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Außenseitermethoden in der Onkologie: Eine permanente Herausforderung

Patienten, Ärzte, Versicherungsträger und Gerichte müssen sich seit der Entstehung einer naturwissenschaftlich fundierten Medizin mit Verfahren auseinandersetzen, die von den Vertretern der Schulmedizin mit negativ getönten Begriffen wie paramedizinisch, unorthodox, unwissenschaftlich oder „unsound“, von Anhängern dieser Verfahren mit positiv belegten Termini wie biologisch, komplementär oder ganzheitlich belegt werden, während Bezeichnungen wie „alternativ“ oder „unkonventionell“ von beiden Seiten verwendet werden (1, 4). Sie umfassen ein weites Spektrum von pharmakologisch begründbaren oder langzeitig verwendeten Medikamenten, deren therapeutischer Nutzen bei Krebspatienten jedoch nie ausreichend geprüft wurde, bis hin zu abstrusen, auf paranoischen, pseudobiologischen, kosmologischen oder pseudoreligiösen Vorstellungen beruhenden Verfahren. Außenseiterverfahren werden vor allem bei solchen Erkrankungen angeboten und nachgefragt, für die die Schulmedizin noch keine überzeugende Lösung gefunden hat, z.B. AIDS, rheumatische Erkrankungen, Multiple Sklerose sowie Krebserkrankungen, die mit Chirurgie, Radiotherapie und Pharmakotherapie nicht geheilt werden können.

Der in der Überschrift verwendete Terminus „Außenseiter“ ist nicht a priori abwertend gemeint. Außenseiter waren z.B. auch die Naturärzte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, deren diätetische und physiotherapeutische Empfehlungen meist wirksamer waren als die von der Schulmedizin praktizierten, z.B. die aus heutiger Sicht schädlichen Aderlässe und andere „ausleitende Verfahren“. Interessanterweise werden diese heute zur Naturheilkunde gezählt (5) und auch zur Prophylaxe und Therapie von Krebskrankheiten empfohlen. Ärzte, die Außenseitertherapien verwenden und die an den Nutzen ihrer Verfahren glauben, ohne daß ihre finanziellen Interessen im Vordergrund stehen, können mit einem positiven Beiklang auch als „Querdenker“ bezeichnet werden. Sie zwingen die Schulmedizin zur Überprüfung der pathophysiologischen Basis ihrer Therapien und zur kritischen Bewertung ihrer Erfolge und Mißerfolge. Gefährlich werden sie allerdings, wenn sie die wissenschaftliche Auseinandersetzung verweigern und ihre Ideen ohne Rücksicht auf gesicherte Erfahrungen – und damit ohne Rücksicht auf die betroffenen Kranken – verfolgen (1, 6).

Es ist heute zu fordern, daß sich alle Behandlungsverfahren den nicht zuletzt am Beispiel der Onkologie festgelegten Regeln der Erfahrungsgewinnung und Hypothesenprüfung unterwerfen. Therapeutische Wirkungen in Einzelfällen und kleinen Patientengruppen, wie sie von Vertretern alternativer Verfahren berichtet werden, können wie eine klinische Phase-II-Studie dazu dienen, Wirkungshypothesen aufzustellen. Der Beweis der therapeutischen Wirksamkeit und das Abschätzen des Verhältnisses von Nutzen und Risiko ist dagegen allein durch kritische Vergleiche mit historischen Kontrollen, vorzugsweise aber durch prospektive, randomisierte Therapiestudien an großen Patientenzahlen zu führen. Alle Behandlungsverfahren haben sich letztlich einem solchen Nachweis des therapeutischen Nutzens zu stellen.

Begriffsbestimmung: Von wissenschaftlich begründeten Therapieverfahren wird die Erfüllung zweier Bedingungen verlangt:

1. Die pathophysiologische Begründung der Intervention muß mit dem derzeit akzeptierten biologischen Krankheitsmodell vereinbar sein.
2. Der therapeutische Nutzen muß durch geeignete Studien nachgewiesen sein.

