Wir haben in den vergangenen Jahren mehrfach über die Ergebnisse und mögliche Implikationen der SPRINT-Studie berichtet (vgl. [1]). In dieser mit öffentlichen Geldern finanzierten und von öffentlichen Institutionen geleiteten Studie wurden zwei Behandlungsziele bei arterieller Hypertonie getestet: eine intensive dauerhafte Blutdrucksenkung mit einem systolischen RR < 120 mm Hg vs. einer Standard-Einstellung zwischen 135 und 139 mm Hg. Es wurde die Studienhypothese geprüft, ob durch die stärkere RR-Senkung innerhalb von 5 Jahren weniger kardiovaskuläre Ereignisse auftreten [2], [3].
SPRINT wurde an 102 Zentren in den USA und Puerto Rico durchgeführt. In den Jahren 2010-2013 wurden 9.361 Personen im Alter von ≥ 50 Jahren mit arterieller Hypertonie und einem erhöhten kardiovaskulären Risiko eingeschlossen (mittlerer Framingham 10-Jahre-Risk-Score 20%). Ausgeschlossen waren u.a. Personen mit Diabetes mellitus, einer Vorgeschichte mit Schlaganfall, Demenz oder einer bedeutsamen Proteinurie.
Die Personen waren bei Studienbeginn im Mittel 67,9 Jahre alt, 28,2% waren ≥ 75 Jahre. Sie nahmen durchschnittlich 1,8 Antihypertensiva ein, und der Ausgangs-RR betrug durchschnittlich 140/78 mm Hg. Die behandelnden Ärzte hatten weitgehend freie Hand bei der Auswahl und Dosierung der verwendeten Medikamente. In der Intensivbehandlungsgruppe (IntBG) sollte initial mit mindestens zwei Antihypertensiva behandelt werden, vorzugsweise mit einer Kombination eines Thiazid-Diuretikums und/oder einem ACE-Hemmer bzw. AT-II-Hemmer und/oder einem Kalziumantagonisten. Nach einem Jahr lag der systolische RR in der IntBG bei 121/68 mm Hg und mit Standardbehandlung bei 136/76 mm Hg. Hierzu wurden durchschnittlich 2,8 bzw. weiterhin 1,8 Antihypertensiva eingesetzt.
Die SPRINT-Studie wurde im Jahr 2015 nach einer medianen Nachbeobachtung von 3,3 Jahren vorzeitig abgebrochen, denn in einer Interimsanalyse hatte sich in der IntBG eine signifikant niedrigere Letalität gezeigt: Gesamtsterblichkeit: 3,3% vs. 4,5%; Hazard Ratio = HR: 0,73; „Number Needed to Treat“ = NNT: 83. Die weiteren Auswertungen ergaben, dass zu diesem Zeitpunkt auch der primäre kombinierte Studienendpunkt (Myokardinfarkt, akutes Koronarsyndrom, Schlaganfall, akute dekompensierte Herzinsuffizienz oder kardiovaskulärer Tod) in der IntBG absolut um 1,6% seltener eingetreten war (5,2% vs. 6,8%; HR: 0,75; NNT: 63).
Dieser Nutzen ging allerdings mit vermehrten Nebenwirkungen einher. In der IntBG wurden signifikant mehr akute Nierenschäden (+0,5% pro Jahr; HR: 1,6), symptomatische Hypotonien (+0,3% pro Jahr; HR: 1,7), Elektrolytentgleisungen (+0,2% pro Jahr; HR: 1,3) und Synkopen (+0,1% pro Jahr; HR: 1,3) beobachtet.
Wir haben wegen dieser Nebenwirkungen damals u.a. davor gewarnt, nicht (wieder) niedrigere Blutdruck-Behandlungsziele für alle zu propagieren, sondern empfohlen, sehr individuelle Entscheidungen zu treffen auf der Basis einer angepassten Risikostratifizierung, sowie der Verträglichkeit und Akzeptanz der Therapie [1]. Die Autoren der 2018 veröffentlichten Hypertonie-Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) und der European Society of Hypertension (ESH) schätzten dieses Vorgehen ähnlich ein. Dort wird sogar vor einem Ziel-RR von < 120 mm Hg gewarnt, da in diesem Bereich das Schadensrisiko zunimmt und zumindest bei vulnerablen Personen den Nutzen überwiegen können – genannt werden Ältere oder Menschen mit kardiovaskulären Erkrankungen [4].
Im JAMA Cardiology wurde nun eine Langzeitanalyse der SPRINT-Population veröffentlicht, die die Diskussion um die strengeren Zielwerte um weitere, sehr wichtige Aspekte ergänzt [5]. Die Autoren haben versucht, das weitere Schicksal der Studienpatienten an Hand von Registerdaten zu rekonstruieren. Die letzten regulären Studienvisiten fanden im Juli 2016 statt, also 8 Monate nach der Publikation der SPRINT-Ergebnisse. Bereits zu dieser Zeit wurden die Patienten wieder nach Maßgabe ihrer behandelnden Ärztinnen und Ärzte betreut.
