Artikel herunterladen

Leserbrief: Hämatopoetische Wachstumsfaktoren beim diabetischen Fuß?

Dr. T.H. aus Berlin schreibt: >> Mit großem Interesse las ich Ihren Beitrag „Klinischer Einsatz hämatopoetischer Wachstumsfaktoren: G-CSF und GM-CSF“ (AMB 1998, 32, 1). Die Autoren sagen, daß eine „postulierte Verbesserung der antimikrobiellen Therapie durch Zusatz von G-CSF bei neonataler Sepsis, septischen Verbrennungswunden oder beim diabetischen Fuß bislang nicht durch klinische Studien validiert“ sei. Dies trifft zumindest für die letztgenannte klinische Entität nicht zu, da ein Gruppe aus Großbritannien genau dies in einer randomisierten, plazebokontrollierten Studie zeigen konnte (Gough, A., et al: Lancet 1997, 350, 855). << Antwort: >> Die angesprochene Studie (1) zeigt, daß 20 Patienten mit „diabetischem Fuß“, die mit einer Kombination von 4 Antibiotika (Ceftazidim, Amoxicillin, Flucloxacillin, Metronidazol) und G-CSF (Initialdosis 5 µg/kg/d s.c.) behandelt wurden, im Vergleich zu 20 Patienten, die statt G-CSF Plazebo erhielten, signifikant früher aus stationärer Behandlung entlassen werden konnten (Median: 10 vs. 17,5 Tage) und weniger lokale chirurgische Eingriffe benötigten (0 vs. 4 Patienten). Aus den im folgenden genannten Gründen erscheint jedoch die additive Gabe von G-CSF bei dieser Indikation noch keinesfalls gesichert.

Die Zahl der untersuchten Patienten ist mit 20 pro Gruppe sehr klein. Der Nachweis einer signifikanten Verkürzung der Krankenhausaufenthaltsdauer bei dieser geringen Stichprobengröße ist angesichts wesentlich kürzerer stationärer Behandlungsdauer auch ohne Zusatz von G-CSF (2, 3) als Erfolgskriterium kritisch zu hinterfragen. Dies gilt um so mehr, als allein schon die gezielte chirurgische Intervention, die als essentieller Bestandteil der Soforttherapie gilt (4, 5), zu einer Verkürzung der Aufenthaltsdauer um 6 Tage führen kann (6). Auch von den Autoren wird eingeräumt, daß die Plazebo-Gruppe ein erheblich ungünstigeres Infektionsprofil (15 vs. 4 Infektionen durch gramnegative Aerobier) hatte. Zudem war die Zahl der Patienten mit Begleitkomplikationen und die Zahl der vorausgegangenen chirurgischen Maßnahmen einschließlich Amputationen in der Plazebo-Gruppe deutlich höher (10 und 13 vs. 7 und 9). Angesichts der Tatsache, daß in großen Sammelstatistiken die durchschnittliche Zahl der Infektionserreger bei diabetischen Fußinfektionen mit 3,2 bzw. 3,4 pro Patient ermittelt wurde (7, 8), ist die geringe Zahl der Patienten mit polymikrobiellen Infektionen in dieser Studie (9 vs. 6) erstaunlich. Da Pseudomonas aeruginosa zu den häufigsten Keimen bei dieser Art der Infektion zählt (7), erscheint zudem die hier verwendete antibiotische Therapie mit Ceftazidim in der halben Standarddosis (3mal 1 g/d) problematisch. Schließlich bleibt zu fragen, ob der Funktionsdefekt neutrophiler Granulozyten bei Diabetikern, der nach heutiger Kenntnis in erster Linie auf einer Verminderung der Superoxidproduktion beruht, durch G-CSF optimal korrigiert werden kann. Experimentelle Arbeiten weisen darauf hin, daß eine erhöhte Aktivität der Aldosereduktase bei Diabetikern eine zentrale Rolle bei der Verminderung der Superoxidproduktion spielt, und daß eine Hemmung der Aldosereduktase zu einer kompletten Wiederherstellung der Granulozytenfunktion führt (9), so daß möglicherweise eine gezielte und effektivere Therapieform als die Gabe von G-CSF entwickelt werden kann.

Fazit: Man wird den Stellenwert der additiven Gabe von G-CSF an einer größeren Patientenzahl mit ausgewogenerer Verteilung ihrer Krankheitsmerkmale unter Bedingungen optimaler interdisziplinärer Behandlung (10) prüfen müssen, bevor man dieser kostenträchtigen Begleittherapie den Stellenwert eines gesicherten Standards zugesteht. Diese kritische Einschätzung wurde auch in einem Leserbrief (11) zum Ausdruck gebracht, in dem auf weitere Mängel der Studie hingewiesen wurde. <<

Literatur

1. Gough, A., et al: Lancet 1997, 350, 855.
2. Frykberg, R.G., et al.: Diabetes Res. Clin. Pract. 1997, 35, 21.
3. Todd, W.F., et al.: J. Am. Podiatr. Med. Assoc. 1996, 86, 421.
4. Chang, B.B., et al.: Cardiovasc. Surg. 1996, 4, 792.
5. Caputo, G.M., et al.: N. Engl. J. Med. 1994, 331, 854.
6. Tan, J.S., et al: Clin. lnfect. Dis. 1996, 23, 286.
7. Asfar, S.K., et al.: Can. J. Surg. 1993, 36, 170.
8. Hunt, J.A.: Diabetes Med. 1992, 9, 749.
9. Tebbs, S.E., et al.: Diabetes Res. Clin. Pract. 1992, 15, 121.
10. Reiber, G.E., et al.: Ann. Intern. Med. 1992, 117, 97.
11. Chantelau, E., und Kimmerle, R.: Lancet 1998, 351, 370.