Dabei ist die erstgenannte Bedingung als „Startbedingung“ zu verstehen, die eine weitere Bearbeitung des Verfahrens rechtfertigt Nach präklinischen, insbesondere toxikologischen Studien beginnt mit der ersten Anwendung am Menschen der Stufenprozeß der klinischen Hypothesenprüfung, der darüber entscheidet, ob ein neues oder neu geprüftes Verfahren verworfen oder akzeptiert wird. Würde man von Beginn an verlangen, daß beide Bedingungen erfüllt sind, so wäre ein Fortschritt der therapeutischen Erkenntnis unmöglich. Außenseiterverfahren sind solche, die keine der beiden Bedingungen erfüllen, nach dem ersten Einsatz bei Kranken nicht in der heute zu fordernden Sequenz klinisch geprüft oder trotz negativer Prüfungsergebnisse außerhalb kontrollierter klinischer Studien verwendet werden. Außenseiterverfahren sind darüber hinaus durch bestimmte, wenn auch nicht in jedem Fall vorhandene Merkmale gekennzeichnet (2, 3, 7, 8). Dazu gehört die fehlende Dokumentation in international anerkannten Zeitschriften, nicht zugängliche oder falsche Literaturangaben, fehlende Angaben über Genehmigung der Anwendung durch Ethikkommissionen, wiederholte Beschreibung nicht eindeutig identifizierbarer Einzelfälle und Erfolgsbeschreibungen bei nicht nach Tumorart, Malignitätsgrad und Tumorstadium klassifizierten Patientengruppen. Im Gegensatz zu den schulmedizinischen Verfahren wird die Indikation meist weit gestellt. Sie umfaßt oft alle Tumorarten und Tumorstadien, teilweise aber auch andere Erkrankungen. So werden für das führende deutsche Thymuspräparat Thym-Uvocal (s. AMB 1993, 27, 32) neben Präkanzerosen und Tumoren auch HIV-Infektion, entzündliche rheumatische Erkrankungen und hohes Alter als Anwendungsgebiete genannt. Andere Thymuspräparate sollen bei Multipler Sklerose und anderen chronischen Erkrankungen wirken (9, 10). Ärztliche Außenseiter und ihre Protagonisten sind häufiger praktische Ärzte mit der Zusatzbezeichnung Naturheilkunde oder Fachärzte nicht-onkologischer oder theoretisch-medizinischer Fächer, selten Ärzte für Allgemeinmedizin, Innere Medizin oder Kinderheilkunde und praktisch nie Fachärzte mit einer Schwerpunktbezeichnung aus dem Bereich der Onkologie.

Die rechtliche Situation: Bei den schwierigen und teilweise strittigen Rechtsfragen ist auf die Literatur zu verweisen (11, 13). Straf- und zivilrechtlich unterliegen Außenseiterverfahren denselben Bedingungen wie schulmedizinische Behandlungsmethoden. Dies gilt für die Aufklärungspflicht, Behandlungsnebenwirkungen und die Unterlassung von Therapien mit erwiesenem Nutzen. Dagegen bestand bei der Zulassung und Nachzulassung in Deutschland insofern eine spezielle Situation, als das AMG die Homöopathie, die anthroposophische Medizin und die Phytotherapie als besondere Therapierichtungen weitgehend vom Wirksamkeitsnachweis befreit hatte. Die 5. AMG-Novelle trägt dagegen eher den Vorstellungen der EG Rechnung, die eine einheitliche Zulassungsregelung für alle Arzneimittel für notwendig hält (12, 13). Keineswegs können alle als naturheilkundlich oder biologisch bezeichneten Fertigarzneimittel mit unbewiesener therapeutischer Wirksamkeit den besonderen Therapierichtungen zugeordnet werden. Zahlreiche Gerichtsverfahren der jüngeren Zeit beschäftigen sich mit der Frage, welche Verfahren von der Solidargemeinschaft, also von der Sozialversicherung und von der Privatkrankenversicherung, zu tragen sind. Hier ist Bock (8) zuzustimmen, der es für unzumutbar ansieht, daß die große Zahl der Pflichtversicherten, welche die Außenseitermethoden ablehnt, die speziellen Wünsche einer Minderheit nach einer teuren und nicht unbedingt erforderlichen Behandlung mitfinanziert. Die ältere höchst-richterliche Rechtsprechung hatte die Erstattungspflicht mit der Formulierung weit gefaßt, nämlich, daß eine nicht schulmedizinisch anerkannte Behandlung nach Ausschöpfung anderer Möglichkeiten erstattungspflichtig ist, wenn eine „nicht nur geringe Erfolgsaussicht“ auf Besserung besteht (11, 14). Da „gering“ nicht exakt definiert werden kann, stellte sie Gutachter und Gerichte in Erstattungsverfahren vor schwierige Aufgaben. In neueren Urteilen des BSG (AZ 6 RKA 62/94,1 RK 6/95) wurden dagegen Leistungskriterien definiert, welche die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (NUB-Richtlinien) berücksichtigen. Damit wäre eine Erstattung der dort ausgeschlossenen Verfahren durch die GKV nicht mehr möglich. Außenseiterbehandlungen werden meist privat abgerechnet; dem Patienten wird bestenfalls Argumentationshilfe zur Durchsetzung seiner Forderungen gegenüber seiner Krankenkasse geleistet.

