Das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) ist ein lebensnotwendiges, komplexes Hormonsystem zur Regulierung der Natriumbilanz, des extrazellulären Flüssigkeitsvolumens und des Blutdrucks. Hemmsubstanzen des Systems (ACE-Hemmer, Angiotensin-Rezeptor-Blocker, Aldosteronantagonisten) gehören zu den wirksamsten Antihypertensiva, die kardiovaskuläre Komplikationen und Todesfälle bei Hypertonikern reduzieren können. Seit vielen Jahren werden direkte Hemmer des Enzyms Renin entwickelt. Zunächst gelang nur die Entwicklung von i.v. zu verabreichenden Inhibitoren (1). Seit kurzem ist ein oraler niedrigmolekularer Renin-Inhibitor mit dem Namen Aliskiren (Rasilez®) der Firma Novartis auf dem Markt. Er wird es nicht leicht haben, sich gegenüber den anderen RAAS-Hemmern in der Praxis durchzusetzen.
Aliskiren ist ein künstliches Tetrapeptid mit verschiedenen Substituenten. Die orale Bioverfügbarkeit beträgt nur 2,7%, aber die Plasma-Halbwertzeit liegt zwischen 25 und 30 Stunden. Aus diesem Grund kann es als tägliche Einzeldosis eingenommen werden. Es senkt den mit ambulanter automatischer Blutdruckmessung registrierten Blutdruck nachts tendenziell etwas stärker als manche andere nur einmal morgens einzunehmende Antihypertensiva mit kürzerer Halbwertzeit (2). Insgesamt ist die blutdrucksenkende Wirkung der empfohlenen Tagesdosen von 150 bis maximal 300 mg vergleichbar mit der anderer Monotherapeutika. Obwohl Pilotstudien bei Patienten mit Hypertonie Grad 1 bis 2 (d.h. diastolischen Blutdruckwerten zwischen 90 und 109 mm Hg) zeigten, dass die Kombination von Aliskiren (150 mg) mit 25 mg Hydrochlorothiazid den Blutdruck stärker senkt, als die Kombination mit anderen RAAS-Hemmern (Ramipril, Irbesartan [2]), erwarten die Firma Novartis und mit ihr kooperierende Hypertensiologen offenbar günstige Effekte von einer „dualen Hemmung” des RAAS hinsichtlich klinischer Endpunkte. So ist die Kombination von Aliskiren mit ACE-Hemmern und Angiotensin-Rezeptor-Blockern in mehreren klinischen Studien präsentiert worden, ohne dass der Effekt dieser Kombinationen auf den Blutdruck besonders beeindruckend ist. Zum Beispiel erschien im Juli 2007 eine multizentrische, doppeltblinde Studie von S. Oparil et al. (3), in der 1797 Patienten mit in der Sprechstunde gemessenem diastolischen Blutdruck von 95 bis 109 mm Hg für vier Wochen entweder mit 150 mg Aliskiren, 160 mg Valsartan, einer Kombination beider Medikamente in dieser Dosierung oder Plazebo behandelt wurden. Danach konnten für weitere vier Wochen im Rahmen einer „forced titration” die Dosen der Medikamente verdoppelt werden. Eine 24-Stunden ambulante automatische Blutdruckmessung vor der Intervention und nach acht Wochen Therapie zeigte einen fast identischen blutdrucksenkenden Effekt der hohen Dosen Aliskiren und Valsartan (etwa -10/-7 mm Hg), der in der Kombinationsgruppe etwas größer war (-14,4/-10,3 mm Hg).
