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Eine neue „Qualität“ industriegesteuerter Marktforschung

Das Bombardement von E-Mails, die Postsendungen, Faxe und Telefonanrufe, mit denen Klinikärzte aufgefordert werden, gegen Bezahlung oder Geschenke (Amazon-Gutscheine, Honorare in Form von Dufflecoats oder Damenhandtaschen) an medizinischen Marktstudien im Auftrag pharmazeutischer Unternehmen teilzunehmen, hat ein epidemisches Ausmaß angenommen. Diese Landplage wird noch weiter dadurch gesteigert, dass die Organisationen, die damit beauftragt und auf den Gesundheitssektor spezialisiert sind, nicht davor zurückschrecken, ihre Aussendungen mit „persönlich-vertraulich“ zu kennzeichnen, um sie vor der sofortigen Entsorgung zu bewahren. Telefonagenturen mogeln sich zu ihren Zielpersonen durch mit der dreisten Behauptung, es handele sich um eine „neue Studie“. Man darf nicht darüber nachdenken, dass die Ergebnisse solcher unseriöser Aktionen anschließend als repräsentative Umfragen und statistisch fundierte Aussagen zu Behandlungen verkauft werden.

Eine neue Qualität scheint nun aber mit der Einbindung akademischer Institutionen in industriegesteuerte Marktforschungsaktionen erreicht zu sein. So konnte man Anfang November 2010 nur ungläubig staunen, als man per E-Mail gebeten wurde, die Markteinführung eines Gerinnungspräparats im Rahmen einer Diplomarbeit zweier Studenten am Lehrstuhl für Marketing der Universität Bamberg durch tatkräftige Mitarbeit zu unterstützen. Der Lehrstuhlinhaber, Prof. Dr. Ivens, führt in seinem Anschreiben aus: „Ziel ist es, die Markteinführung eines Produktes gegen Hämophilie nach den Bedürfnissen der anwendenden Ärzte und Patienten zu gestalten. Wir würden in diesem Kontext gerne ein Interview mit Ihnen durchführen, um von Ihnen als betreuendem Arzt und potenziellem Mittler des angesprochenen Produkts nähere Informationen zu erhalten.”

Da verschlägt es einem wirklich die Sprache. Tröstlich ist lediglich, dass in Nachfolge-Mails die bedauernswerten Diplomanden beklagen, dass es ganz schwierig sei, die gewünschten „Befragungsopfer” (Interviewpartner) zu finden. Da keimt die Hoffnung auf, dass der Instinkt, solche Befragungen als raffinierte Marketingtricks zu entlarven, doch spürbar zugenommen hat.