Anwendungsbereiche: Außenseiterverfahren werden für alle Stadien maligner Tumoren empfohlen. Allerdings weisen viele Hersteller und ärztliche Vertreter der besonderen Therapierichtlinien korrekt darauf hin, daß schulmedizinisch heilbare Krebserkrankungen schulmedizinisch behandelt werden sollen und daß alternativen Verfahren in diesen Fällen eine komplementäre Rolle zukommt. Die behaupteten günstigen Wirkungen auf die Nebenwirkungen wurden allerdings nie eindeutig bewiesen; sie wären sonst längst in den Kanon der Schulmedizin aufgenommen. Die besonders traurigen Fälle, in denen von einer potentiell kurativen onkologischen Behandlung abgeraten wurde, betreffen vor allem abstruse Verfahren wie die „Neue Medizin“ des in Deutschland mit Berufsverbot belegten früheren Internisten Dr. Hamer (15) oder der selbsternannten Krebsheilerin Dr. rer. nat. Johanna Budwig (16), teilweise aber auch alternative Immuntherapien.

Verbreitet ist die prophylaktische Behandlung sogenannter Präkanzerosen, die mit obskuren Methoden, z.B. besonderen Immunstaten oder durch Interpretation von Blutbildartefakten – wie bei der Aurasskopie -, diagnostiziert werden. Es ist zu befürchten, daß die rasch zunehmende Identifikation von Risikogruppen durch genetische Marker (17) eine neue Welle prophylaktischer Außenseiterverfahren zur Folge haben wird. Sie werden ohne Studiendaten auch als adjuvante Therapie empfohlen, wobei Heilungen unkontrolliert nicht der Primärtherapie, sondern dem Außenseiterverfahren zugeschrieben werden. Am häufigsten werden Außenseiterverfahren angewendet bei Patienten, die mit den heute verfügbaren schulmedizinischen Verfahren nicht oder nicht mehr geheilt werden können, d.h. bei Patienten mit metastasierten Karzinomen und Rezidiven hämatologischer Neoplasien, die einer kurativen Sekundärtherapie nicht zugänglich sind. Die Inanspruchnahme von seiten des Patienten ist ebenso verständlich wie die Suche nach alternativen Behandlungsmöglichkeiten durch Ärzte. Die aus dem Arzt-Patienten-Vertrag erwachsende ethische und juristische Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Information des Patienten über seine Prognose sowie die häufig begrenzte oder nur als Erfolgswahrscheinlichkeit zu definierende Wirksamkeit einer Krebsbehandlung kann bei vielen Patienten den Konflikt zwischen der schicksalhaften Realität und dem Wunsch nach Heilung nicht lösen; sie läßt kaum einen Raum für das Wunder, d.h. für die Hoffnung des Patienten, seine eigene Erkrankung möge prinzipiell anders verlaufen als nach den statistisch gewonnenen Erfahrungen zu erwarten ist.