Aliskiren scheint ähnlich wie Angiotensin-Rezeptor-Blocker gut verträglich zu sein. So hatten die Patienten aller aktiven Behandlungsgruppen weniger Kopfschmerzen als Plazebo-Patienten, während sich die Häufigkeit aller anderen „adverse events” bis auf eine Serum-Kalium-Konzentration > 5,5 mmol/l (4% in der Kombinationsgruppe, 2-3% in den anderen Gruppen) nicht unterschieden. Serum-Kaliumwerte > 6 mmol/l waren in allen Gruppen angeblich extrem selten (0,5%-1%). Trotz der beruhigenden Ergebnisse hinsichtlich der Inzidenz von Hyperkaliämien in der kombiniert behandelten Gruppe muss generell vor einer Behandlung von Patienten mit Hypertonie und/oder Herzinsuffizienz mit zwei Inhibitoren des RAAS gewarnt werden. Die Patienten der Therapiestudien werden meist sorgfältig ausgewählt, während in der Praxis eine Niereninsuffizienz, die bei Behandlung des Patienten mit RAAS-Hemmern zu gefährlichen Hyperkaliämien prädisponiert, leicht übersehen oder in ihrer Bedeutung unterschätzt wird. Wir haben hierauf mehrfach hingewiesen (4-6). Vor dieser Komplikation warnen auch die Autoren eines lesenswerten Kommentars zu diesem Artikel (7), die wie wir der Meinung sind, dass Aliskiren, wenn erforderlich, mit einem Diuretikum oder einem Kalziumantagonisten statt mit einem anderen RAAS-Hemmer kombiniert werden sollte.
Nach Einnahme eines ACE-Hemmers steigen Reninkonzentration und -aktivität im Plasma an. Das ist eine Folge der abnehmenden Angiotensin-II-Konzentration. Angiotensin II hemmt im Rahmen eines „Short-loop-feedback-Mechanismus” tonisch die Reninsekretion. Das Gleiche ist nach Verabreichung eines Angiotensin-Rezeptor-Blockers der Fall, der seinen Effekt auch am juxtaglomerulären Apparat, dem Ort der Reninsekretion in der Niere, entfaltet. Auch nach Gabe eines Thiaziddiuretikums steigt das Plasma-Renin als Folge der negativen Natriumbilanz an. Interessant ist die Beobachtung von O’Brian et al. (2), dass bei Patienten unter Einwirkung von Aliskiren nach Zugabe eines Diuretikums, eines ACE-Hemmers oder eines Angiotensin-Rezeptor-Blockers die niedrige Reninaktivität nicht zunimmt. Da erhöhten Plasmakonzentrationen von Angiotensin und Aldosteron eine ungünstige Wirkung auf Herz und Niere zugeschrieben wird, könnte Renin-Inhibitoren als Kombinationspartner in der Hypertonietherapie eine besondere Rolle zukommen. Studien über klinische Endpunkte bei Patienten, die langzeitig mit Aliskiren behandelt werden, sind in Arbeit.
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Fazit: Aliskiren ist ein offenbar gut verträglicher oral applizierbarer Renin-Inhibitor mit langer Plasma-Halbwertzeit, der als Monotherapeutikum den Blutdruck von Hypertonikern in vergleichbarem Ausmaß senkt wie andere Antihypertensiva. Die Herstellerfirma Novartis verspricht sich von einer Kombination von Aliskiren mit anderen Hemmsubstanzen des Renin-Angiotensin-Systems offenbar einen Nutzen, da Aliskiren die kompensatorische Zunahme der Reninaktivität nach Gabe von ACE-Hemmern oder von Angiotensin-Rezeptor-Blockern unterdrückt. Wir warnen vor dem Hyperkaliämierisiko einer solchen Kombinationstherapie außerhalb von Studien. Über Langzeiteffekte von Aliskiren, z.B. Reduzierung von kardiovaskulären Ereignissen oder Todesfällen, ist noch nichts bekannt.
Literatur
- Staessen, J.A., et al.: Lancet 2006, 368, 1449. Link zur Quelle
- O’Brian, E., et al.: Hypertension 2007, 49, 276. Link zur Quelle
- Oparil, S., et al.: Lancet 2007, 370, 221. Link zur Quelle
- AMB 2003, 37, 35. Link zur Quelle
- AMB 2003, 37, 79b. Link zur Quelle
- AMB 2005, 39, 06a. Link zur Quelle
- Birkenhäger, W.H., und Staessen, J.A.: Lancet 2007, 370, 195. Link zur Quelle