Artikel herunterladen

Hochdosis-Chemotherapie beim Mammakarzinom: Abschied von einem Hoffnungsträger

Der Kongreß der American Society of Clinical Oncology (ASCO) wurde dieses Jahr mit besonderer Spannung erwartet. Anlaß hierfür waren die erstmals vorgestellten Ergebnisse von 5 randomisierten Phase-Ill-Studien zur Hochdosis-Chemotherapie (HDC), gefolgt von autologer Knochenmark- oder Blutstammzelltransplantation beim Mammakarzinom (1-5). Vier dieser Studien, 2 zur adjuvanten Situation bei Hochrisiko-Patientinnen (> 10 befallene axilläre Lymphknoten) und 2 zum metastasierten Stadium, zeigten keinen signifikanten Vorteil für die HDC (1-3, 5). Dies bestätigt die Vermutung vieler Beobachter, die in der HDC des Mammakarzinoms weniger eine vielversprechende neue Therapieform als vielmehr eine chronisch überschätzte „Modebehandlung“ sehen, deren Wirksamkeit wissenschaftlich bisher nicht abgesichert ist.

Eigentlich interessant sind daher auch nicht die Ergebnisse dieser Studien mit etwa 860 Patientinnen – sie sind wegen der meist kurzen Nachbeobachtung (Beginn der Studien zwischen 1990 und 1994) und des unterschiedlichen Designs noch vorläufig – sondern die Tatsache, daß die HDC im letzten Jahrzehnt allein in den USA bei mehr als 12000 Patientinnen außerhalb von Studien eingesetzt wurde (6). Diese Brustkrebs-Patientinnen wurden, ohne daß auch nur eine einzige randomisierte Studie vorlag, im wesentlichen basierend auf Ergebnissen der Arbeitsgruppe um W. Peters behandelt (7, 8). In diesen Arbeiten wurden der HDC im Vergleich zu „historischen Kontrollen“ dramatische, aber unter wirklich kontrollierten Bedingungen nie reproduzierte Vorteile zugeschrieben.

Die begrenzte Wirksamkeit der traditionellen Chemotherapien im Rahmen der adjuvanten Behandlung beim nodalpositiven Mammakarzinom bzw. im metastasierten Stadium hatte offensichtlich ein so starkes Bedürfnis nach besseren Strategien erzeugt, daß die HDC nach den aus heutiger Sicht problematischen Veröffentlichungen von W.P. Peters et al. (7, 8) und W.R. Bezwoda et al. (9) als neuer Hoffnungsträger auserkoren wurde. Elementare Regeln zur Beurteilung der Validität der Ergebnisse und des klinischen Nutzens dieser Behandlung wurden jedoch nicht beachtet (10). Die derzeit als Abstracts vorliegenden Studienergebnisse sind unter diesem Gesichtspunkt nur ein erster Beitrag zum Ausgleich des bedrückend großen Defizits an aussagekräftigen Studien zum Stellenwert der HDC beim Mammakarzinom.

Der fragwürdige Aufstieg der HDC zur populärsten innovativen Therapieform beim Mammakarzinom in den neunziger Jahren wäre undenkbar ohne das persönliche Engagement Tausender umtriebiger Personen in Onkologie, Pharmaindustrie und Medizinpublizistik. Da es kaum möglich ist, die individuellen Motive dieser Personen zu analysieren, sollte man ihnen – der Einfachheit halber – die Sorge um das Wohl der Brustkrebs-Patientinnen unterstellen. Was aber, so muß man heute fragen, ist das objektive Ergebnis von so viel subjektiver Sorge und Umtriebigkeit? Zunächst haben sich die internistischen Onkologen – zum Teil auf Kosten der Gynäkologen – stärker als zuvor in der Therapie des Mammakarzinoms etabliert, denn ihre Fachkunde ist für die Durchführung der HDC und der Stammzelltransplantation unentbehrlich. Nicht zu unterschätzen ist auch die Schrittmacherfunktion der pharmazeutischen und bio-technologischen Industrie. Sie hat übrigens weniger mit den direkt für die HDC eingesetzten Zytostatika (von denen die meisten wenig Gewinn abwerfen) als vielmehr mit der begleitenden Standard-Chemotherapie, den Wachstumsfaktoren, anderen supportiven Pharmaka (z.B. Antiemetika, Antibiotika) und mit den erforderlichen Produkten für Leukapherese sowie Stammzelltransplantation die Umsätze beträchtlich gesteigert. Die beteiligten Kliniken profitierten von der Popularität der Therapie in Form steigender Patientenzahlen, wodurch Umsätze und Einfluß der hämatologischen Transplantationszentren im letzten Jahrzehnt stark zugenommen haben. Und selbst medizinische Zeitschriften fanden in der HDC ein Mittel zur Steigerung von Auflage und „lmpact factor“ wozu die fragwürdige Qualität der meisten bisherigen HDC-Publikationen und die sich daraus ergebende kontroverse Dauerdebatte eher noch beigetragen haben. Schließlich hat die HDC beim Mammakarzinom das Verfahren selbst popularisiert und damit den Einsatz bei anderen Krankheiten erleichtert.

