Der „Arbeitskreis Klinische Studien in onkologischen und hämatologischen Praxen e.V. (AKS)”, der von vielen pharmazeutischen Herstellern finanziell unterstützt wird, hat sich laut Homepage zum Ziel gesetzt, „die Transparenz der Studienlandschaft in Deutschland und die Durchführung klinischer Studien in onkologischen und hämatologischen Praxen zu verbessern” (1). In Abstimmung mit dem Arbeitskreis Palliativmedizin der deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) werden derzeit Informationen zur Teilnahme an einer Studie zur „Wirtschaftlichkeit der frühzeitigen parenteralen Ernährungstherapie bei malignen Erkrankungen in der ambulanten Versorgung” an niedergelassene Onkologen verschickt (2).
Ein Ziel der von der Carenoble GmbH durchgeführten Untersuchung ist es, „genaue Daten über die Prävalenz und die Auswirkungen der frühzeitigen Ernährungstherapie” bei Patienten mit metastasierten Karzinomen der Lunge, des Magens und der Bauchspeicheldrüse zu erheben. „Wegen der Prognosen bei diesen Entitäten” wird eine Studiendauer von 24 Monaten für diese Untersuchung als ausreichend betrachtet. Laut der „statistischen Planungsrechnung” werden „insgesamt 2000 und mehr Patientenfälle angestrebt”. Als Einschlusskriterium genügt eine „negative Zukunftsprognose hinsichtlich des Ernährungszustandes”. Ausgeschlossen werden u.a. Patienten mit einer manifesten Kachexie. Aus ethischen Gründen, so heißt es, sei kein Randomisierungsverfahren vorgesehen. Für den Dokumentationsaufwand werden pro Patient monatlich 50 EUR gezahlt. Man rechnet mit durchschnittlich 25 „Patientenfällen” pro Schwerpunktpraxis, deren Teilnahme an der Studie somit etwa 1250 EUR pro Monat erbringen würde.
Auf zwei Seiten werden im Rahmen der „Dokumentation” einige Daten abgefragt zum Patientenzustand, wie z.B. Körpergröße und Gewicht, sowie zum Krankheits- und Therapieverlauf. Außerdem wird nach zusätzlichem Arzneimitteleinsatz, wie dem Bedarf an „Anti-Infekta”, Schmerzmitteln und Blutprodukten gefragt. Die „lernfähige Software” errechne aus den Angaben unter Berücksichtigung aller zur parenteralen Ernährung zugelassenen Fertigarzneimittel ein individuelles Ernährungsregime. Dadurch würden die Tageskosten für eine „qualifizierte parenterale Medikation” um durchschnittlich 30-50% reduziert.
Ein Literaturverzeichnis fehlt in der Broschüre. Stattdessen wird auf „aktuelle Erkenntnisse” und „mehrere randomisierte klinische Studien” (RCT) ohne Quellenangaben verwiesen. Daneben werden Ergebnisse der CEPTON-Studie „Mangelernährung in Deutschland” angeführt. CEPTON® ist eine auf den Pharmabereich spezialisierte Unternehmensberatung. Auf ihrer Website finden sich Publikationen wie „Europäisches Pharmamarketing” (3).
In einem Literaturverzeichnis hätte z.B. die systematische Übersichtsarbeit von Koretz et al. erwähnt werden können (4), die RCT zur klinischen Wirksamkeit parenteraler Ernährung u.a. bei Patienten mit malignen Erkrankungen ausgewertet hat, die eine Chemotherapie (19 RCT), Strahlentherapie (3 RCT) oder Stammzell-Transplantation (4 RCT) erhalten hatten. Die Untersuchung ergab, dass eine parenterale Ernährung keinen Einfluss auf die Letalität hatte (19 Studien, 1050 Patienten). Nur bei Patienten nach Stammzell-Transplantation war ein positiver Effekt nicht auszuschließen. Auf andere Parameter wirkte die parenterale Ernährungstherapie eindeutig negativ. Das Risiko für Komplikationen insgesamt und speziell für infektiöse Komplikationen war erhöht (8 bzw. 18 Studien, 333 bzw. 823 Patienten), und das Ansprechen der Tumoren auf die Therapie war vermindert (15 Studien, 910 Patienten). Die Autoren analysierten außerdem vier RCT bei Patienten mit Chemotherapie bei Hodenkrebs, Z.n. Stammzelltransplantation, AIDS bzw. zystischer Fibrose, die den Nutzen einer zu Hause durchgeführten parenteralen Ernährungstherapie untersuchten. Auch hier ergab sich kein Nutzen hinsichtlich der Letalität oder infektiöser Komplikationen.
Fazit: Unter Berufung auf eine „Wiederbesinnung auf ganzheitliche Medizin” wirbt die Studie für einen undifferenzierten Einsatz einer parenteralen Ernährung bei Patienten mit metastasierten Karzinomen, obwohl klinische Studien zeigen, dass sie das Risiko für Komplikationen erhöht und das Ansprechen auf die Therapie vermindert. Es handelt sich offensichtlich nicht um eine Studie mit klinischer Fragestellung, sondern um ein reines Marketinginstrument. Von amerikanischen Fachgesellschaften (5, 6) wird, ebenso wie von der entsprechenden deutschen Leitlinie der AWMF (7), empfohlen, eine parenterale Ernährung bei Patienten unter einer Chemo- oder Strahlentherapie nicht routinemäßig anzusetzen.
Literatur
- Arbeitskreis Klinische Studien in onkologischen und hämatologischen Praxen e.V.: http://www.akstudien.de. Zuletzt geprüft: 4. September 2008. Link zur Quelle
- CARENOBLE – Gesellschaft für Gesundheitsökonomie: Patientenstudie: „Wirtschaftlichkeit der frühzeitigen parenteralen Ernährungstherapien bei malignen Erkrankungen in der ambulanten Versorgung“: http://www.carenoble.de. Dortmund, Leipzig, Berlin, im Februar 2008.
- http://www.cepton.de. Zuletzt geprüft: 15. Juli 2008. Link zur Quelle
- Koretz, R.L., et al.: Gastroenterology 2001, 121, 970. Link zur Quelle
- American Gastroenterological Association: Gastroenterology 2001, 121, 966. Link zur Quelle
- A.S.P.E.N. Board of Directors and The Clinical Guidelines Task Force: JPEN J. Parenter. Enteral Nutr. 2008, 26 (1 Suppl.), 82SA Link zur Quelle . Erratum: JPEN J. Parenter. Enteral Nutr. 2002, 26, 144.
- Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM): Akt. Ernähr. Med. 2007, 32, 124.