Durch personengebundene Abfragen im US-National Death Index (NDI) der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) wurde das weitere Überleben anhand der dort hinterlegten Sterbeurkunden und den genannten ICD-10-Codes bis Dezember 2020, also für weitere 4,5 Jahre analysiert. Außerdem wurde versucht, den Blutdruckverlauf bei einer (nicht repräsentativen) Subgruppe von 2.944 Personen (31% aller Studienpatienten) anhand von Einträgen in ihrer elektronischen Patientenakte (EHR) zu rekonstruieren.
Ergebnisse: Die mediane Nachbeobachtungszeit dieser Analyse beträgt 8,8 Jahre ab Randomisierung. In den beiden ursprünglichen Behandlungsgruppen wurden 818 (Intensivbehandlung) bzw. 826 (Standardbehandlung) Todesfälle registriert. Der Unterschied ist nicht mehr signifikant. Der Überlebensvorteil durch die Intensivbehandlung ging rasch nach Beendigung der Intervention verloren. Die berechneten Hazard Ratios für die Gesamtsterblichkeit betragen für die Interventionsphase 0,83 und für die nicht-interventionelle Nachbeobachtungszeit 1,08. Die korrespondierenden HR-Werte für die kardiovaskuläre Mortalität betragen 0,66 und 1,02. Eine sog. „zeitvariable Schätzung“ des Nutzens der intensiven Blutdrucksenkung ergab außerdem, dass sich dieser schon 2,8 Jahre nach der Randomisierung, also noch während der Intervention und vor Studienabbruch, abgeschwächt hatte.
Ein möglicher Grund für diesen „Wirkverlust“ findet sich in den EHR der Studienpatienten. Dort konnten im Median 20 Einträge des ambulanten Blutdrucks gefunden werden. Der mittlere systolische RR stieg bei den Personen, die ursprünglich intensiv blutdrucksenkend behandelt wurden, kontinuierlich an: von 120 mm Hg 3,3 Jahre nach der Randomisierung (letzte Studienvisite), auf 132 mm Hg nach 5 Jahren und 140 mm Hg nach 10 Jahren. Bei den Studienteilnehmern, die nach Standard behandelt worden waren, betrugen die entsprechenden systolischen RR-Werte 134, 138 und 140 mm Hg. Aussagen über Therapieart und -intensität konnten aus den EHR nicht extrahiert werden.
Die Autoren diskutieren mehrere Gründe für die fehlende Nachhaltigkeit der vormaligen intensiven Blutdrucksenkung: darunter eine nachlassende Medikamenten-Adhärenz bei den Patienten, Unterschiede in der Strategie zur Behandlung von Bluthochdruck und eine „therapeutische Trägheit“ („therapeutic inertia“) bei den weiterbehandelnden Ärzten sowie physiologische Faktoren. Die Patienten und ihre Gefäße seien eben älter geworden.
Der begleitende Kommentar trägt den Titel: „Blood Pressure Control After SPRINT – Back to Reality“ [6]. Darin wird auf die oft große Diskrepanz zwischen der Situation in klinischen Studien und dem therapeutischen Alltag verwiesen, speziell hinsichtlich der Motivation von Behandelnden und Behandelten sowie der Betreuungsintensität. Der Schlüssel zu einer guten und sicheren RR-Einstellung liege in der richtigen Blutdruckmessung (Technik), einer größeren therapeutischen Motivation und der Therapieadhärenz. In SPRINT hatten die Teilnehmer mindestens sechsmal pro Jahr Besprechungs- und Schulungstermine. Solch eine intensive Betreuung sei in Hausarztpraxen nicht realisierbar. Es müssten daher neue Wege gesucht und gegangen werden. Neben der Stärkung der Primärversorgung werden telemedizinische Ansätze genannt. Wir haben 2018 über ein erfolgreiches Hypertonie-Programm in Frisörsalons berichtet (vgl. [7]).
Noch ein Gedanke sollte erwähnt werden: Obwohl der RR in der IntBG mehrere Jahre teils deutlich günstiger war, verliert sich der Überlebensvorteil sehr schnell nach Beendigung der Intervention. Es scheint also bei der Hypertoniebehandlung keinen Gedächtnis-Effekt („Legacy-Effekt“) zu geben. Darunter wird verstanden, dass eine zeitlich begrenzte Intervention zu einer anhaltenden Risikominimierung führt, auch nach Beendigung der Intervention. Solche Effekte werden beispielsweise für die Behandlung mit Statinen in der kardiovaskulären (Primär-) Prävention postuliert [8].