Neben denen, die durch diese Entwicklung Vorteile hatten, gibt es jedoch auch solche, die man als ihre Verlierer ansehen muß. Dazu gehören vor allem die von Laien- und Fachpresse allzu euphemistisch informierten Brustkrebs-Patientinnen, die in der HDC eine Quelle der Hoffnung sahen, der allzu häufig – entgegen den künstlich hochgetriebenen Erwartungen – die bittere Enttäuschung des Rezidivs folgte. Zudem hat eine unbekannte Zahl von Patientinnen an den zum Teil tödlichen Nebenwirkungen der HDC gelitten, ohne daß wir heute wissen, ob dieses Leiden und Sterben durch den Erfolg des Verfahrens auch nur annähernd gerechtfertigt ist. Da all dies aber bisher im wesentlichen außerhalb von kontrollierten klinischen Studien geschah, stellt sich zudem die Frage, ob man diese Patientinnen über Rückfallrisiko sowie über Toxizität und Letalität der HDC je angemessen aufgeklärt hat, ja angesichts der unvollständigen, z.T. chaotischen Datenlage überhaupt angemessen aufklären konnte.

Als Verlierer steht aber auch die Qnkologie insgesamt da, die durch die allzu bereitwillige Partizipation an der HDC-Euphorie Schaden genommen hat, der – auch vor dem Hintergrund weiterer ernüchternder Studienergebnisse (11, 12; vgl. AMB 1998, 32, 61a und 94a) – vermutlich erst in Jahren in seinem ganzen Ausmaß erkennbar sein wird. Als Trost bleibt allenfalls die Erkenntnis, daß man heute im direkten Vergleich mit der HDC neue Therapieverfahren und Substanzen erprobt, denen ihrerseits die Zukunft gehören könnte (1-3, 11). Es bleibt zu hoffen, daß bei der Bewertung dieser neuen Verfahren die Regeln der „Evidence based medicine“ von Anfang an stärker beachtet werden als in der jetzt zu Ende gehenden Epoche des therapeutischen Maximalismus. Damit wäre übrigens auch die Gewissensfrage vermieden, ob in unserer erfolgs- und marktwirtschaftlich-orientierten Medizin die mit einer neuen Therapie verbundenen beruflichen und wirtschaftlichen Vorteile manchmal stärker ins Gewicht fallen als ihre objektive Wirksamkeit.

Literatur

  1. Stadtmauer, E.A., et al.: Proc. Am. Soc. Clin. Oncol. 1999, 18, 1 a (Abstract # 1).
  2. Peters, W.P., et al.: Proc. Am. Soc. Clin. Oncol. 1999, 18, 1 a (Abstract #2).
  3. Bergh, J., et al.: Proc. Am. Soc. Clin. Oncol. 1999, 18, 2a (Abstract #3).
  4. Bezwoda, W.R., et al.: Proc. Am. Soc. Clin. Oncol. 1999, 18, 2a (Abstract #4).
  5. Lotz, J.-P., et al.: Proc. Am. Soc. Clin. Oncol. 1999, 19, 43a (Abstract #161).
  6. Antman, K.H., et al.: J. Clin. Oncol. 1997, 15, 1870.
  7. Peters, W.P., et al.: J. Clin. Oncol. 1993, 11, 1132.
  8. Peters, W.P., et al.: J. Clin. Oncol. 1988, 6, 1368.
  9. Bezwoda, W.R., et al.: J. Clin. Oncol. 1995, 13, 2483.
  10. Rosenberg, W., und Donald, A.: Brit. Med. J. 1995, 310, 1122.
  11. Rodenhuis, S., et al.: Lancet 1998, 352, 515.
  12. Dam, F.S.A.M., et al.: J. Natl. Cancer lnst. 1998, 90, 210.