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Benötigen Patienten mit fortgeschrittenem M. Hodgkin eine adjuvante Bestrahlung nach der Polychemotherapie?

Dieser wichtigen Frage widmete sich eine Studie der European Organization for Research and Treatment of Cancer Lymphoma Group (Aleman, B.M.P., et al.: N. Engl. J. Med. 2003, 348, 2396). Der Nutzen einer adjuvanten lokalen Bestrahlung der bei Erstdiagnose betroffenen nodalen oder extranodalen Manifestationen nach Erreichen einer kompletten Remission (CR) durch Polychemotherapie wird auf Grund der Ergebnisse verschiedener randomisierter Studien zunehmend bezweifelt. Darüber hinaus führt die Bestrahlung zu einem vermehrten Auftreten von soliden Tumoren im Bestrahlungsfeld, und die Kombination von Polychemotherapie und Bestrahlung erhöht eindeutig das Risiko spät auftretender Komplikationen, wie z.B. Zweitneoplasien oder kardiovaskuläre Erkrankungen (vgl. AMB 1992, 26, 95). Patienten mit unbehandeltem M. Hodgkin (Stadium III oder IV) im Alter von 15-70 Jahren wurden in der zwischen 1989 und 2000 durchgeführten europäischen Studie zunächst mit der Kombinationschemotherapie MOPP-ABV (s. AMB 2003, 37, 52) behandelt und nach Erreichen einer CR nach 6-8 Zyklen Polychemotherapie randomisiert (keine weitere Behandlung versus lokale, ”Involved-field”-Bestrahlung). Alle Patienten in partieller Remission (PR) nach 6 Zyklen Polychemotherapie erhielten eine lokale Bestrahlung. Die Dosis der Bestrahlung (16-30 Gy) richtete sich nach Lokalisation des M. Hodgkin (nodal versus extranodal) und Therapieergebnis nach 6 Zyklen (PR versus CR). Primäres Ziel der Studie war die Beantwortung der Frage, ob eine adjuvante Bestrahlung das rezidivfreie Überleben nach 3 Jahren bei Patienten in CR nach Polychemotherapie verlängert. Sekundäre Endpunkte waren ereignisfreies Überleben und Gesamtüberleben. Die Auswertung erfolgte entsprechend dem ”Intention-to-treat”-Prinzip. Von insgesamt 739 Patienten erreichten 421 (57%) eine CR nach Polychemotherapie, von denen nach Randomisierung 161 Patienten keine Bestrahlung und 172 Patienten eine adjuvante Radiotherapie erhielten. 88 Patienten wurden nicht randomisiert. Gründe hierfür waren u.a. Verweigerung der Randomisierung durch Patienten oder Ärzte und Protokollverletzung. Nach einer medianen Beobachtungszeit von 79 Monaten unterschieden sich beide Therapiearme weder im rezidiv- und ereignisfreien Überleben noch im Gesamtüberleben signifikant (Tab. 1). Zweitneoplasien traten in einem Zeitraum von 9-112 Monaten nach Beginn der Chemotherapie bei 6 Patienten ohne und bei 15 Patienten (vorwiegend akute Leukämien oder myelodysplastische Syndrome) mit adjuvanter lokaler Bestrahlung auf (p = 0,05). Bemerkenswert sind die Therapieergebnisse der Patienten mit partieller Remission nach Polychemotherapie (n = 250; 34%), die in jedem Fall zusätzlich bestrahlt wurden, und von denen 79% ereignisfrei bzw. 87% insgesamt 5 Jahre überlebten. Vermutlich befand sich jedoch ein Teil dieser Patienten nach Abschluß der Polychemotherapie bereits in CR, da die Beurteilung der Remissionsqualität nach Polychemotherapie bei Patienten mit M. Hodgkin häufig schwierig ist und nicht immer sicher zwischen aktiver Erkrankung und residualer Fibrose (z.B. bei Mediastinaltumor) unterschieden werden kann.

Fazit: Patienten mit fortgeschrittenem M. Hodgkin und kompletter Remission nach Polychemotherapie benötigen nach den Ergebnissen dieser europäischen multizentrischen Studie keine adjuvante lokale Bestrahlung. Demgegenüber profitieren Patienten in partieller Remission vermutlich von einer konsolidierenden Bestrahlung. Die guten Therapieergebnisse bei dieser Patientengruppe sprechen gegen eine frühzeitige Therapieintensivierung (z.B. mittels Hochdosis-Chemotherapie) bei den Patienten, die nach adäquater Polychemotherapie keine komplette Remission erreicht haben.

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