Die Transfusion von Thrombozytenkonzentraten erfolgt bei etwa 70% der Patienten aus prophylaktischer Indikation (1). Die Definition des Grenzwertes für die prophylaktische Thrombozytensubstitution geht auf klinische Untersuchungen Anfang der sechziger Jahre zurück (2, 3), die zeigten, daß die Häufigkeit von Blutungskomplikationen Thrombozytopenien > 20/nl nicht signifikant gesteigert ist. Verschiedene Autoren haben in den vergangenen Jahren einen niedrigeren Grenzwert (z.B. < 10/nl) für die prophylaktische Thrombozytensubstitution vorgeschlagen. In diesem Zusammenhang ist eine 1991 im Lancet publizierte, prospektive, jedoch nicht randomisierte Studie bei 102 Patienten mit akuter Leukämie interessant (4). Von den Autoren dieser Studie wurde ein Grenzwert von 5/nl Thrombozyten bei Patienten ohne Fieber oder Zeichen der hämorrhagischen Diathese, von 10/nl bei Patienten mit derartigen Begleitsymptomen und von 20/nl bei Patienten mit Gerinnungsstörungen, Heparintherapie oder anatomischen Läsionen vorgeschlagen. Die Frage des geeigneten Grenzwertes für die prophylaktische Thrombozytensubstitution wurde jetzt in einer prospektiven und randomisierten Studie bei Erwachsenen mit akuter Leukämie erneut aufgegriffen (5). Insgesamt 78 Patienten, die eine primäre lnduktionstherapie oder Rezidivtherapie wegen akuter Leukämie erhielten, wurden randomisiert und erhielten prophylaktisch Thrombozytapherese-Konzentrate bei Werten < 10/nl (Gruppe A, n = 37) oder = 20/nl (Gruppe B, n = 41). Ausschlußkriterien in dieser Studie waren u.a. nicht kontrollierte Infektionen oder Zeichen der disseminierten intravasalen Gerinnung zum Zeitpunkt der Randomisierung, anamnestisch bekannte Gerinnungsstörungen (z.B. Hämophihe), akute Promyelozytenleukämie, Refraktärität gegenüber Thrombozytenkonzentraten während vorausgegangener Chemotherapie. Alle im Rahmen dieser Studie transfundierten Thrombozyten- und Erythrozytenkonzentrate waren leukozytendepletiert. Bei unzureichendem Anstieg der Thrombozyten, gemessen eine Stunde nach Thrombozytentransfusion, wurden HLA-kompatible Thrombozyten verabreicht. Die mediane Zahl der Blutungsepisoden pro Patient unterschied sich nicht signifikant in beiden Gruppen (Gruppe A: 4; Gruppe B: 2; p = 0,12). Kein Patient in dieser Studie erlitt eine tödliche Blutungskomplikation. Erwartungsgemäß war die Zahl der prophylaktisch verabreichten Thrombozytenkonzentrate pro Patient in Gruppe B, weil die Gabe bereits bei höheren Thrombozytenwerten erfolgte, signifikant (p < 0,001) höher (n = 10) als in Gruppe A (n = 6). Demgegenüber benötigten Patienten in der Gruppe A signifikant häufiger Thrombozytenkonzentrate zur Behandlung von Blutungsepisoden (1 vs. 0/Patient, p < 0,0003). Insgesamt wurden in Gruppe B im Median 11 und in Gruppe A 7 Thrombozytenkonzentrate verabreicht (p = 0,07). Beide Gruppen unterschieden sich nicht signifikant hinsichtlich der Zahl der transfundierten Erythrozytenkonzentrate, der Notwendigkeit für HLA-kompatible Thrombozyten, der Zahl der Tage mit Thrombozytopenie oder Fieber sowie den Ansprechraten auf die zytostatische Induktions- bzw. Rezidivtherapie. Basierend auf den Ergebnissen dieser Studie schlagen die Autoren einen Grenzwert von < 10/nl für die prophylaktische Thrombozytensubstitution bei Patienten mit akuter Leukämie vor, die im Rahmen der Induktions- bzw. Rezidivtherapie eine intensive Chemotherapie erhalten. Dieser Grenzwert wird heute auch bei anderen malignen bzw. hämatologischen Erkrankungen mit verminderter Produktion von Thrombozyten im Knochenmark als Indikation für die prophylaktische Gabe von Thrombozytenkonzentraten akzeptiert. Wichtig ist jedoch darauf hinzuweisen, daß es einen allgemein gültigen Grenzwert für die Thrombozytentransfusion weiterhin nicht gibt. Klinische Befunde, die das Blutungsrisiko beeinflussen (z.B. Fieber, Mukositis, Hyperleukozytose, disseminierte intravasale Gerinnung und Behandlung mit Antikoagulantien) müssen unbedingt berücksichtigt (vgl. AMB 1994, 28, 49) bzw. sollte bei Problempatienten grundsätzlich individuell entschieden werden. Die restriktive Indikationsstellung für prophylaktische Thrombozytentransfusionen würde zu einer deutlichen Reduktion des Verbrauchs an Thrombozytenkonzentraten und somit der Kosten führen.
Fazit: Diese erste prospektive randomisierte Studie zum Grenzwert für die prophylaktische Thrombozytensubstitution bei Patienten mit akuten Leukämien bestätigt, daß bei Interventionswerten von < 10/nl im Vergleich zu < 20/nl Blutungsepisoden nicht signifikant häufiger auftreten und der Verbrauch an Plättchenkonzentraten deutlich reduziert werden kann. Literatur
1. McCullough, J., et al.: JAMA 1988, 259, 2414.
2. Gaydos, L.A., et al.: N. Engl. J. Med. 1962, 266, 905.
3. Freireich, E.J., et al.: Ann. Intern. Med. 1963, 59, 277.
4. Gmür,J., et al.: Lancet 1991, 338, 1223.
5. Heckman, K.D., et al.: J. Clin. Oncol. 1997, 15, 1143.