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Mavacamten bei der obstruktiven Form der hypertrophen Kardiomyopathie [CME]

Im April 2022 erteilte die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) die Marktzulassung für Mavacamten (Camzyos®; Bristol Myers Squibb) zur Behandlung der obstruktiven hypertrophen Kardiomyopathie (oHCM; [1]). Der Antrag auf EU-Marktzulassung wird zurzeit von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) geprüft [2]. Mit einem positiven Bescheid ist jedoch zu rechnen.

Die hypertrophe Kardiomyopathie (HCM) umfasst eine heterogene, verhältnismäßig häufig vorkommende Gruppe sogenannter „primärer“ („idiopathischer“) Herzmuskelerkrankungen (geschätzte Prävalenz ca. 200 Fälle/100.000 Personen; hohe Dunkelziffer). Es sind zahlreiche zugrundeliegende Gendefekte von Sarkomer-Proteinen bekannt, die mit unterschiedlicher Penetranz autosomal-dominant vererbt werden. Der gemeinsame Pathomechanismus besteht in einer gesteigerten Actin-Myosin-Interaktion mit daraus resultierender Hyperkontraktilität, gestörte Anordnung der Myozyten („disarray“) und dem makroskopischen Phänotyp einer Verdickung der Ventrikelwände mit unterschiedlichen Verteilungsmustern. Infolge der Myokardhypertrophie kommt es zu einer diastolischen Dysfunktion (Relaxationsstörung) und einer relativen Koronarinsuffizienz. Außerdem kann die HCM mit supraventrikulären sowie auch lebensbedrohlichen ventrikulären Arrhythmien assoziiert sein. Sie ist – neben der Myokarditis – die häufigste Ursache für den Plötzlichen Herztod („Sudden cardiac death“; SCD) bei jungen Menschen. Nicht selten ist der Plötzliche Herztod die Erstmanifestation einer bis dahin nicht bekannten HCM. Für Verwandte ersten Grades von HCM-Patienten wird ein gendiagnostisches und/oder ein echokardiographisches Screening empfohlen (bei Kindern: ab dem 12. Lebensjahr).

Nach unterschiedlichen Schätzungen liegt bei etwa 30 bis 60% aller Patienten mit HCM die schwerwiegendere Verlaufsform der obstruktiven hypertrophen Kardiomyopathie (oHCM) vor, bei der es zu einer muskulären intraventrikulären Obstruktion kommt – meist im Bereich des linksventrikulären Ausflusstrakts („Left ventricular outflow tract“; LVOT); häufig besteht zusätzlich eine Mitralklappeninsuffizienz. Klinisch bleibt die oHCM lange asymptomatisch, kann aber im Spätstadium zu einer ähnlichen Symptomtrias führen wie die valvuläre Aortenstenose (Angina pectoris, Belastungsdyspnoe, Synkopen), insbesondere unter körperlicher Belastung (dynamische LVOT-Obstruktion).

Die therapeutischen Optionen bei der HCM sind begrenzt. Medikamentös beschränkten sie sich bisher auf eine rein symptomatische Therapie, in erster Linie Betablocker und/oder Nicht-Dihydropyridin-Kalziumantagonisten (Verapamil), seltener das auch negativ inotrop wirkende Klasse-I-A-Antiarrhythmikum Disopyramid. Bei Vorliegen bestimmter Kriterien für ein erhöhtes SCD-Risiko besteht die Indikation zur Implantation eines Defibrillators (ICD). Bei der obstruktiven Verlaufsform mit NYHA-Klasse ≥ III stehen als „quasi kausale“ Behandlung sogenannte Septumreduktionsverfahren zur Verfügung, die kardiochirurgisch (septale Myektomie mittels Skalpell) oder katheterinterventionell (Transkoronare Ablation der Septumhypertrophie = TASH) erfolgen können. Beide Verfahren haben allerdings beträchtliche Komplikationsrisiken bei manchmal schwer vorhersehbaren Erfolgsaussichten und müssen deshalb in erfahrenen kardiologischen Zentren erfolgen.

