Interferon beta kann zur Behandlung der rezidivierend-remittierenden Form der Multiplen Sklerose (MS) eingesetzt werden. Die jährliche Schubrate wird vermindert und die entzündlichen Läsionen im zentralen Nervensystem nehmen ab. Die Therapie ist sehr teuer, und es konnte bislang noch nicht eindeutig nachgewiesen werden, daß die krankheitsbedingten Behinderungen im jahrelangen Verlauf geringer sind (s.a. AMB 1998, 32, 9).
Eine neuere Studie zu diesem Thema beschäftigt sich mit einem sehr frühzeitigem Einsatz von Interferon beta-1a (Comi, G., et al. [ETOMS = Early Treatment Of Multiple Sclerosis]: Lancet 2001, 357, 1576). Die europäische Studiengruppe hat 309 junge Patienten (mittleres Alter 28 Jahre) nach erster neurologischer MS-Episode 2 Jahre lang doppeltblind und plazebokontrolliert mit niedrig dosiertem Interferon beta-1a (Rebif; einmal wöchentlich 22 µg s.c.) behandelt. Primärer Endpunkt der prospektiven Studie war das Auftreten eines zweiten Schubes, was zur definitiven Diagnose MS führte. Sekundäre Endpunkte waren zerebrale MRT-Verlaufsuntersuchungen und Veränderungen in speziellen neurologischen Funktionstests.
Ergebnisse: 241 Patienten (78%) beendeten die zweijährige Behandlungs- und Beobachtungsphase mit ihrer zugelosten Studienmedikation. Der häufigste Grund für das Ausscheiden war, daß Patienten einen zweiten Krankheitsschub erlitten und sich die behandelnden Ärzte für eine offene Interferon-Therapie entschieden.
Der primäre Endpunkt trat während der 2 Jahre bei 34% in der Interferon-Gruppe und bei 45% in der Plazebo-Gruppe ein. Dieser Unterschied war statistisch signifikant (Odds Ratio: 0,61; p = 0,047). Der Schub trat in der Interferon-Gruppe später auf als in der Plazebo-Gruppe (569 vs. 252 Tage). Die jährliche Häufigkeit von Krankheitsschüben wurde für Interferon beta-1a mit 0,33 und für Plazebo mit 0,43 berechnet.
Der Median bei den Punktezahlen der neurologischen Funktionstests (EDSS, SNRS) blieb in beiden Gruppen während der Studiendauer unverändert. Dies ist nicht verwunderlich, da die zweijährige Beobachtungszeit in dieser frühen Krankheitsphase zu kurz ist, um klinische Effekte zu sehen. Diese Kritik betrifft übrigens alle bislang durchgeführten Studien mit Interferonen bei MS.
Die Auswertung der MRT-Bilder ergab eine nach 2 Jahren signifikant geringere Zahl neu aufgetretener T2-Läsionen in der Interferon-Gruppe (2 vs. 3). Die vorhandenen Läsionen waren auch insgesamt kleiner als in der Plazebo-Gruppe. Nur 16% in der Interferon-Gruppe (vs. 6% in der Plazebo-Gruppe) hatten im MRT keine neuen MS-Herde.
Die unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) von Interferon beta-1a wichen nicht von den bereits bekannten ab: 60% der Behandelten hatten Entzündungen an der Injektionsstelle vs. 12% unter Plazebo, eine UAW, die eine korrekte Verblindung teilweise in Frage stellt. 28% hatten Fieber (Plazebo 12%), 17% Myalgien (Plazebo 9%) und 11% Schüttelfrost (Plazebo 5%). Leider wurden neutralisierende Antikörper gegen Interferon, die in anderen Untersuchungen bei bis zu 40% der Patienten nach 3 Jahren gefunden wurden, nicht gemessen.
Fazit: Es gibt keine wesentlich neuen Erkenntnisse aus dieser Studie. Auch bei einem sehr frühen Einsatz von niedrig dosiertem Interferon beta-1a nach dem ersten Schub einer MS kann die Progredienz der Krankheit nicht generell gestoppt werden. Die jährlichen Schübe sind jedoch signifikant seltener und die MRT-Befunde sind weniger schwer. Ob diese Verlangsamung der Erkrankung auch irgendwann im Verlauf zu geringeren neurologischen Funktionsstörungen führt, ist bisher nicht bekannt. Die Gabe von Interferon beta bei MS mit den damit verbundenen UAW und hohen Kosten ist bislang nicht mehr als eine Hoffnung in Anbetracht des schweren Schicksals und des jugendlichen Alters vieler Betroffener.