Aktuelle Verfahren: Es ist hier nicht möglich, auf alle derzeit angewandten Medikamente und Verfahren (1, 4, 12, 18, 19) einzugehen. Sehr hilfreich sind die hervorragend recherchierten Informationsblätter der Studiengruppe für Verfahren mit unbewiesener Wirksamkeit, die von der Schweizer Gesellschaft für Onkologie herausgegeben werden und die auch für die Weitergabe an Patienten geeignet sind (erhältlich durch die Schweizerische Krebsliga, Effingerstr. 40, PF 8219, CH-3008 Bern). Während die Verfahren wechseln, vorzugsweise wenn sie mit vereinfachten und monoman interpretierten Konzepten der biologischen Grundlagenforschung begründet werden – gestern die Biochemie, heute die lmmunologie, morgen die Molekularbiologie – scheint die Inanspruchnahme im deutschen Sprachgebiet mit 40 bis 60% etwa konstant zu sein (20, 21), während aus den USA mit etwa 10% niedrigere Zahlen angegeben werden (3). Es ist unrichtig – im Gegensatz zu dem bei Außenseitern beliebten Sprachgebrauch – die Häufigkeit einer zeitweisen Inanspruchnahme unkonventioneller Therapieverfahren als „Akzeptanz“ zu bezeichnen. Neben zufriedenen und durch Außenseiter ärztlich-psychologisch gut betreuten Patienten gibt es viele andere, die nach Enttäuschungen und finanziellen Einbußen durch nicht erstattete Arzneimittel in ihrer schwierigen präterminalen Phase von „schulmedizinischen“ Ärzten und Kliniken palliativ und supportiv behandelt werden. Das Spektrum der verschiedenen Verfahren ist sowohl in verschiedenen Perioden als auch zwischen den westlichen Industrieländern unterschiedlich (2, 3). Dies stützt die Hypothese, daß das Problem der Anwendung alternativer Verfahren primär kein Problem der Tumorbiologie oder der Pharmakologie, sondern der Kulturanthropologie, Soziologie und Psychologie ist. Ihr wissenschaftliches Verständnis wird daher durch Anwenden der Methoden dieser Fächer; besonders auch des Medizinhistorikers (7, 22) eher erreicht werden als durch In-vitro-Untersuchungen oder klinische Studien. Dafür spricht z.B. die Tatsache, daß bei keinem der auf dem Kongreß in St. Gallen 1985 als unorthodox bezeichneten Verfahren (18) die behauptete und gewünschte therapeutische Wirksamkeit bestätigt werden konnte (2, 19). Viele der mit großem Optimismus propagierten und auf scheinbar überzeugende Einzelfallberichte gestützten Verfahren (z.B. Bamfolin, Carnivora, CH 23, Laetril, Ballistol, Petroleum, Öl/Eiweiß-Diät nach Budwig, Beres-Tropfen, Krebsdiät nach Preuss u.v.a.) sind heute bereits wieder vergessen. Die folgende Darstellung bezieht sich deswegen auf ausgewählte, derzeit besonders häufig angewandte oder besonders heftig umstrittene Medikamente.