Mit Mavacamten liegt nun ein Arzneimittel vor, welches ein völlig neues und spezifisches pharmakologisches Therapieprinzip bieten soll („first-in-class“): Es greift direkt in den zentralen pathomechanischen Prozess der oHCM ein, indem es die kardiale Myosin-ATPase hemmt und dadurch die Ausbildung von Actin-Myosin-Querbrücken. Mavacamten ist ein „klassisches“ niedermolekulares, oral applizierbares Arzneimittel (kein Biologikum). Die FDA-Zulassung beruht auf der bereits 2020 in Lancet publizierten Phase-III-Studie EXPLORER-HCM [3] sowie auf den (vorläufigen) Ergebnissen der im April 2022 auf der Jahrestagung des American College of Cardiology (ACC) präsentierten Nachfolge-Studie MAVA-LTE [4].

Methodik: Bei EXPLORER-HCM handelt es sich um eine randomisierte, plazebo-kontrollierte, doppelblinde Studie, die in 68 Zentren aus 13 Ländern Patienten mit mäßig fortgeschrittener oHCM einschloss (Kriterien: linksventrikuläre Wanddicke ≥ 15 mm; LVOT-Gradient ≥ 50 mm Hg; NYHA-Stadium II-III; linksventrikuläre Auswurffraktion = LVEF ≥ 55%). Ausschlusskriterien waren im Wesentlichen bekannte supraventrikuläre oder ventrikuläre Arrhythmien. Eine vorbestehende Arzneimitteltherapie mit Betablockern und/oder Kalziumantagonisten konnte beibehalten werden. Die Teilnehmer wurden 1:1 randomisiert über 30 Wochen mit Plazebo oder Mavacamten – beginnend mit 5 mg täglich – behandelt. Anpassungen der Tagesdosis auf 2,5 mg, 10 mg oder 15 mg oder eine vorübergehende Pausierung erfolgten im Studienverlauf nach vordefinierten Kriterien (u.a. LVEF, LVOT-Gradienten). Alle 2-4 Wochen fanden Studienvisiten mit Echokardiographie, EKG und Blutabnahmen statt, zu Beginn und am Ende auch Belastungs-EKG und -Echokardiographie. Primärer Endpunkt war (a) ein Anstieg der maximalen Sauerstoffaufnahme (pVO2) um ≥ 1,5 ml/kg/min und Verbesserung um mindestens eine NYHA-Klasse, oder (b) ein pVO2-Anstieg um ≥ 3 ml/kg/min ohne Verschlechterung der NYHA-Klasse. Sekundäre Endpunkte waren LVOT-Gradient, pVO2, NYHA-Klasse sowie Lebensqualität (zwei verschiedene Scores). Weiterhin wurden die Biomarker hs-cTnI (hochsensitives Troponin I) und NT-proBNP (natriuretisches Peptid) untersucht.

Ergebnisse: Von 429 gescreenten Patienten wurden 251 eingeschlossen (mittleres Alter 58,5 Jahre; 91% Weiße; 60% Männer) und für Mavacamten (n = 123) oder Plazebo (n = 128) randomisiert. Der primäre Endpunkt (a und b) wurde bei 37% in der Verumgruppe und 17% in der Plazebogruppe registriert (Differenz 19,4%; 95%-Konfidenzintervall = CI: 8,7-30,1%; p = 0,0005). Die Ergebnisse waren in allen Subgruppen konstant – mit einer wichtigen Ausnahme: In der Gruppe der Patienten mit begleitender Betablocker-Therapie (n = 189) war der Effekt auf den primären Endpunkt wesentlich geringer ausgeprägt (Differenz 9%; CI: -3,6 bis 21,1%) als in der Gruppe ohne Betablocker-Therapie (n = 62; Differenz 53%; CI: 32,9-72,2%). Die Autoren führen dies auf die infolge der Betablockade eingeschränkte ergometrische Belastbarkeit zurück.

