Zur Wirksamkeit und Sicherheit von Lanadelumab führte Shire (Zulassungsinhaber) die multizentrische, doppelblinde, plazebokontrollierte HELP-Studie durch, in die 125 Patienten mit symptomatischem HAE Typ I oder II eingeschlossen wurden (5). Stratifiziert nach Attacken-Rate zum Ausgangszeitpunkt erhielten die Studienteilnehmer nach 2:1-Randomisierung entweder subkutan Lanadelumab oder Plazebo. Lanadelumab wurde 1:1:1 randomisiert in drei verschiedenen Dosierungen verordnet (150 mg alle 4 Wochen, 300 mg alle 4 Wochen oder 300 mg alle 2 Wochen). Primärer Endpunkt zur Wirksamkeit war die Zahl der Angioödem-Attacken während der 26-wöchigen Behandlungsphase. Zu den sekundären Endpunkten gehörte die Zahl der behandlungsbedürftigen Attacken und die gesundheitsbezogene Lebensqualität, die mit dem Angioedema Quality of Life Questionnaire erhoben wurde. Nach Ende der Behandlungsphase konnten die Patienten in eine unverblindet durchgeführte Erweiterungsstudie wechseln.

Das mediane Alter der 125 Patienten betrug 42 Jahre (Spannweite 12-73), und 88 waren weiblich (70%). Von 65% der Studienteilnehmer wurden anamnestisch laryngeale Angioödem-Attacken berichtet und 56% hatten zuvor eine Langzeitprophylaxe erhalten. Vor Behandlungsbeginn betrug die mittlere Attacken-Rate 3,7/Monat, wobei 52% der Studienteilnehmer ≥ 3 Attacken/Monat erlitten.

Unter der Behandlung mit Lanadelumab kam es im Vergleich zu Plazebo zu einer statistisch signifikanten Reduktion der Attacken-Rate: Pro Monat traten in der Plazebo-Gruppe durchschnittlich 1,97 Attacken auf, unter Lanadelumab 150 mg 0,48 Attacken, unter Lanadelumab 300 mg alle 4 Wochen 0,53 Attacken und unter Lanadelumab 300 mg alle 2 Wochen 0,26 Attacken. Signifikant mehr Patienten waren unter Lanadelumab attackenfrei, verglichen mit Plazebo (31-44% vs. 2,4%). Auch die Zahl der behandlungsbedürftigen Attacken nahm unter Lanadelumab in allen Dosierungen signifikant ab. Eine Akuttherapie mit C1-INH benötigten in der Lanadelumab-Gruppe 20,2% der Patienten, verglichen mit 65,9% in der Plazebo-Gruppe. Bei der gesundheitsbezogenen Lebensqualität ergab sich bei allen mit Lanadelumab behandelten Patienten im Vergleich zur Plazebo-Gruppe eine Verbesserung.

Zu den Nebenwirkungen von Lanadelumab gehören Reaktionen an der Injektionsstelle sowie Überempfindlichkeitsreaktionen wie Pruritus (4, 5). Schwere oder lebensbedrohliche Nebenwirkungen traten nicht auf.

Die Autoren weisen darauf hin, dass die Aussagekraft der Studie wegen der niedrigen Patientenzahl in den einzelnen Behandlungsarmen und der kurzen Studiendauer begrenzt ist.

Die Jahrestherapiekosten pro Patient betragen für Lanadelumab in der empfohlenen Anfangsdosis von 300 mg alle 2 Wochen ca. 427.100 € und für die reduzierte Dosis von 300 mg alle 4 Wochen – möglich bei attackenfreien Patienten – ca. 213.550 € (4, 6). Die Jahrestherapiekosten für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) insgesamt werden auf bis zu 143 Mio. € geschätzt (6). Grundlage dieser Berechnung ist die Annahme, dass in Deutschland 192-336 HAE-Erkrankte für eine Langzeitprophylaxe in Frage kommen, mindestens 12 Jahre alt und in der GKV versichert sind. Lanadelumab wird bereits heute in der Analyse der 2018 von der Arzneimittelbehörde in den USA (Food and Drug Administration = FDA) zugelassenen neuen Wirkstoffe ein potenzieller Blockbusterstatus für 2024 (jährlicher weltweiter Umsatz > 1 Mrd. US-$) vorausgesagt (8).

Fazit: Bei Patienten mit hereditärem Angioödem Typ I oder II reduzierte in einer Phase-III-Studie mit 125 Patienten die Behandlung mit Lanadelumab über 26 Wochen signifikant die Attacken-Rate im Vergleich zu Plazebo. Daten zur Langzeitsicherheit des sehr teuren Arzneimittels fehlen ebenso wie vergleichende Studien.

Literatur

  1. https://www.orpha.net/… Link zur Quelle
  2. Bork, K., et al.: Allergo. J. Int. 2019, 28, 16. Link zur Quelle
  3. AMB 2006, 40, 08b. Link zur Quelle
  4. https://www.fachinfo.de/suche/fi/022321 Link zur Quelle
  5. Banerji, A., et al. (HELP = HEreditary angiooedema Long-term Prophylaxis): JAMA 2018, 320, 2108. Link zur Quelle . Erratum: JAMA 2019, 321, 1636.
  6. https://www.g-ba.de/… Link zur Quelle
  7. AMB 2012, 46, 95b. Link zur Quelle
  8. Mullard, A.: Nat. Rev. Drug Discov. 2019, 18, 85. Link zur Quelle
  9. https://www.ema.europa.eu/en/news/ ema-annual-report-2018-published Link zur Quelle