Die wohl am häufigsten angewandte Behandlung mit Mistelpräparaten wird nicht einstimmig als Außenseiterverfahren bezeichnet. Allerdings ist die Begründung durch Rudolf Steiner, den – nach seinen eigenen Worten – die „spirituelle Forschung“ dazu geführt hat, den „Weg zu betreten, der an den astralischen Leib herangeht, um die Heilung des Karzinoms zu erreichen“ (Anthroposophische Menschenkenntnis, zit. nach [7]), nur im biokosmologischen Weltbild der Anthroposophie verständlich. Wenn heute aufgrund der Isolierung und immunbiologischen Charakterisierung der Mistellektine (23) der naturwissenschaftlich korrekte Weg einer Wirkungsforschung eingeschlagen wird, so ist die logische Konsequenz die Anwendung in klinischen Studien. Gabius hat darauf hingewiesen, daß damit die Gefahr besteht (aus Sicht der Hersteller und Anwender), die Zuordnung zu den besonderen Therapierichtungen aufzuheben (24). Beweise für eine immuntherapeutische, zytoreduktive Wirkung oder lebensverlängernde Effekte stehen bei menschlichen Tumoren trotz über 70jähriger Anwendung (!) weiterhin aus; neue, methodisch einwandfreie Therapiestudien sind seit der letzten Übersicht (2) nicht publiziert worden. Ob die häufig berichteten positiven Wirkungen auf das Befinden von Tumorpatienten als Plazebowirkung, als Erfolg der besonders anzuerkennenden Zuwendung vieler anthroposophischer Ärzte zu ihren Patienten oder doch als Folge einer unspezifischen lmmuntherapie zu werten ist (25), bleibt offen. Schwere unerwünschte Nebenwirkungen sind anscheinend sehr selten. Wegen der gut belegten unspezifischen Veränderungen von Immunparametern ist vor unkontrollierter Anwendung in der adjuvanten Behandlung sowie bei Leukämien oder Lymphomen zu warnen. Einige Beobachtungen weisen darauf hin, daß z.B. bei chronischer lymphatischer Leukämie Schübe einer autoimmunhämolytischen Anämie durch Thymus- oder Mistelpräparate ausgelöst werden können.

Die 1965 erstmals angegebene und unter Einschluß problematischer Immunstimulation zur systemischen Krebsmehrschritttherapie (Hyperthermie, Hyperoxygenierung, Hyperglykämie) weiterentwickelte Behandlung nach dem Physiker von Ardenne (26) wird von der Schulmedizin abgelehnt. Sie kritisiert nicht nur die theoretische Basis, sondern auch das Fehlen klinischer Studien trotz inzwischen 30jähriger Anwendung. Nach einer 1994 veröffentlichten Phase-I/II-Studie (27) soll die Anwendung auch bei fortgeschrittenen Tumorleiden nach zytostatischer oder radiotherapeutischer Vorbehandlung ohne schwerwiegende Nebenwirkungen möglich sein. Gegen den therapeutischen Nutzen spricht die Tatsache, daß zytoreduktive Wirkungen zwar angegeben, Verlaufsuntersuchungen der bereits 1991 behandelten Patienten aber nicht publiziert wurden.