Bei den sekundären Endpunkten zeigten sich in der Verumgruppe im Vergleich zur Plazebogruppe signifikant größere Verbesserungen, und sie waren unabhängig von einer begleitenden Betablockertherapie: LVOT-Gradient (Differenz -35,6 mm Hg; CI: -43,2 bis -28,1; p < 0,0001), pVO2 (Differenz 1,4 ml/kg/min; CI: 0,6-2,1; p = 0,0006), Anteil der Patienten mit Verbesserung ≥ 1 NYHA-Klasse (Differenz 34%; CI: 22-45; p < 0,0001) sowie zwei Lebensqualität-Scores (beide p < 0,0001). Die Reduktion von hs-cTnI und NT-proBNP war in der Verumgruppe 80% bzw. 40% größer als in der Plazebogruppe.

Sicherheit und Nebenwirkungsprofil unterschieden sich nicht signifikant. Bei zehn Patienten in der Verumgruppe (8%) vs. 11 Patienten in der Plazebogruppe (9%) gab es zumindest ein unerwünschtes Ereignis, darunter Vorhofflimmern (2 vs. 4 Patienten), Synkope (2 vs. 1 Patient), Stress-Kardiomyopathie (2 vs. 0 Patienten), kardiale Dekompensation (0 vs. 1 Patient), Plötzlicher Herztod (0 vs. 1 Patient). Ein vorübergehender Abfall der LVEF unter 50% wurde bei 7 vs. 2 Patienten registriert und bei 3 vs. 2 Patienten wurde deshalb die Studienmedikation vorübergehend pausiert; 4 weitere Patienten hatten bei Studienende eine LVEF < 50%, die sich in der Folge wieder erholte.

Die aktuell vorgestellte, noch nicht publizierte MAVA-LTE-Studie [5] verfolgte 231 Patienten aus der EXPLORER-HCM-Studie über eine mittlere Nachbeobachtungszeit von 62 Wochen weiter. Die positiven Effekte auf LVOT-Gradienten, NYHA-Klasse und Biomarker unter Therapie mit Macacamten waren dabei im Wesentlichen konstant.

Diskussion: Die in der EXPLORER-HCM-Studie gezeigten positiven Effekte von Mavacamten auf etablierte Surrogatparameter sind hoch signifikant und teils deutlich ausgeprägter als aus Herzinsuffizienzstudien für die neurohumorale Therapie bekannt. Beobachter rechnen damit, dass Mavacamten einen „Blockbuster-Status“ erreichen wird, d.h. einen Jahresumsatz von > 1 Mrd. US-$. Der ursprüngliche Entwickler MyoKardia – und Sponsor der EXPLORER-Studien – wurde 2020 nach Bekanntwerden der EXPLORER-HCM-Daten vom Pharma-Riesen Bristol Myers Squibb für 13,1 Mrd. US-$ übernommen.

Die derzeit für Mavacamten vorliegende Evidenz ist allerdings in mehreren Punkten eingeschränkt: EXPLORER-HCM untersuchte selektierte Patienten. Es fehlen belastbare Daten für jüngere Patienten, Nicht-Weiße und Patienten mit NYHA-Klasse III-IV. Abgesehen von den Lebensqualität-Scores gibt es keine klinischen Endpunktdaten, und noch fehlen ausreichende Langzeitdaten zu Wirksamkeit und Risiken. Ob die beobachteten Effekte auf die Funktion des linken Ventrikels als Teil der erforderlichen und erwünschten Arzneimittelwirkung anzusehen sind oder sich möglicherweise im Langzeitverlauf doch nachteilig auswirken könnten, wird kontrovers diskutiert (5) und muss in Post-Marketing-Studien geklärt werden, die aus diesem Grund dringend zu fordern sind. Der primäre Endpunkt wurde ganz überwiegend in der Subgruppe von Patienten erreicht, die nicht unter einer begleitenden Betablockertherapie standen. Dies wurde aber nicht systematisch untersucht. Direkte Vergleiche von Mavacamten mit etablierten Arzneimitteln (Betablocker, Kalziumantagonisten, Disopyramid) bzw. Kombinationstherapien sind daher dringend erforderlich – zumal auch für diese Wirkstoffe keine qualitativ guten Studien in der HCM- bzw. oHCM-Therapie vorliegen.

