Tinnitus ist weit verbreitet, ätiologisch aber ungeklärt. In Europa und in den USA sind etwa 10% der Bevölkerung davon betroffen, und bei etwa 0,5% führt der Tinnitus zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Befindens. Bislang gibt es keine als wirksam gesicherte medikamentöse Behandlung. Insbesondere in Deutschland werden häufig standardisierte Extrakte von Gingko biloba zur Behandlung des Tinnitus verordnet oder als Selbstmedikation eingesetzt (s.a.AMB 2000, 34, 95). Gingko-Extrakte sind mit mehr als 5 Millionen Verschreibungen im Jahr 1998 unter den fünf meistverkauften Arzneimitteln in Deutschland gelistet, hiervon vermutlich ein beträchtlicher Anteil für die Indikation Tinnitus. Wirksamkeitsstudien zu Gingko biloba bei Tinnitus zeigten teilweise geringe positive Effekte bei allerdings erheblichen methodischen Mängeln und meist kleinen Teilnehmerzahlen.
Kürzlich wurden nun von S. Drew und E. Davies aus Birmingham die Ergebnisse der bislang größten Studie zur Behandlung des Tinnitus mit Gingko biloba mitgeteilt (Br. Med. J. 2001, 322, 73). Insgesamt 1121 Studienteilnehmer (18-70 Jahre alt) mit mindestens 3 Monate dauerndem Tinnitus wurden über Zeitungsinserate rekrutiert. Zu den Ausschlußkriterien gehörten frühere Behandlungen mit Ginkgo sowie andere, auch alternative Behandlungsversuche in den letzten 6 Monaten. Die Studie wurde randomisiert, plazebokontrolliert und doppelblind mittels Telefoninterviews und Postsendungen durchgeführt. Die Einschätzung des Tinnitus erfolgte ausschließlich subjektiv durch standardisierte Fragebögen und visuelle Analogskalen, die bei Beginn, 4 und 12 Wochen nach Behandlung und 2 Wochen nach Beendigung der Behandlung versandt wurden. Als primärer Endpunkt wurde der Summenwert der Patienteneinschätzung „Veränderung des Tinnitus“ definiert. Sekundäre Endpunkte waren die wahrgenommene Lautstärke, die durch den Tinnitus bedingte Beeinträchtigung des Alltags und unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW). Patienten in der Verum-Gruppe erhielten 3 mal täglich 12 Wochen lang einen standardisierten Ginkgo-Extrakt von jeweils 50 mg (150 mg/d), Patienten der Kontroll-Gruppe entsprechend Plazebo. Die Studie wurde gesponsort vom Hersteller des Gingko-Extraktes, der Berliner Lichtwer Pharma AG. Von den 1121 Patienten wurden unüblicherweise zur Datenanalyse 489 „Matched pairs“ gebildet. Die Paarbildung sollte die Vergleichbarkeit der Gruppen sichern, hatte aber zur Folge, daß nur die Daten von 978 vergleichbaren Patienten (676 Frauen, Durchschnittsalter 53 ± 9 Jahre) ausgewertet wurden. Die per Fragebogen erhobene Compliance mit der Studienmedikation war trotz des fehlenden persönlichen Patientenkontakts sehr gut. Zu den verschiedenen Erhebungszeitpunkten aller primären und sekundären Endpunkte fanden sich keine signifikanten Gruppenunterschiede in den Ergebnissen. Von den 720 nach 12 Wochen komplett ausgewerteten Patienten berichteten 34 in der Verum-Gruppe und 35 in der Plazebo-Gruppe über eine Besserung der Beschwerden. Auch in der umfangreichen Analyse der Subgruppen fanden sich keine signifikanten Unterschiede. Sowohl Gingko als auch Plazebo waren sehr gut verträglich. Insgesamt war das Ansprechen mit etwa 10% auch in der Plazebo-Gruppe auffallend niedrig. In vorangegangenen, kontrollierten und verblindeten Studien hatten unter Plazebo etwa 30% der Patienten angesprochen. Der Unterschied dürfte im fehlenden persönlichen Kontakt mit den Patienten, der Studienkonzeption und/oder in der mangelnden Aussagekraft der verwendeten Fragebögen begründet sein und betraf damit beide Gruppen. Die Studienaussage ist darüber hinaus eingeschränkt, weil die Diagnose nicht objektiviert wurde. Ein klinisch relevanter Effekt hätte aber sicherlich durch die gewählten subjektiven Erhebungsinstrumente erfaßt werden müssen. Insgesamt hat also auch diese Studie methodische Mängel bei allerdings genügend großer Patientenzahl.
Fazit: Ginkgo-biloba-Extrakte sind bei chronischem Tinnitus nach den Ergebnissen dieser bislang größten randomisierten Studie nicht wirksamer als Plazebo.