Immuntherapeutische antineoplastische Wirkungen werden einer Vielzahl von Medikamenten oder Verfahren zugeschrieben. Ein „gutes Immunsystem“, das gegen Krebszellen aktiv wird, kommt der Vorstellungswelt vieler Menschen entgegen. Patienten aller obengenannten Krankheitsstadien sind deswegen leicht davon zu überzeugen, daß eine Stimulation des lmmunsystems Krebs verhüten und heilen kann. Fortschritte, nicht aber Rückschläge und Enttäuschungen wissenschaftlich fundierter und geprüfter Immuntherapien, werden dabei flexibel in die Argumentation einbezogen, wobei dem oberflächlichen Leser von Firmenprospekten durch die in pseudowissenschaftlichen Zeitschriften (2) veröffentlichten Arbeiten wissenschaftliche Qualität suggeriert wird. Dabei zeigt sich der Wunsch vieler Außenseiter, selbst ein Teil der heftig kritisierten Schulmedizin zu sein. Wer mit den Grundlagen des komplexen lmmunsystems der höheren Organismen vertraut ist, kann ohne Schwierigkeit erkennen, daß die Fachsprache der modernen Tumorimmunologie dazu verwendet wird, ein unzulässig vereinfachtes und von der biomedizinischen Realität weit entferntes Modell zu beschreiben, dessen Verwendung als Grundlage immuntherapeutischer Interventionen ungeeignet ist. Immuntherapeutische Außenseiter vermeiden die Diskussion des Begriffs der immunologischen Spezifität oder schaffen eigene Spezifitätsbegriffe, wie dies z.B. Klehr (28, s.a. AMB 1993, 27, 64) für die Zytokine tut, die ja gerade die Epitop-unspezifische Endstrecke einer antigenspezifischen Immunreaktion darstellen. Dem Einwand, daß die in den autologen Zytokinpräparationen enthaltenen Dosen um Größenordnungen unter den in Studien geprüften und als Fertigarzneimittel zugelassenen Zytokinpräparaten liegen, begegnen sie mit der unrichtigen Unterscheidung von „natürlichen“ und „künstlichen“ Zytokinen. Häufig wird behauptet, daß die bei höher dosierter antineoplastischer Chemotherapie entstehende lmmunsuppression das Entstehen und das Wachsen von Metastasen fördere, und daß deswegen anstelle oder nach Chemotherapie eine immunrestaurative Behandlung nötig und antineoplastisch wirksam sei. Diese Überlegung hat zu zahlreichen, bisher allerdings überwiegend erfolglosen Versuchen einer immuntherapeutischen Konsolidations- und Erhaltungstherapie Anlaß gegeben (29). Für die bereits theoretisch sehr unwahrscheinliche Annahme, daß die hier angesprochenen immuntherapeutischen Außenseiterverfahren über die genannten Mechanismen die Prognose von Krebskranken verbessern, gibt es keinen empirischen Anhalt. Eine bei Annahme einer karzinoprotektiven Funktion des lmmunsystems keineswegs a priori auszuschließende negative Wirkung auf die Immunregulation (30) wird nicht diskutiert und ist nicht untersucht. Zu den zahlreichen einzelnen Verfahren ist gegenüber der Darstellung in neueren Übersichten (2, 10) wenig Neues zu sagen. Nach wie vor werden die „Klassiker“ Ney-Tumorin und Faktor AF2 beworben und häufig verwendet. Auf Seminaren über biologische Krebstherapie werden von bekannten Rednern wechselnde naturwissenschaftliche Erklärungen des behaupteten therapeutischen Nutzens gegeben und Strategien diskutiert, mit denen die Erstattung durch die Kostenträger erreicht werden kann. Einwandfreie klinische Studien sind seit älteren kritischen Analysen der Verfahren (31) nicht bekannt geworden. Dasselbe gilt für die Thymuspräparate, wobei zwischen den mit schweren Nebenwirkungen belasteten, als Fertigarzneimittel verbotenen, aber immer noch als individuelle Zubereitung hergestellten Extrakten (z.B. THX nach Sandberg) und den weniger problematischen Thymuspeptidgemischen (z.B. Thym-Uvocal) zu unterscheiden ist (9). Ein therapeutischer Nutzen dieser Mittel, die nicht zu den besonderen Therapierichtungen gehören, ist bei Durchsicht der von den Protagonisten angeführten Untersuchungen in keiner Weise belegt.

Nach wie vor praktiziert der Münchner Dermatologe Dr. N. Klehr sein zunächst als TITAI (Tumor-ldentifikations-Training für Immunkompetente Zellen; 32), später ACT (Autologe Target Cytokine; 28) bezeichnetes Verfahren, bei dem nach einer für ihn registrierten Offenlegungsschrift Blutzellen kultiviert und ein angeblich zytokinhaltiger Überstand zur Injektion zubereitet wird. Gegen Nachnahme werden zum Preis um 3000 DM Ampullen zur Injektion zugesandt. Dieses nicht standesübliche Verfahren, die unsinnige theoretische Begründung, das Fehlen auch nur einer einzigen Publikation zur klinischen Prüfung sowie mehrere Analysen der Ampulleninhalte, die keine über den normalen Serumkonzentrationen liegenden Zytokinkonzentrationen ergaben, haben zu Warnungen vor der Anwendung von ACT geführt. Versuche, die Anwendung von ACT zu unterbinden, waren bisher nicht erfolgreich. Bei keinem der von Onkologen beobachteten Patienten (33) konnte der tödliche Verlauf einer therapieresistenten Krebskrankheit abgewendet werden. Ähnliches dürfte für die nach demselben Prinzip hergestellten Therapiekonzepte ACTI-ceII und ACTI-kin der Firma Cell Pharm und die in den USA praktizierte Immunoaugmentative Therapie (3) gelten. Ebensowenig gibt es Wirksamkeitsbeweise für aus Bakterienkulturen gewonnene Mittel wie Eleuterokokk, Colobiogen oder Jomol (34), für dessen Anwendung trotz fehlender klinischer Studien bezeichnenderweise ein Hochschullehrer der Physiologie eingetreten ist, der nie einen Krebspatienten behandelt haben dürfte, und für das – wie auch für andere paramedizinische Verfahren – im Internet geworben wird (http://africa/com/-martin/jomol/).