Ähnliches gilt für die operativen und katheterinterventionellen Septumreduktionsverfahren (SRV). Die ebenfalls auf der ACC-Jahrestagung im April 2022 vorgestellte, aber noch nicht publizierte VALOR-HCM-Studie [6] untersuchte Mavacamten vs. Plazebo bei hochsymptomatischen Patienten (NYHA-Klasse III/IV), die einem SRV zugewiesen waren. Während der Nachbeobachtung von 16 Wochen wurden die leitliniengerechten Kriterien für eine SRV-Indikation in der Verumgruppe hoch signifikant seltener erreicht als in der Plazebogruppe (17,9% vs. 76,8%; p < 0,0001). Bemerkenswerterweise entschieden sich dann aber in beiden Gruppen (!) nur 3,6% der Patienten tatsächlich für den Eingriff. Auch hier wäre wohl ein direkter Vergleich SRV vs. Mavacamten interessant.

Zu beachten ist, dass die FDA-Zulassung auf Grundlage von EXPLORER-HCM nur für die obstruktive Verlaufsform der HCM gilt. Nicht zugelassen ist Mavacamten für die nicht-obstruktive HCM sowie auch für alle differenzialdiagnostisch davon abzugrenzenden sekundären Kardiomyopathien, die ebenfalls mit einer Myokardhypertrophie einhergehen, wie z.B. Speichererkrankungen (Amyloidose, Morbus Fabry), Sarkoidose, Fehlbildungssyndrome (Noonan-Syndrom), neuromuskuläre Erkrankungen (Friedreichsche Ataxie), hypertensive Kardiomyopathie, valvuläre Kardiomyopathie bei Aortenklappenstenose. Eine „Off-label“-Anwendung von Mavacamten ist bei allen diesen Erkrankungen klar abzulehnen.

Die US-Zulassung von Mavacamten erfolgte über ein eingeschränktes Pogramm: „Risk Evaluation and Mitigation Strategy“ = REMS; dieses umfasst neben anderen Auflagen eine Registrierungspflicht für Verschreiber, Patienten und Apotheker und enthält einen besonders gekennzeichneten Warnhinweis („Boxed Warning“) zur Nebenwirkung Herzinsuffizienz [1].

Fazit

Der neuartige Wirkstoff Mavacamten erhielt aktuell in den USA eine beschleunigte Marktzulassung („break through therapy“) zur spezifischen medikamentösen Behandlung der obstruktiven Form der hypertrophen Kardiomyopathie [1] – eine Erkrankung, für die bislang nur begrenzte Therapieoptionen existieren. Erste Studien zeigen bei selektierten Patienten eine gute Wirksamkeit auf etablierte Surrogatparameter und Lebensqualität bei wahrscheinlich akzeptabler Verträglichkeit. Dem neuen Arzneimittel wird ein hohes Marktpotenzial vorhergesagt. Daten zu harten klinischen Endpunkten sowie Langzeitdaten und direkte Vergleichsdaten zu etablierten Therapien fehlen jedoch. Mavacamten sollte daher nach unserer Ansicht zurückhaltend mit strenger Indikation und nur kontrolliert im Rahmen klinischer Studien eingesetzt werden.

Literatur

  1. https://www.fda.gov/drugs/news-events-human-drugs/fda-approves-new-drug-improve-heart-function-adults-rare-heart-condition (Link zur Quelle)
  2. https://www.ema.europa.eu/en/medicines/medicines-human-use-under-evaluation (Link zur Quelle)
  3. Olivotto, I., et al. (EXPLORER-HCM = Clinical Study to Evaluate Mavacamten (MYK-461) in Adults With Symptomatic Obstructive Hypertrophic Cardiomyopathy): Lancet 2020, 396, 759. Erratum: Lancet 2020, 396, 758. (Link zur Quelle)
  4. https://www.acc.org/Latest-in-Cardiology/Articles/2022/04/02/13/22/Sun-945am-Treatment-Mavacamten-acc-2022 (Link zur Quelle)
  5. Beinfeld, M., et al.: J. Manag. Care Spec. Pharm. 2022, 28, 369. (Link zur Quelle)
  6. VALOR-HCM: (Link zur Quelle)