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Baricitinib – eine neue Therapieoption bei Alopecia areata? [CME]

Die Alopecia areata (kreisrunder Haarausfall) ist eine Autoimmunerkrankung, bei der Haarfollikel in der Wachstumsphase (Anagen) vorzeitig in die nicht proliferative Rückbildungsphase (Katagen) und die Ruhephase (Telogen) übergehen, was zu plötzlichem Haarausfall und einer Hemmung des Nachwachsens der Haare führt [1]. Bei mehr als der Hälfte der Betroffenen wachsen die Haare ohne Behandlung innerhalb eines Jahres nach. Ein Rückfall ist jedoch häufig, und bei einigen Patienten besteht die Alopecia areata über mehrere Jahre oder auf unbestimmte Zeit. Bei ca. 10% der Patienten entwickelt sich eine Alopecia totalis oder Alopecia universalis.

Zu den therapeutischen Optionen gehören Glukokortikosteroide, die topisch oder systemisch angewendet oder auch intraläsional injiziert werden [2]. Bei langanhaltender, ausgeprägter Alopecia areata wird eine topische Sensibilisierung mit Diphenylcyclopropenon (DPCP) empfohlen. Alternativ kann eine topische Reizung mit Dithranol eingesetzt werden. Bei Versagen der Standardtherapien kann eine Behandlung mit Methotrexat erwogen werden. Alle derzeitigen Therapieoptionen führen meist nicht zu einem zufriedenstellenden Ansprechen und haben hohe Rückfallquoten, insbesondere bei ausgeprägter Alopecia areata [2].

Die lokale Entzündung bei Alopecia areata ist weitgehend durch den JAK-STAT-Signalweg vermittelt (JAK = Januskinase, STAT = „signal transducers and activators of transcription“). JAK sind Enzyme, die intrazelluläre Signale von Rezeptoren der Zelloberflächen für eine Reihe von Zytokinen und Wachstumsfaktoren weiterleiten, die an Hämatopoese, Entzündungsreaktion und Immunabwehr beteiligt sind. Innerhalb des intrazellulären Signalweges phosphorylieren und aktivieren JAK Signaltransduktoren und Aktivatoren der Transkription (STAT), die wiederum die Genexpression innerhalb der Zelle aktivieren. Erste Daten aus kleinen klinischen Studien mit verschiedenen JAK-Inhibitoren wie beispielsweise Tofacitinib und Ruxolitinib zeigen, dass JAK-Inhibitoren bei Alopecia areata das Haarwachstum fördern, darunter auch eine Phase-II-Studie mit Baricitinib. Nun wurden die Ergebnisse von zwei Phase-III-Studien mit Baricitinib zur Behandlung der Alopecia areata veröffentlicht [3].

Baricitinib (Olumiant®) ist ein selektiver und reversibler Inhibitor der JAK1 und JAK2 ([4], vgl. [5]). Zugelassen ist das Arzneimittel zur Behandlung von bestimmten Patienten mit Rheumatoider Arthritis und mit Atopischer Dermatitis. Die beiden Studien zur Alopecia areata (BRAVE-AA1 und BRAVE-AA2) wurden doppelblind in 169 Zentren in 10 Ländern durchgeführt [3]. Finanziert, geplant, ausgewertet und publiziert wurden sie vom pharmazeutischen Unternehmer (pU): Eli Lilly. Die teilnehmenden Wissenschaftler mussten sogar Vertraulichkeitsvereinbarungen unterzeichnen.

Bei der BRAVE-AA1-Studie handelt es sich um die Verlängerung der Phase-II-Studie mit größeren Patientenzahlen. Insgesamt 1.200 Patienten mit einer schweren Alopecia areata wurden randomisiert (3:2:2) über 36 Wochen behandelt mit Baricitinib 4 mg/d, Baricitinib 2 mg/d oder Plazebo. Zur Bewertung des Schweregrads der Alopecia areata wurde das „Severity of Alopecia Tool“ (SALT) verwendet. Der SALT-Score reicht von 0% (kein Haarverlust) bis 100% (vollständiger Haarverlust). Eingeschlossen wurden nur Patienten mit einem SALT-Score ≥ 50; bei fast der Hälfte bestand eine Alopecia universalis. Ausgeschlossen wurden beispielsweise Patienten, bei denen ein Therapieversuch mit einem JAK-Inhibitor erfolglos geblieben war, und Patienten, bei denen die Haare über 8 Jahre nicht nachgewachsen waren. Primärer Endpunkt der Untersuchungen war der Anteil von Patienten mit einem SALT-Score ≤ 20 in Woche 36, entsprechend einem Verlust des Haupthaares von 0-20% bzw. einer Bedeckung von mindestens 80% der Kopfhaut mit Haaren. Zu den sekundären Endpunkten gehörte ein „Scalp Hair Assessment PatientReported Outcome (PRO)-Score“ von 0 bis 1, der ebenfalls einem Verlust des Haupthaares von 0-20% entspricht. Die Studien wurden nach Woche 36 fortgesetzt und sollen bis zu 200 Wochen lang randomisiert und verblindet bleiben.