Auch in der Schulmedizin intensiv bearbeitete lmmuntherapien, wie die Behandlung mit Lymphokin-aktivierten Killerzellen (LAK) mit und ohne lnterleukin-2, werden zur Außenseitertherapie, wenn sie aufgrund nicht gesicherter Verfahren der Krebsdiagnose, ohne Berücksichtigung negativer Studienergebnisse und außerhalb kontrollierter Therapiestudien, für eine Vielzahl gesicherter oder angeblicher Krebserkrankungen verwendet werden. Dasselbe gilt für die von Hackethal verbreitete Empfehlung des beim Östrogenrezeptor-positiven Mammakarzinoms hochaktiven LHRH-Agonisten Buserelin – ebenso griffig wie unsinnig als „Liebeshormon“ bezeichnet – für alle Tumoren, z.B. hämatologische Neoplasien. Die Behandlung von tatsächlich oder angeblich Krebskranken durch Psychotherapie, das „Life-care“-Konzept (35) oder Schutz vor Erdstrahlen gehören nicht zu den pharmakotherapeutischen Methoden und werden deshalb nicht kommentiert. Dagegen enthält das seit zwei Jahrtausenden in Indien praktizierte System der Ayurveda neben diätetischen, balneologischen und psychotherapeutischen Elementen auch pflanzliche und mineralische Pharmaka, die auch bei Krebskrankheiten wirksam sein sollen. Die Qualität der klinischen Erfahrung geht bisher über die Pseudoerfahrung der europäischen Humoralpathologie nicht hinaus; die Behandlungskosten werden von der Krankenversicherung nicht erstattet. Da eine Erklärung nur innerhalb des kosmobiologischen Systems des Ayurveda möglich ist, wäre die Zuordnung zu den besonderen Therapierichtungen konsequent, wird aber bei zunehmender Bedeutung der EG-Empfehlungen kaum gelingen. Da es sich teilweise um „ausleitende Verfahren“ (Brech-, Nies- und Abführmittel) handelt, ist vor der Anwendung bei organisch Kranken dringend abzuraten.

Methoden, die auf Interaktionen mit dem Stoffwechsel der Krebszelle abzielen, sind aus der Mode gekommen. Ausnahmen bilden die Methoden, die sich auf den von Warburg beschriebenen Gärungsstoffwechsel der Krebszelle berufen (s.o.) und das als Nachfolgepräparat des verbotenen Recancostat in Spanien hergestellte und von einer Frankfurter Apotheke vertriebene, in Deutschland nicht verschreibungsfähige Recancostat comp. (36), einer Kombination von reduziertem Glutathion mit anderen unsinnigen Wirkstoffen, das der Erfinder, ein Chemiker der Universität Frankfurt, in einer Fernsehsendung unkommentiert empfehlen durfte. Homöopathische Zubereitungen, Vitaminpräparate, Enzympräparate (z.B. Wobe-Mugos oder Polyerga) und Spurenelemente (z.B. Selen, dessen Bedeutung für die Krebsinzidenz wohl gesichert ist), dürften unterhalb toxischer Dosen pharmakologisch unwirksam und biologisch harmlos sein. Sie werden von vielen Patienten neben wissenschaftlich anerkannten onkologischen Therapien verwendet, von naturheilkundlich orientierten Ärzten und Heilpraktikern allerdings oft in Kombination mit anderen onkologischen Außenseiterverfahren angeraten.

