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Anti-Angiogenese: Ein neues Prinzip in der Tumortherapie mit noch unklarer Wirksamkeit beim Menschen

Im Gegensatz zur Gabe endogener angiogener Wachstumsfaktoren bei peripherer arterieller Verschlußkrankheit oder koronarer Herzkrankheit (vgl.AMB 1998, 32, 61b) verfolgt diese neue Strategie in der Tumortherapie das Ziel, durch Gabe von Inhibitoren der Angiogenese bzw. BIockade und/oder Deaktivierung von Adhäsionsrezeptoren auf Endothelzellen die für die Versorgung von Tumorzellen mit Nährstoffen und Sauerstoff wichtige Neubildung von Blutgefäßen zu hemmen. Dadurch soll eine Rückbildung des Tumors erreicht werden. Dieses interessante Prinzip („Death to a blood vessel, death to a tumor“; 1) wird derzeit in präklinischen und z.T. auch bereits in klinischen Studien überprüft. Besondere Aufmerksamkeit haben tierexperimentelle Untersuchungen im Labor von Judah Folkman mit Endostatin, einem spezifischen Inhibitor der endothelialen Zellproliferation, gefunden (2). In diesen Untersuchungen konnte bei der Maus eine Rückbildung von drei verschiedenen transplantierten Tumoren (Lunge, Fibrosarkom, Melanom) durch rekombinantes Endostatin erreicht werden. Im Unterschied zu einer zytotoxischen Chemotherapie mit Cyclophosphamid wurde – auch bei wiederholter Verabreichung des Proteins – keine Resistenz dieser Tumore gegenüber Endostatin beobachtet, was von den Autoren auf Unterschiede in den beiden Zellkompartimenten im Tumor (genetisch stabile, nicht-maligne Endothelzellen versus heterogene, genetisch instabile Tumorzellpopulationen) zurückgeführt wurde. Über diese Untersuchungen wurde in der Laienpresse in den letzten Monaten ausführlich, z.T. auch unkritisch berichtet und bei Krebspatienten derzeit leider nicht realisierbare Hoffnungen geweckt. Die Ergebnisse mit Endostatin bei Tumoren der Maus können nicht ohne weiteres auf Tumoren beim Menschen übertragen werden, die sich in ihren zellbiologischen Merkmalen und möglicherweise auch im Ansprechen auf Endostatin deutlich von Mausmodellen unterscheiden. Darüber hinaus stehen derzeit von Endostatin und auch von Angiostatin, einem weiteren endogenen Inhibitor der Angiogenese (3), noch nicht ausreichende Mengen gentechnologisch hergestellten Proteins zur Verfügung. Erste klinische Studien zur Sicherheit, Dosierung und Wirksamkeit dieser Substanzen können voraussichtlich erst Anfang 1999 beginnen. Demgegenüber laufen bereits klinische Phase-I/II-, vereinzelt auch Phase-Ill-Studien, mit anderen lnhibitoren der Angiogenese (u.a. Thalidomid: Phase-Il-Studien beim Kaposi-Sarkom, primären Hirntumoren, Mamma- und Prostatakarzinom; Marimastat: Phase-Ill-Studien bei primären Hirntumoren sowie bei Pankreas-, Bronchial-, Magen- und Mammakarzinom), die erste Hinweise für eine Wirksamkeit dieser Substanzen bei Hirntumoren und beim Kaposi-Sarkom ergeben haben (4, 5). Weitere, allerdings nicht sehr potente Inhibitoren der Angiogenese (z.B. Tamoxifen, Kortikosteroide, Interferon alpha-2a) werden bereits seit Jahren mit anderen Zielen bei Tumorerkrankungen eingesetzt. In diesem Zusammenhang sind Ergebnisse einer schweizerischen Arbeitsgruppe von Interesse, die kürzlich bei Melanompatienten eine Hemmung der Tumorvaskularisierung durch regionale hochdosierte Gabe von Tumor-Nekrose-Faktor (TNF) und Interferon gamma (IFN-ã) zeigen konnten (6). Die Zytokine wurden im Rahmen einer isolierten Perfusion der Extremitäten in Kombination mit Melphalan verabreicht.

Fazit: Die Rückbildung von Tumoren durch Hemmung der Angiogenese ist eine interessante neue Strategie in der Behandlung solider Tumoren, wobei allerdings noch keine gesicherten Erkenntnisse zur Wirksamkeit beim Menschen vorliegen. Die derzeit in klinischen Studien geprüften lnhibitoren der Angiogenese werden frühestens in zwei Jahren für einen klinischen Einsatz außerhalb von Studien zur Verfügung stehen. Klinische Studien mit Endostatin und Angiostatin beginnen voraussichtlich Anfang 1999. Beide Proteine können derzeit bei Krebserkrankungen noch nicht verabreicht werden.

Literatur

1. Cheresh, D.A.: Nature Med. 1998, 4, 395.
2. Boehm, T., et al.: Nature 1997, 390, 404.
3. O Reilly, M.S., et al.: Cell 1994, 79, 315.
4. Folkman, J.: N. Engl. J. Med. 1995, 333, 1757.
5. Folkman, J.: Nature Med. 1995, 1, 27.
6. Rüegg, C., et al.: Nature Med. 1998, 4, 408.