Die Patienten sind im Durchschnitt ca. 37 Jahre alt, 60% sind Frauen. Die Ergebnisse in Woche 36 zeigen, dass der Anteil von Patienten mit einem SALT-Score ≤ 20 unter Baricitinib oral in beiden Dosierungen statistisch signifikant größer war als unter Plazebo. In BRAVE-AA1 (n = 654) betrug er unter einmal 4 mg/d Baricitinib 38,8%, unter 2 mg/d Baricitinib 22,8% und unter Plazebo 6,2%; in BRAVE-AA2 (n = 546) 35,9%, 19,4% bzw. 3,3% (p < 0,001 für jede Dosis gegenüber Plazebo in beiden Studien). Auch der Anteil der Patienten, die einen „Scalp Hair Assessment-PRO-Score“ von 0 bis 1 erreichten, war unter Baricitinib 4 mg größer als unter Baricitinib 2 mg oder Plazebo (BRAVE-AA1: 35,8%, 17,1%, 5,9%; BRAVE-AA2: 37,8%, 18,5%, 5,1%). Die Ergebnisse zu weiteren sekundären Endpunkten zeigten für Baricitinib 4 mg/d ebenfalls ein günstigeres Ergebnis als für Plazebo, aber nicht für Baricitinib 2 mg/d.

Unerwünschte Ereignisse unter Baricitinib wurden meist als leicht oder mäßig schwer beschrieben. Todesfälle traten nicht auf. Häufig dokumentiert wurden Akne, Infektionen der oberen Atemwege, Kopfschmerzen, Harnwegsinfektionen und erhöhte Kreatinkinase-Werte. Bei ungefähr einem Viertel der Patienten, die Baricitinib erhielten, wurde ein Anstieg des LDL-Cholesterinspiegels beobachtet, bei etwa 40% ein Anstieg des HDL-Cholesterinspiegels.

Die Aussagekraft der Ergebnisse ist beispielsweise dadurch eingeschränkt, dass nach Auswertung von BRAVE-AA2 die hierarchische Analyse der sekundären Endpunkte in BRAVE-AA1 geändert wurde. Darüber hinaus wurden verschiedene Patientengruppen ausgeschlossen.

Die Autoren eines Kommentars weisen darauf hin, dass es sich bei den Studien nicht nur um die ersten Phase-III-Studien mit einem JAK-Inhibitor bei Alopecia areata handelt, sondern auch um die ersten Phase-III-Studien bei der Erkrankung überhaupt [6]. Sie halten die Ergebnisse für beeindruckend. Allerdings geben sie zu bedenken, dass die meisten Patienten vermutlich eine dauerhafte Behandlung benötigen. Deshalb fordern sie Daten zur Sicherheit des Arzneimittels bei langfristiger Anwendung, beispielsweise im Rahmen von Registern. Außerdem kritisieren die Kommentatoren, dass Daten zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität fehlen, obwohl dies in einem Cochrane-Review ausdrücklich gefordert worden sei. Sie halten es für gerechtfertigt, die gesundheitsbezogene Lebensqualität als primären Endpunkt zu verwenden, und nicht Daten zum Nachwachsen der Haare. Außerdem weisen die Autoren darauf hin, dass Baricitinib teuer ist; die Jahrestherapiekosten pro Patient betragen für Baricitinib 4 mg 14.328 € [7].

Fazit

In zwei Phase-III-Studien bei Patienten mit schwerer Alopecia areata zeigte sich Baricitinib hinsichtlich des Haarwachstums Plazebo überlegen. Akne, erhöhte Kreatinkinase-Werte und erhöhte HDL- und LDL-Werte traten unter Baricitinib häufiger auf als unter Plazebo. Zur Beurteilung der Sicherheit und Wirksamkeit bei langfristiger Anwendung müssen weitere Studienergebnisse abgewartet werden. Daten zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität fehlen. Wie andere Arzneimittel, die zur Behandlung der Alopecia areata eingesetzt werden, ist Baricitinib für diese Indikation nicht zugelassen.

Literatur

  1. UpToDate. Alopecia areata: Clinical manifestations and diagnosis. Stand 6.5.2022. (Link zur Quelle)
  2. Lintzeri, D., et al.: J. Dtsch. Dermatol. Ges. 2022, 20, 59. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/ddg.14689_g (Link zur Quelle)
  3. King, B., et al. (BRAVE-AA = A study of baricitinib (LY3009104) in participants with severe or very severe Alopecia Areata): N. Engl. J. Med. 2022, 386, 1687. https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2110343 (Link zur Quelle)
  4. https://www.fachinfo.de/api/fachinfo/pdf/021493 (Link zur Quelle)
  5. AMB 2021, 55, 68. (Link zur Quelle)
  6. Messenger, A., und Harries, M.: N. Engl. J. Med. 2022, 386, 1751. https://www.nejm.org/doi/10.1056/NEJMoa2110343?url_ver=Z39.88-2003&rfr_id=ori:rid:crossref.org&rfr_dat=cr_pub%20%200pubmed (Link zur Quelle)
  7. https://www.g-ba.de/beschluesse/4808/ (Link zur Quelle)