Verhalten des Arztes bei Wunsch nach Außenseiterverfahren: Jeder Arzt, der Krebspatienten behandelt oder berät, kennt Situationen, in denen Patienten und/oder ihre Bezugspersonen (insbesondere Eltern und Ehepartner) versuchen, den Konflikt zwischen Realität und Wunsch nach Heilung durch Kontakte mit ärztlichen Außenseitern oder Heilpraktikern zu lösen. Derartige Bemühungen können tröstlich und hilfreich sein. Man trifft jedoch auch auf Patienten, denen teure, belastende und potentiell gefährliche alternative Verfahren von Bezugspersonen aufgezwungen werden, und die – bei ablehnender Haltung – eine Störung der gerade in dieser Situation lebensnotwendigen Beziehung befürchten. Dies gilt insbesondere für Kranke, die nach ärztlichem Ermessen nicht mehr geheilt werden können. Die meisten Patienten behalten die Beziehung zu ihrem Hausarzt und dem behandelnden Onkologen bei, informieren diese aber aus Furcht vor Spott, Ablehnung oder Sanktionen nicht über ihre alternativen Kontakte. Wie sollten sich Ärzte in dieser Situation verhalten? Ein wichtiges Ziel der Beratung ist die Erhaltung der Compliance für wirksame onkologische Behandlungsmaßnahmen. Dabei ist zu bedenken, daß es bei Beratung des an Krebs erkrankten Patienten nicht nur auf die objektive Richtigkeit, sondern ebenso auf die damit erzielte Wirkung ankommt. Auch dem Arzt, der sich um die psychosoziale Problematik des Krebspatienten bemüht, ist die persönliche Situation und die Vorstellungswelt des Patienten nur teilweise bekannt. Undifferenziertes Abraten von der Eigeninitiative kann genauso ungünstig sein wie undifferenziertes Nachgeben gegenüber unrealistischen und mit den prognostischen und therapeutischen Informationen nicht kompatiblen Vorstellungen des Patienten. Hinter dem scheinbaren Wunsch nach alternativen Therapieverfahren kann durchaus der Wunsch nach verstärkter Zuwendung, erweiterter Information und nach Bestätigung der Wirksamkeit der von der Schulmedizin angebotenen Behandlungsmöglichkeiten verborgen sein. Konkret sollte sich der behandelnde oder beratende Arzt folgende Fragen vorlegen:
– Sind mit dem Verfahren biologische Risiken verbunden?
– Ist eine Beeinträchtigung der „Lebensqualität“ zu erwarten?
– Sind finanzielle Schäden für den Patienten, seine Angehörigen, Hinterbliebenen oder für die Solidargemeinschaft abzusehen?
– Kann die Anwendung dazu führen, daß potentiell kurativ oder palliativ wirksame Behandlungsmaßnahmen unterlassen werden?
– Sind psychische Nachteile zu erwarten?

Sind diese Fragen zu verneinen, so sollten alternative Therapien nicht abgelehnt werden, wenn Patienten – nach intensiver Beratung über palliative Behandlungsmöglichkeiten – dies wünschen. Selbst wenn es sich aus onkologischer Sicht um abstruse Methoden handelt, sollten sie gegenüber den Betroffenen nicht lächerlich gemacht werden. Für Patienten handelt es sich immer um eine schwerwiegende und subjektiv unter Umständen lebenswichtige Entscheidung. Das einfühlsame Gespräch über eine mögliche Inanspruchnahme von Außenseitermethoden läßt nicht selten Ängste, Bedrängnisse und Wünsche des Krebskranken sichtbar werden, die in der medizinischen und psychosozialen Betreuung nicht ausreichend berücksichtigt worden sind.

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